Brüchige patriarchale Systeme: »Yazgerds Tod«, Foto: Andreas Schlager

Gelungene Wagnisse

Am Schauspiel wird die neue Spielzeit mit »Im Anfang war der Zaun« und »Yazgerds Tod« eröffnet

Zu Beginn ihrer letzten Spielzeit haben Schauspielintendant Stefan Bachmann und sein Team mutige Stücke aufs Programm gesetzt — es lohnt sich, den Theaterkanon zu verlassen. »Im Anfang war der Zaun« von der Gruppe »what about: fuego« ist eine spannende Performance über Grenzen. So leer hat man die Halle des Depot 2 schon lange nicht mehr gesehen: drei Menschen, drei Leitern, drei Leuchten. Anja Laïs, Ignazia González Torres und Paul Basonga plaudern lässig mit dem Publikum, tragen Blaumänner und wollen hier »arbeiten« — an einer »Kartografierung«, sprich: einer Analyse der Welt anhand von Tatsachen.

Eine davon war der Mauerfall 1989, jenes »Versprechen auf eine freie, offene, vernetzte Welt«. Schade nur, dass seitdem ein Abschottungsboom die Welt erfasst hat. Die Drei erzählen aus ihrer Kindheit, ziehen Papierbahnen von der Decke, bauen aus Schattenrissen Kontinente — und fragen sich: Woher hat der Mensch das Bedürfnis nach Abgrenzung?

Sehenswert ist auch das Stück des hier eher unbekannten iranischen Autors Bahram Beyzaie, der »persische Shakespeare«. »Yazgerds Tod« wurde 1979 erstmals gespielt — in Teheran, kurz, nachdem der Schah von Aufständigen verjagt wurde und ganz kurz, bevor die Zensur wieder eingeführt wurde. Es handelt vom Tod des letzten Sassanidenkönigs. Der floh vor einer arabischen Invasion und starb im Hause eines Müllers, so die Legende. Erstmal wirkt es bei Regisseurin Mina Salehpour nicht so, als gäbe es hier einen Bezug zur aktuellen Situation im Iran — altertümlich wirkt der Text, grandios erklingt die folkloristisch anmutende Musik von Mark Bérubé. Dann entfaltet sich die Geschichte wie ein Thriller. Was ist wirklich passiert, als der König bei der Müllersfamilie vorbeikam? Lebt er noch, wollte er Suizid begehen, wurde er aus Geldgier getötet oder aus Rache, weil er die Müllerstochter vergewaltigt hat?

Die Wahrheit hat viele Perspektiven. Gleichzeitig gelingt es bravourös, implizit die politische Gegenwart des Iran zu thematisieren. Eine glühende Sonne steht über der Bühne, bis heute Symbol der Revolution. Immer wieder verwandelt sie sich in ein kontrollierendes Auge. Ziegelsteine bilden eine Mauer und kippen wie Dominosteine um — wie Proteste ineinandergreifen müssen für eine gelungene Revolution. So wie 1979 — und wie es jene Frauen erhoffen, die im Iran heute um Freiheit kämpfen. Der Abend zeigt, wie brüchig patriarchale Systeme sind, dass Macht nur Zuschreibung ist.

Schauspiel Köln, Depot 2, »Im Anfang war der Zaun«, 8. & 19.10., 20 Uhr
Schauspiel Köln, Depot 1, »Yazgerds Tod«, 8. & 14.10., 19.30 Uhr