Sonst wieder mit, hier ohne Instrument in der Hand: Julian Stetter, © Frederike Wetzels

Signale & Klangwelten

Der Kölner Produzent Julian Stetter ist ein musikalischer Tausendsassa, dessen Klanguniversum kaum Grenzen kennt. Aktuell erscheinen von ihm Platten mit Casey Spooner, Vide Obscur und ­Dumbo Tracks. Zeit für eine Werkschau

Julian, man kennt dich bislang als die eine Hälfte des Kölner Elektro­nik-­Pop-Duos Vimes und als Soloproduzent. Nun trittst du gleich mit mehreren Kooperationen in Erscheinung. Das zumindest auf dem Papier auf­fälligste: deine Produzententätigkeit für Casey Spooner, dessen kommendes Soloalbum »With Love From Death Beach« du mitverantwortest. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Ich hatte bereits 2020 mit Casey Spooner gearbeitet. Da­­mals war ich auf der Suche nach jemandem, der als Gast auf einem Track singen könnte, den ich für Jennifer Cardinis Correspondant Records produziert habe. Über einen gemein­samen Bekannten entstand der ­Kontakt zu Casey, der damals für einige Zeit in Berlin lebte und sowohl Fan vom Label und auch von meiner Musik war. Zwar ist aus dem ursprünglich ge­planten Stück nichts geworden, dafür war ich danach Executive Producer der Musik, die unter dem Namen Casey Spooner erscheinen sollte.

Casey Spooner kennt man als eine Hälfte des Electroclash-Duos Fisher­spooner. Inwieweit hat man bei so einem glamourösen Pop-­Character mit Erfolgsgeschichte denn die Möglichkeiten die Reset-Taste zu drücken? Oder anders gefragt: Hast du die Zusammenarbeit als freies Feld empfunden?

Ironischer­weise war der Tag, an dem wir uns das allererste mal trafen, genau der Tag, an dem sich Fisherspooner aufgelöst haben. Das war zwar alles aufreibend, zeitgleich hatte ich nie das Gefühl, dass meine Rolle damit im Zusammenhang stehe. Der Kontakt zwischen ihm und mir kam zustande, weil er meine Musik schätzte. In den ersten zwei Jahren waren auch noch andere Produzenten am Prozess beteiligt, am Ende waren es aber nur noch er und ich, weil wir die einzigen waren, die sich inhalt­lich einigen konnten. Diese Electro­clash-Welt kenne ich als musik­historisches Phänomen — erlebt habe ich das selbst nicht wirklich. Ich glaube, das hat der Zusammenarbeit gut getan, weil gar nicht die Gefahr bestand sich zu sehr an seine Geschichte anzulehnen. Stattdessen habe ich meine Sozialisation mit in die Kooperation gebracht und es war klar, dass wir uns eher Richtung Panorama Bar-Sound und weniger an großen Festivalbühnen orientieren.

Was würdest du sagen, konntest du seinem Sound-Universum hinzufügen?

Für Casey geht es in seiner Kunst sehr stark um seinen thematischen Überbau, das ist, was er mitbringt: ein Thema, eine Attitude. Da gibt es keine Demos, keine Grundlagen für Tracks, sondern Textzeilen und eine Idee wie der jeweilige Text vermittelt werden soll, eine Energie — und das war es. Die ganze Entwicklung der Stücke — die Sounds, Melodien und Arrangements —, das entsteht alles während der Produktion. So­mit kann ich mit Gewissheit sagen, dass ich meinen Sound hinzufügen konnte! Ich habe zu der Zeit, als wir angefangen haben, zusammen­zuarbeiten, nahezu jedes Wochenende irgendwo aufgelegt und meine musikalische Welt war sehr geprägt von Nachtleben und DJ-Kultur. Und das war genau das, woran Casey zu der Zeit interessiert war.

Mit »Instantaneously«, »Unavail­able« und »Wet« sind drei der ­Stücke des Albums bereits erschie­nen — wie waren denn die Reak­tionen bis dato?

Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Wir hatten 2020 schon einige Songs veröffentlicht und so konnten wir beide ganz gut einordnen, wozu die Zusammenarbeit führen wird. Schön ist, dass wir Zuspruch von einigen Personen bekommen, deren Meinung mir viel bedeutet. Wolfgang Tillmans ist beispielsweise Fan von unserer Kooperation, Klaus Biesenbach auch. Positives Feedback aus solchen Richtungen zu bekommen finde ich toll! Auch dass Casey mit unserer Arbeit live in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, bei Horse Meat Disco in New York oder im Tamayo Museum in Mexico City auftritt, bestätigt, dass wir irgendwas richtig gemacht haben. Seine musi­kalische Geschichte ist geprägt von Produktions- und Publishingbudgets, die man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Plötzlich sind da nur er und ich; unsere Zeitfenster, in denen wir zusammenarbeiten können, sind aufgrund unterschiedlicher Faktoren begrenzt. Da ist man mit Sicher­heit nicht gut beraten, sich an der Aufmerksamkeit, die seine frühere Band erhalten hat, zu messen.

Zudem hast du zusammen mit Jakob Lebsanft eine Platte unter dem Projektnamen Vide Obscur produziert, die auf dem Stuttgarter Label Treibender Teppich Ende November erscheinen wird. Das Kölner Releasekonzert findet am 25.11. in einem Privatclub statt. Jakob ist in letzter Zeit ähnlich umtriebig wie du — wie hat man sich das denn im Studio vorzustellen, wenn zwei Produzenten mit eigenen Recht zu­sammenarbei­ten?

