Eine Revue für die Deutschland-Legende

Microphone Mafia-Rapper Kutlu Yurtseven über seinen Freund, den 2022 verstorbenen türkischen Musiker Metin Türköz

Ah Metin Abi, als ich gefragt wurde, ob ich etwas über Dich schreiben kann, habe ich lange überlegt was für einen Text ich schreiben kann oder darf, um Dir gerecht zu werden. Ich habe mich nach langem, innerlichen Hin und Her entschieden, Dir zu schreiben. Dies ist ein Brief an Dich. Denn am Ende des Tages hatte ich das Gefühl - das hatte ich bei meinem ­Vater und Esther Bejarano auch — war es nicht genug Zeit, die ich mit Dir verbringen durfte. Es ist am Ende nie genug Zeit gewesen. Ich hätte noch so viele Fragen gehabt. Ich hätte Dir gerne noch so viel über meine Eltern, meine Familie und meine Musik erzählen wollen. Das ist jetzt leider nicht mehr möglich und daher versuche ich, Dir zu schreiben, wie wichtig mir diese gemeinsame Zeit war und wie ich sie vermisse.

Du hast immer gesagt: »Es ist schön mit Dir zu reden und dass Du mir zuhörst.« Nein, mein Abi (türkische Anrede der Würdigung, übersetzt: großer Bruder; Anm. d. Red.), es war schön, dass Du Dir die Zeit genommen hast. Es war mir eine Ehre mit Dir im Eiscafé oder in der Bäckerei zu sitzen und deinen Erinnerungen, ja, auch Sehnsüchten zuhören zu dürfen. Jetzt sind diese Momente ein Teil meines ­Lebens und ein Teil meiner Geschichte. Beides hast Du bereichert und dafür danke ich Dir sehr.

Ich hätte nicht gedacht, dass sich aus einem Filminterview mit meinem Freund Daniel Poštrak (Grafiker bei der Stadtrevue; Anm.) und Dir sowie aus einem Interview, das ich mit Hannes Loh für einen Beitrag hier in der Stadtrevue, führen durfte, diese kleine Geschichte entwickeln könnte.

Im Frühjahr 2019 übersetzte ich bei dem Gespräch zwischen Daniel und Dir hinter der Kamera und es war ein Erlebnis. Du hast erzählt: Von Deutsch­land, deiner Enttäuschung bei der Ankunft, der harten Arbeit bei Ford, dem ungerechten Umgang mit Dir und Deinen Freun­den und wie Du »versehent­lich« zur musikalischen Stimme der »Gastarbeiter:innen« in Köln wurdest: In der Flora, wohin Deine Freunde Dich gebeten hatten mitzukommen, da Du Saz spielen und singen konntest. Du warst über­wältigt von der Menge der Menschen und sagtest: »Dann singe ich Euch jetzt eine ›Deutschland Legende / Almanya Destanı‹«. Damit hast Du Dich in die Herzen der Menschen gesungen. Du hast gesungen, was all diese Menschen, auch meine Eltern, gefühlt haben. Süleyman Demirel, der damalige türkische Ministerpräsident hat Dir dann bestätigt, dass Du »gefährlich« wärst, da deine Musik und deine Texte den Finger in die Wunde legen. Während Du erzählt hast, hast Du gelacht und geweint — manchmal zeitgleich. Und ich? Bei mir flossen die Tränen, leise habe ich geweint. Du hast Dich in mein Herz erzählt. Ich danke Dir dafür, ich habe plötzlich meinen Vater vor Augen gehabt, den wir 2013 verloren haben. Du hast ihn mit deinen Erzählungen in diesen Raum geholt. Er saß mit uns dort und ich sah ihn nicken, mich auch ein wenig vorwurfsvoll anschauen. Weißt Du, Metin Abi, mein Vater ist der Grund, warum es das Lied »Denk­mal« gibt, ein Lied von mir über die erste Generation der Arbeits­migrant:innen, über ihren Kampf, ihre Sehnsucht, Verzweiflung und auch über die Wut hier in Deutschland. Also auch ein Lied für Dich. Ich habe Dir später von dem Lied erzählt. Es war Papas Wunsch seine Gedanken zusammen zu fassen, dies ist mir erst 2002 nach meinen Erfahrungen bei Kanak Attack gelungen und dennoch weine ich der Zeit hinterher, in der ich meinen Vater hätte ausfragen können und sollen. Es hätte mir sehr geholfen ihn besser zu verstehen. Als ich dann bei diesem Interview saß, habe ich durch Dich gespürt, warum es ihm wichtig war, seine Gefühle in einem Lied wieder zu erkennen. Musik gibt Kraft und Hoffnung und ich habe mich damals entschlossen, wenn Metin Türköz es erlaubt, werde ich ihn besuchen. Eine Woche nach dem Interview war ich dann das erste Mal bei Dir. Du hast mir erlaubt, so oft zu kommen, wie ich es möchte. Zunächst blieb es bei diesem ersten Besuch.

