Bildhauer, Sänger, Denker: Lonnie Holley, Foto: David Raccuglia

Die Dämonen seiner Jugend

Lonnie Holley hat eine lange Reise hinter sich und wurde oft verkannt. Jetzt ist er einer der Stars des »Week-End Fest«

Der US-Amerikaner Lonnie Holley hat einen ungewöhnlichen, eigensinnigen Status inne. Auch nachdem er die Bühne mit Folk-Größen wie Bon Iver oder Bill Callahan ­geteilt hat, ist sein Stil immer ein ganz eigener, fantastisch-poetischer geblieben.

Blicken wir zurück: Holley, Jahrgang 1950 und geboren in Alabama als »Rassentrennung« noch die Norm war, hatte eine schwierige Kindheit und fand ­keineswegs ohne Umwege zur Kunst. Seine frühen Jahre waren geprägt von Armut, ständig wechselnden Pflegeeltern und schließlich diversen Jobs, um sich über Wasser zu halten. Zwischendurch landete er immer wieder in Strafanstalten für Jugendliche, darunter die berühmt-berüchtigte »Alabama Industrial School for Negro Children«, in der Heranwachsende gleich einer modernen Sklaven-Plantage von früh bis spät Baumwolle pflücken mussten und wo physische wie sexuelle Übergriffe an der Tagesordnung waren.

Die Dämonen seiner Jugend plagen Holley bis heute und finden immer wieder Ausdruck in seiner Kunst, die vielleicht versucht, diese Geister endlich auszutreiben. Tatsächlich dauerte es aber bis 1979, dass Holley überhaupt einen Kanal für seine Kreativität entdeckte. Nach­dem er aus der Armut heraus die Grabsteine für zwei ­verstorbene Schwestern fertigen musste, begann er weitere Skulpturen aus Stein und Stahl zu fertigen. Schließlich folgten Collagen aus Müll und anderen Materialien, die er entlang der Eisenbahnstrecken seiner Heimatstadt Birmingham fand. Sein Vor­garten wuchs und wuchs, wurde bald Schauplatz immer größerer Skulpturen, die sich über Haus und Hof bis in andere verlassene Grundstücke ­erstreckten. Dabei wurden lokale Museen auf ihn auf­merksam, und Stipendien ermöglichten Holley die Weiterarbeit an seiner Kunst, ohne jemals eine formelle Aus­bildung zu durchlaufen.

So ist im Laufe der Jahrzehnte ein umfassendes Oeuvre entstanden, dass mittlerweile neben Skulpturen auch die Malerei, Fotografie, Performance und nicht zuletzt die Musik mit einbezieht. Während die 80er und 90er noch von Holleys Skulpturen geprägt waren, findet er 2006 zur professionellen Musik. Auch hier regiert sein experimenteller, autodidaktischer Zugang. Ähnlich seinem Vorgehen bei der bildenden Kunst, ist Holleys Folk-Entwurf ein ebenfalls collagierter: ein improvisierter Hybrid aus Blues und fantastischer Poesie! Die Themen des Alltags vermischen sich hier mit spirituellen Bildern, verändern und entwickeln sich weiter mit jedem Konzert, jeder Studio-Aufnahme. Trotz der improvisierten Natur seiner Musik, hat Holley inzwischen ganze fünf Alben veröffentlicht.

Stets gibt es Geräusche, Surren, Brummen, das sich im Hintergrund abspielt; Formen eines cinematischen Unterbaus, der den gewich­tigen Worten mehr ­Körper und Bedeutung zu geben vermag

Sein letztes Werk »Oh Me Oh My« (Jagjaguwar / Cargo) erschien im März und schärft den Fokus der Bewusstseinsströme, die sowohl politische Ungerechtigkeiten anprangern als auch Medita­tionen über spirituelle Erlösung beinhalten. Musikalisch ist es so zurückhaltend produziert, wie man es einem ungewöhnlichen Poeten dieser Art gerne zuschreiben mag. Dabei reicht oft lediglich Holleys Stimme allein, die mit ­ihrem Südstaaten-Akzent leicht gedrückt vor sich hin singt, und der man reichlich Lebenserfahrung anhören kann. Stets gibt

es aber Geräusche, Surren, Brummen, das sich im Hintergrund abspielt; Formen eines cinematischen Unterbaus, der den gewichtigen Worten mehr Körper und Bedeutung zu geben vermag. Dann ­wiederum ist es manchmal bloß das Klavier, das mit langsamen Akkordfolgen den ebenfalls lang-gezogenen Silben ein Gefühl von Weite und transzendentaler Qualität verleiht.

Und auch wenn viele dieser Stücke einen eine zeitlupige Wehmut abbilden, gibt es doch ­einige schwungvollere Kollaborationen mit instrumentaler Band-Unterstützung, auf denen es in Gos­pel-Jazz-Manier überraschend groovig wird.

Für Lonnie Holleys Konzert beim Week-End Fest (Stadtgarten, 2. November) ist ein bisschen von alledem zu erwarten, wenn der Musiker gemeinsam mit der Band »Mourning [A] BLKstar«, einem ­afro-futuristischen Musikkollektiv aus Cleveland, auftritt. Das kleine Boutique-Festival startet sein Programm dieses Jahr bereits am Donnerstag mit dem Eröffnungskonzert von Lonnie Holley, bevor es am Wochenende mit vielseitigen Konzertabenden und Clubnächten auf allen Bühnen des Stadtgartens weitergeht.