Es geht ein Riss durchs Dorf

Burning Days

In Emin Alpers Thriller tun sich tatsächliche und metaphorische Abgründe auf

Zu Beginn von »Burning Days« steht Emre am Rand eines Abgrunds. Der junge Staatsanwalt ist in ein türkisches Provinzkaff entsandt worden, in dessen sonnenverbranntem Umland vermehrt Erdfälle passieren, seit die örtliche Wasserversorgung modernisiert wird. Dass die Bauarbeiten, die eine juristische Untersuchung erfordern, in diesem Film unsichtbar bleiben, lässt riesige Senklöcher erst recht wie Sinnbilder für die mutmaßliche Korruption der örtlichen Honoratioren wirken, die den Zugezogenen sogleich umgarnen. Doch auch in anderer Hinsicht tun sich vor dem adretten Junggesellen Abgründe auf. Nachdem ein Abendessen im Haus des Bürgermeisters mit dessen Sohn, einem Anwalt, sowie mit dem örtlichen Zahnarzt im Vollrausch endet, tritt Verdrängtes – denkbar widersprüchlich – zutage.

Regisseur Emin Alper, der zu seinem vierten Spielfilm auch wieder das Drehbuch verfasst hat, variiert ein bewährtes Thriller-Muster, indem er den Protagonisten bei den folgenden Ermittlungen mit Befangenheit und Erinnerungslücken ringen lässt. Als Emre am nächsten Morgen aufwacht, erfährt er, dass ein geistig behindertes Roma-Mädchen, das im Garten des Bürgermeisters anwesend war, vergewaltigt worden ist. Fortan wird der Staatsanwalt von unbestimmten Flashbacks – oder Fantasien – heimgesucht, die ihn als potenziellen Mitwisser oder gar Mittäter erscheinen lassen. Ebenso besorgt ist Emre aber bezeichnenderweise wegen der Zudringlichkeiten, denen er anschließend im Nachbarhaus ausgesetzt gewesen sein mag, nachdem ein alleinstehender Journalist ihn vor der Tür aufgelesen hatte.

Dabei kontrastiert Alper wie in seinem letzten Film, »Eine Geschichte von drei Schwestern«, vereinzelte Landschaftspanoramen mit langen Dialogszenen, deren reizvolle Doppelbödigkeit gelegentlich von nächtlichem Chiaroscuro akzentuiert wird. Folgerichtig verzichtet der 49-jährige türkische Filmemacher darauf, die aufgeworfenen Fragen allesamt abschließend zu beantworten. So wird nicht einmal klar, ob der oppositionelle Journalist tatsächlich schwul ist, wie ihm offenbar (verklausuliert) von Mitbürgern nachgesagt wird. Erst recht bleibt es aber unserer Einschätzung überlassen, inwiefern Emre sich wirklich, wie zuletzt angedeutet wird, durch einen metaphorischen Abgrund von den zunehmend rabiaten Hinterwäldlern unterscheidet.

TR/F/D/NL/G/HR/GR (Kurak Günler), R: Emin Alper, D: Selahattin Pasali, Ekin Koç, Erol Babaoglu, 131 Min.