Da war ich wieder der Junge, der im Auto seiner Eltern Musik aus der Türkei, aber auch von »Deutschländer:­innen« für ihre »Leidens­genoss:innen« gehört hat Kutlu Yurtseven

Als ich später den Artikel »Kölsch Kültür. Türkische Popkultur im Exil« von Murat Güngör und Hannes Loh gelesen habe, in dem ich auch mit meiner Band Microphone Mafia erwähnt wurde, da war ich wieder der kleine Junge, der mit seinem Vater nach Fußball­spielen in die Weiden­gasse gefahren ist: Lahmacun essen. Der Junge, der im Auto seiner Eltern Musik aus der Türkei, aber auch von »Deutsch­länder:innen« für ihre »Leidens­genoss:innen« gehört hat. Lieder über die Ferne, Sehnsucht, Liebe, Enttäuschung und über das Heimweh. Oft flossen hier dann auch Tränen, es waren die Tränen meiner Eltern. Ich fand es damals peinlich. Eigentlich war ich es der peinlich war. Zwar nicht als Kind, aber irgendwann. Vor allem als ich dann mit der Musik angefangen habe. Ich hätte doch mal forschen, fragen und recherchieren können, was unsere Eltern gehört haben. Warum haben wir Bariş Manço, Grup Vitamin und Augenweide gesampelt, aber eben nicht Metin Türköz, Yüksel Özkasap oder Ata Canani? 2019 war dann wohl die Zeit gekommen, um zu lernen. Nicht zu wissen ist nicht schlimm, aber nicht lernen zu wollen, das ist ein Problem. Ich bin zu Mama und sie sagte sofort: »Natürlich haben wir Ferdi Tayfur und Orhan Gencebay gehört, aber auch Metin Türköz und Yüksel Özkasap, weil Sie unser Leben kannten und darüber sangen.« Als ich ihr erzählte, dass ich Dich besuchen werde, kamen zwei Dinge aus ihrem Mund: »Schön, dass er noch lebt.« und »Sei bitte respektvoll und störe ihn nicht!«

Ich entschloss mich, Dich nicht mehr nur sporadisch zu besuchen und nach den Sommer ’19 war ich dann jede Woche ein Mal bei Dir. Es war eine sehr gute, eine immens wichtige Entscheidung: Die Gespräche über deine Zeit bei Ford, deine Musik und deinen Protest, aber auch dein Wortwitz und deine energisch lustige Art haben mich so sehr erfüllt. Vor allem auch deine Anekdoten über Necla Abla, Necla Türköz, deine Ehefrau, deine Managerin und Kritikerin (das hast Du gesagt), die Du so sehr geliebt und verehrt hast, die ich leider nie persönlich kennenlernen konnte, waren besonders schön. Immer wenn Du sie erwähnt hast, stand Dir die Sehnsucht ins Gesicht geschrieben und deine Augen füllten sich mit Tränen. Wenn Du erzählt hast, war es so, als ob Necla Abla gerade unserem Gespräch beiwohnte und Mensch konnte die Liebe im Raum förmlich spüren. Wir weinten gemein­sam.

Erst viel später, ich weiß gar nicht warum, entdeckten wir unsere gemein­same, große Liebe. Eher nebensächlich fragte ich Dich, ob Du fußballinteressiert seist und falls ja, welcher Verein Deiner sei. Es kam die Antwort, auf die ich gehofft hatte: »Natürlich Beşiktaş« Es war so schön, das zu hören. Schon hattest Du einen Beşiktaş-Schal an der Wand. Diese Liebe hat uns einen Moment für die Ewigkeit geschaffen und dieser Moment bleibt solange ich lebe in meinem Herzen und meinen Gedanken einge­brannt. Ich hatte die Idee, dass wir gemeinsam ein Spiel anschauen sollten. Ich bin im Oktober 2022 abends in dein Zimmer gekommen, in der Zeit ging es Dir schon nicht mehr so gut. Ich habe den Laptop gestartet und mit dem Anpfiff hatte sich irgendwie alles verändert. Plötzlich warst Du hellwach und mit jedem Tor, dass wir kassiert haben, hast Du meine Hand zerdrückt, bei ­jedem Tor unserer »Schwarzen Adler« hast Du laut gejubelt. Das Spiel ging »2-2« aus. Ich habe Dich dann zugedeckt und bin gegangen. Weißt Du, Metin Abi, um das Gebäude zu verlassen, musste ich über die Mauer klettern, da alle Türen des Wohnheims schon abgeschlossen waren. Auf dem Heimweg habe ich gelacht und geweint. Geweint habe ich auch als Du dann fast einen Monat später am 26. November verstorben bist und ich wusste auch, dass ich bei diesen Zeilen weinen würde. Aber Tränen sind ein Wunder. Sie fließen, wenn wir enttäuscht oder gekränkt werden. Sie fließen vor Wut, aus Liebe, vor Freude, in Glücksmomenten, aus Angst, Schmerz — all das ist das Leben. Durch das Leben vieler Menschen, zum Glück auch durch meins, ist der Sänger und Musiker Metin Türköz mit seinen Liedern und Worten gezogen. Daran müssen und wollen wir erinnern und Tränen sind ein Teil deiner Erinnerung. Also mit verweinten Augen zusammen und laut: »Siyah (Schwarz) — Beyaz (Weiß) — aşkımız Beşiktaş (unsere Liebe — Beşiktaş)

stadtrevue präsentiert:

Metin Türköz Revue

Sa 25.11., Kulturbunker ­Mülheim, 20 Uhr (Einlass 19:30 Uhr)
Mit Alpin Harrenkamp, Songs of ­Gastarbeiter, Ozan Ata Canani, Deutschlandlieder Ensemble, ­Regisseur Cem Kaya, Murat Güngor und Hannes Loh uvm.