Ananas auf dem Kopf: Burlesque der Gegenwart

Raus aus der Bubble!

Burlesque ist mehr als sich auf der Bühne die Strümpfe auszuziehen, sagt Sheila Wolf — und lädt zum 1. Cologne Burlesque Festival die Stars der Szene ins Gloria Theater ein

 

In der Apostelnstraße, nur ein paar Gehminuten vom Neumarkt entfernt, liegt das Gloria Theater: Ein großer Vintage-Neon-Schriftzug leuchtet bei Dunkelheit an der Haus­fassade, drinnen steht noch das alte Kassenhäuschen aus der Zeit des Porno-Kinos, roter Samt, wohin man blickt. An zwei Tagen im Oktober findet hier das 1. Cologne Burlesque Festival statt. Kaum einen besseren Ort hätte das Programm in Köln finden können, immerhin ist das Gloria seit Anfang der 1990er Jahre eine der bekanntesten Veranstaltungslocations für die queere Community in der Stadt. Genau darum geht es Organisatorin Sheila Wolf, die wir einige Wochen vor dem Festival am Telefon sprechen: Um die Verbindung von Burlesque und Drag, Tanz und Boylesque, also dem männlichen Striptease mit Storyline, Kabarett und Artistik.

Doch von vorne: Hinter der Kunstfigur Sheila Wolf verbirgt sich der Marketingunternehmer Wolf Teichert, geboren 1969 und seit rund zwanzig Jahren in der Burlesque-Szene aktiv. Auf YouTube finden sich viele Dokumentationen über ihn,  »Rockabella Drag Queen« und »heterosexueller Familienvater«, ein Ur-Berliner, der irgendwann begann, sich für Burlesque zu interessieren — was zumindest laut historischer Definition überwiegend von weiblichen Tänzerinnen aufgeführt wurde. »Die meisten Shows, die ich damals besucht habe, waren auch tatsächlich mit Frauen besetzt«, erzählt Sheila Wolf. »Mit gut gebauten Frauen, wobei ich hier die gesellschaftliche Norm meine. Das wollte ich auflösen.«

Und so begann sie — erst im Geheimen gegenüber Kolleg*innen, nach einem Musikvideo von Morten Harket, dem Frontsänger der Gruppe A-ha, das 2012 die Verwandlung von Wolf Teichert in Sheila Wolf zeigte, dann ganz offiziell — selbst bei Burlesque Shows aufzutreten. Und organisierte später größere Revuen, im Admiralspalast, im Tipi am Kanzleramt, im Wintergarten Berlin. Seit 2019 richtet Sheila Wolf auch das Boylesque Festival in Berlin aus, das vor allem queere Künstler*innen auf die Bühne einlädt. »Ich will mit den Events verschiedene künstlerische Sparten zusammenführen«, sagt sie. »Also raus aus der Bubble, hin zu mehr Austausch und der Auflösung von Grenzen zwischen den Kunstformen!«

Denn tatsächlich kommt Burlesque historisch keineswegs aus einer queeren Subkultur, sondern aus dem US-amerikanischen Unterhaltungstheater des 19. Jahrhunderts, dem »American Vaudeville«. Vor allem die Minsky-Brüder machten als Produzenten das Genre im New York der 1920er Jahre populär, indem sie Striptease-Shows aus den ärmeren Vierteln an den Broadway brachten und die Kunst der Verführung mit den Elementen des Tanzes, der Enthüllung und der Komik verbanden. Die Darstellerinnen, die zumindest zu Beginn ihrer Karriere häufig auch als Sexarbeiterinnen tätig waren, verdienten gut bei diesen Shows und waren auf diese Weise trotz ihrer Ablehnung von vorherrschenden Rollenvorstellungen und einem rollenkonformen Familienleben finanziell unabhängig.

»Burlesque war eine kulturelle Bedrohung«, schreibt der Historiker Robert Clyde Allen in seinem Buch »Horrible Prettiness. Burlesque and American Culture« aus dem Jahr 1991. »Weil es die ’normale’ Welt in Bezug auf die sozialen Beziehungen der Mittelklasse auf den Kopf stellte und die Normen angemessenen weiblichen Verhaltens und Erscheinungsbildes verletzte.« Auf der Bühne wurde der Körper der Tänzerin gleichzeitig verschmäht und begehrt, war Subjekt und wurde gleichzeitig vom Publikum objektifiziert. So wurde Burlesque zur damaligen Symbolik weiblicher Sexualität überhaupt: grotesk, schön, erschreckend und faszinierend.

Auch beim Cologne Burlesque Festival, das Sheila Wolf gemeinsam mit der Choreografin Tara D’Arson ins Leben gerufen hat und das am 20. und 21. Oktober stattfinden wird, treten Headliner*innen aus Nordamerika auf: Etwa Lou Lou la Duchesse, eine Burlesque-Tänzerin aus dem Mohawk-Territorium Kahnawake in Quebec, die in der US-amerikanischen »Burlesque Hall of Fame«, dem jährlichen Wettbewerb der Szene, regelmäßig ausgezeichnet wird. Neben ihren abendlichen Shows tritt sie beim Festival auch als Workshop-Leiterin auf und arbeitet mit den Teilnehmer*innen am »Floorwork«, also der Kunst »lustig und sicher auf den Bühnenboden zu kommen«. Auch das Duo Kitten N’ Lou mit ihren hoch-choreografierten, komödiantischen Camp-Extravaganzen, ebenfalls ausgezeichnet im »Burlesque Hall of Fame«, ist aus den USA zu Gast – unter anderem für einen Workshop, in dem sie mit dem Aufstellen und Brechen von Regeln bei der Entwicklung einer Bühnenpersönlichkeit spielen. Die beiden weiteren Headliner: Damien Lenore, »Nonbinary Superstar«, und Jack Woodhead, der aus Manchester stammende Wahlberliner und klassisch ausgebildete Pianist, der die Ko-Moderation beim Festival übernehmen wird. Sein Markenzeichen: bissig-satirische Lieder über den Brexit und die politische Lage im Vereinigten Königreich.

Rund zehn Acts gibt es, neben den Headliner*innen, an jedem der beiden Abende auf der Bühne zu sehen, eine diverse Mischung aus Künstler*innen, die sich vorab beim Cologne Burlesque Festival beworben haben. »Burlesque ist eine fein abgestimmte Performance, zu der weit mehr gehört, also nur von rechts nach links zu laufen und sich dabei die Strümpfe auszuziehen«, erzählt Sheila Wolf am Telefon lachend. »Da geht es viel darum, auch eine Geschichte zu erzählen, die Fantasie anzuregen und mit dem Entkleiden zu spielen, was aber niemals nur als reines Striptease im Vordergrund steht.«

Manchmal böte sich die Kunstform auch an, um politische Inhalte zu vermitteln, etwa wenn Geschichten über die eigene Selbstfindung erzählt werden, die Kritik an queerfeindlicher Diskriminierung auf der Bühne laut wird oder es darum geht, den eigenen Körper vor einem Publikum zu erleben. »Beim Burlesque der Gegenwart gilt eine grundlegende Regel: Jeder Körper ist schön«, sagt Sheila Wolf. »Und das kann für die Personen auf der Bühne zu einer regelrechten Selbstbefreiung führen, weil sie merken, dass ihr Körper begehrt und bewundert wird.« Der krönende Abschluss des Festivals: Eine Aftershowparty mit Gloria Viagra als Djane und ein paar burlesquen Überraschungen.

stadtrevue präsentiert
Gloria Theater, 20.–21.10.
cologne-burlesque-festival.de
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