Offensiv defensiv
»Die Beschäftigten in den Kitas gehen auf dem Zahnfleisch: Es fehlt an allen Ecken und Enden, besonders an genügend Erzieher*innen«, sagte Stephan Osterhage-Klinger, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Das war im Juli 2023 — und was Osterhage-Klinger da zusammenfasste, war bereits damals ein altbekanntes Problem. Zu wenig Personal in Kindergärten, zu wenig Geld, um eine umfassende und auch inklusive frühkindliche Bildung zu gewährleisten.
Mit sogenannten »Alltagshelfer*innen« hatte die nordrhein-westfälische Landesregierung seit der Corona-Pandemie versucht, das Problem kurzfristig in den Griff zu bekommen: also Menschen, die ohne Fachkraftausbildung, in den Kindergärten mithelfen, vor allem bei der täglichen Arbeit, wie etwa dem Verteilen der Teller beim Mittagessen, dem Händewaschen nach dem Spielplatzbesuch oder dem Zähneputzen. Sie sollen den pädagogischen Fachkräften im Alltag den Rücken frei halten. Weil das erst mal ganz gut funktionierte, wurde die Finanzierung des Programms kürzlich auch für das Kita-Jahr 2023/2024 verlängert.
Doch die grundlegenden Probleme löst es nicht: Etwa, dass trotz Steigerung der Gehälter und der Sachkosten, das Land Nordrhein-Westfalen die Finanzierung der Kita-Träger noch nicht angepasst habe: »In der Folge werden Betreuungsangebote vor Ort verringert oder ganz eingestellt, um Insolvenzen zu vermeiden«, heißt es von der GEW. Und auch der Personalmangel ist damit noch nicht behoben. Schon im Vorfeld der Grippewelle im Herbst mahnte man von Seiten der Träger, es komme zu extremer Personalnot, einige Kinder könnten aktuell nicht betreut werden oder nur zu bestimmten Zeiten, im Wechsel.
Die Beschäftigten in den Kitas gehen auf dem Zahnfleisch: Es fehlt an allen Ecken und Enden
Stephan Osterhage-Klinger, stellvertretender Vorsitzender der GEW in NRW
Die nordrhein-westfälische Familienministerin Josefine Paul (Bündnis 90/Die Grünen) setzte daraufhin einen weiteren Hebel in Bewegung: Wer einen ausländischen Studienabschluss erworben hat, soll künftig schneller und unbürokratisch in Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen arbeiten dürfen. Bisher war grundsätzlich eine, häufig mit langen Wartezeiten und Kosten verbundene, individuelle Bewertung des Abschlusszeugnisses durch die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (»ZAB«) nötig. Ab sofort soll anstelle dieser Zeugnisbewertung bereits ein positives Ergebnis bei einer Abfrage in der Datenbank »anabin« der Kultusministerkonferenz ausreichen, damit Träger von Kindertageseinrichtungen ausländische Absolvent*innen einstellen können. »Um allen Kindern ein gutes Aufwachsen und gleichberechtigte Chancen zu ermöglichen und das Personal in den Kindertageseinrichtungen zu entlasten und zu verstärken, braucht es mehr und gut qualifizierte Männer und Frauen in Betreuungseinrichtungen, auch aus dem Ausland«, sagte Josefine Paul. Und nannte die Neuregelung einen »Baustein unserer Fachkräfteoffensive für Sozial- und Erziehungsberufe«. Es sei nicht hinnehmbar, dass das Land qualifizierte Personen, die sich für die Arbeit in einer Kita in Nordrhein-Westfalen interessieren, aufgrund langwieriger und teurer Anerkennungsverfahren verlieren würde.
Ob dies zur Lösung der Personalnot in den Kindergärten beiträgt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Ein guter Vorstoß ist es sicher, doch bis es endgültig nicht mehr zu Betreuungsengpässen kommt, müssen voraussichtlich hin und wieder auch die Eltern einspringen — und ihre Kinder trotz ihrer eigenen Berufstätigkeit zuhause selbst betreuen.