Drohnenbild vom Neubau: 30 symbolhafte Bäume auf dem Dach, Foto: Hendrik Fellerhoff / Akademie für Theater und Digitalität

Digital ist besser

Die »Akademie für Theater und Digitalität« erforscht digitale Ästhetiken und Erzählweisen

 »Die Theaterkunst ist eine der ­gefräßigsten Künste von allen«, sagte Kay Voges 2021 in einer ­Podcast-Folge von Respectful Nettheatrechannel. Gefräßig, weil sie alles aufnehme, was ihr in den Weg komme, weil, wie Voges weiter erklärte: »Irgendjemand mal einen Flaschenzug entwickelt hat, und, zack, haben wir gedacht, das können wir doch auf die Bühne packen. Da können doch Menschen aus der Unterbühne hervorgefahren kommen und von den Toten auferstehen.« Und genauso sei es nun auch mit den technischen Möglichkeiten der Digitalität in der Schauspielkunst.

Rund zwei Jahre vor der Aufnahme dieser Podcast-Folge hatte Voges, damals noch Intendant am Schauspielhaus Dortmund, die »Akademie für Theater und Digitalität« gegründet. Also kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie, während der Ensembles,  Kompanien und Theaterhäuser ins Digitale ausweichen mussten, auch in Livestreams und On-Demand-Videos. Doch das interessierte Kay Voges eigentlich nicht: Abgefilmtes Theater, bei dem man die Kamera dort aufstelle, wo sonst das Publikum sitzt, sei lediglich ein historisches Dokument, so Voges. Mit der Akademie wolle man anderes erreichen: neue Erzählweisen in den Darstellenden Künsten erforschen und entwickeln.

Im September ist die Akademie, nach mehreren Jahren in der ehemaligen Schreinerei des Theaters, umgezogen: ins Dortmunder »Hafenquartier Speicherstraße«. In seinem südlichen Bereich bezeichnet sich das Großprojekt auch als »Digitalquartier«. Startups aus der Digitalbranche, Webdesigner*innen und Softwareentwickler*innen haben sich dort ­angesiedelt. In einem massiven Klinkerbau ist die Akademie nun beheimatet. Sie ist ein Forschungsinstitut, keine Spielstätte; hier ­arbeiten internationale Stipen­diat*innen für jeweils fünf Monate an der Entwicklung theaterbezogener digitaler Tools und Methoden. Auf 1.800 Quadratmetern gibt es Laborräume und Werkstätten, in denen zu Augmented Reality und Virtual Reality, Motion Capturing, Sensorik, Robotik, ­3D-gedruckten Kostümen und künstlicher Intelligenz geforscht werden kann.

Einer der diesjährigen Stipendiat*innen ist Piet Esch, eigentlich Kameramann und Filmregisseur, doch seit 2011 arbeitet er auch mit Videoinstallationen, wie etwa in »Ich AG«: Zusammen mit der Künstlerin Lea Hofer vermarktet sich Esch hier als  Merchandise-Produkt seiner selbst, indem er an Verkaufsständern baumelt oder im Internet ersteigert werden kann. Während seiner fünfmonatigen Residenz in der Akademie für Theater und Digitalität beschäftigt sich Esch nun mit den neuen Möglichkeiten des holografischen Theaters, denn diese Technik kann nicht nur die Illusion von Menschen auf die Bühne erwecken, sondern auch ein Bühnenbild schaffen. Ein Beispiel aus der vergangenen Theaterspielzeit: In der Inszenierung »Felix` Room« am Berliner Ensemble wurde mittels 3D-Scannern die holografische Illusion eines Zimmers entworfen, um die Geschichte des jüdischen Kaufmanns Felix Ganz zu erzählen.

Entwickelt wurde ein Tool, das die Stimmung im ­Publikum erfasst und mit dem ­Bühnengeschehen verknüpft

Einige Prototypen wurden in den vergangenen Jahren seit Bestehen der Akademie dort bereits entwickelt, etwa das Tool von »artis mobiles«, das die Stimmung im Publikum als Daten erfasst und diese mit dem Bühnengeschehen verknüpft: Die visuelle Ästhetik, Geräusche und Bewegungen, alles reagiert auf die Atmosphäre in den Zuschauer*innenreihen. Und die belgische Theatergruppe »Venedig Meer« erforschte alternative Energiequellen im Bereich der Theatertechnik, indem Strom mithilfe von Schwerkraft generiert und auf der Bühne eingesetzt wird. Wie kann ressourcenschonend gearbeitet werden? Welche alternativen Energieressourcen stehen zur Verfügung? Und wie viel Licht braucht es überhaupt, um eine Geschichte dem Publikum zu vermitteln?

Finanziert wird die Akademie für Theater und Digitalität vom Land Nordrhein-Westfalen, von der Stadt Dortmund und durch projektbezogene Fördergelder. Auf dem Dach des Gebäudes wächst seit der Eröffnung ein kleiner Wald: 30 Bäume, viele verschiedene Arten, wurzeln hier, verankern sich in einem eigens konstruierten Stahlgitter und können bis zu zwanzig Meter hoch werden. Symbolhaft sollen sie für Wachstum und ein diverses Netzwerk stehen, das sich gegenseitig nährt und stärkt.