Bei Vide Obscur war von Anfang an klar, dass das eine Art Nebenprojekt ist und wir keine Kapazitäten haben, so viel Zeit damit zu verbringen, wie wir es mit unseren eigenen Projekten tun. Wir hatten fünf Tage lang In­strumente aufgenommen, ohne davor irgendwas von der Musik geschrieben zu haben. Wir haben keinerlei Zeit auf perfekte Takes verschwendet, sondern vielmehr im Geiste der Producer, die wir sind, die Signale zig mal durch alle möglichen Geräte, die wir so angesammelt haben, ge­schickt und versucht, eine Klang­welt zu erschaffen und das Material direkt zu Songs zu arrangieren. Das lief ziemlich konkurrenzbefreit ab. Jeder macht mal, der andere kommentiert, surft solange im Internet oder liegt auf dem Sofa. Durch diese Gelassenheit ist etwas ganz eigenes entstanden.

Ich habe aus einer Art Dogma heraus viele Jahre kein akustisches Instrument angefasst. Irgendwann kam plötzlich mein Interesse an Musik im Bandkontext zurückJulian Stetter

Auch hier die Frage: wie kam es zur Zusammenarbeit?

Ich habe aus einer Art Dogma heraus viele Jahre kein akustisches Instrument ange­fasst. Irgendwann kam plötzlich mein Interesse an Musik im Bandkontext zurück. Ich hatte bis dato gefühlt eine halbe Lebenszeit vor Computern und Synthesizern verbracht und Jakob, der vielmehr mein Freund und nicht mein Arbeitspartner war, hat mich dazu bewegt, den Gedanken weiterzuverfolgen. Er nahm mich dann mit in seinen Proberaum und brachte mich dazu, mir eine Gitarre umzuschnallen. Interessanterweise wurde uns beiden schnell klar, dass unsere teilweise sehr unterschiedlichen Einflüsse und unsere Denkweise als Produzenten eine irgendwie interessante Mischung ergeben und wir eine gemeinsame EP machen wollen.

Gab es am Anfang so etwas wie ein angedachtes Sound-Paradigma, oder habt ihr erstmal frei experimentiert?

Es gab schon Referenzen aber von denen haben wir uns auch immer wieder bewusst distanziert. Wir haben uns während des Prozesses immer wieder gefragt: »Warum sollten wir das jetzt noch weiter in die Richtung von Künstler:in XYZ entwickeln? — Das ma­chen die doch schon. Lass uns daher doch lieber eine andere Abzwei­gung nehmen.« Wir hatten auch bereits alle Instrumentals aufgenommen, als wir uns zum ersten Mal darüber unterhielten auf welcher Sprache der Gesang überhaupt sein soll.

Als ob das noch nicht genug Projekte wären, arbeitest du neuerdings auch mit Philipp Janzen am zweiten Dumbo Tracks-Album (an dem diverse Kölner Musiker:innen beteiligt sind), das auf Bureau B erscheinen soll. Was ist deine genaue Rolle im bisher von Janzen allein bespielten Dumbo-Universum?

Philipp ist in erster Linie einer meiner engen Freunde und wir hatten uns oft über die Arbeit ausgetauscht. Mein Fokus war ja immer sehr elektronisch, seine Arbeitsweise hat viel mehr Aufnahmen mit Bands eingebunden. Es erschien uns interessant, das zu verbinden und zusammen Musik zu schreiben, aufzunehmen und zu produzieren. So kam die Idee eine Produktion zusammen zu machen und da seine neue Dumbo Tracks-Platte anstand, war das der Anlass. Die Idee hinter der Platte war: Wir machen an unseren Modularsystemen Entwürfe von Stücken, die dann als eine Art Grundlage dienen, auf der wiederum Instrumen­talist:innen improvisieren. Aus diesen Jams, deren Grund­stim­mung wir vorgegeben hatten, bauen wir Stücke für Gast­sän­ger:in­nen. Das hat bis zum letzten Schritt überraschend gut funktioniert und wir freuen uns darauf bald alles dem Label einreichen zu können.

Kannst du schon ein paar Namen der beteiligten Musiker:innen nennen?

Es gibt unter anderem Gesangsbeiträge von Rubee, der Sängerin der Kölner Band Smile; von Chris Cummings, Portable und Bobby Conn. Die Liveband waren Joshua Gottmanns, Nils Herzogen­rath, Phillip Tielsch, Leo Alan, ­Chris­topher Martin, Christopher Marquez, Emily Wittbrodt, Mario Katz, Philipp Janzen und ich.

Ach so, eine Solo-EP ist von dir auf Chorus Records, dem Label von Marcus Worgull, obendrein er­schie­­nen?

Verlierst du manchmal selbst den Überblick, an was du gerade arbeitest? Ich glaube, das sieht nach außen nach viel mehr aus, als es sich nach innen anfühlt. Ich arbeite nahezu jeden Tag an Musik. Wäre das über Jahre hinweg das immer gleiche Projekt, wären die Ergebnisse künstlerisch wahrscheinlich nicht allzu interessant. Ich kann das schon ganz gut differenzieren und habe das Gefühl, dass es der jeweiligen ­Arbeit gut tut, sich zwischen­durch mal die ein oder andere Woche auf etwas anderes konzentrieren zu können. Den Überblick verliere ich also nicht. Wenn sich Produktionszeiträume aber stark überschneiden, kann es schon mal anstrengend werden.