Von Nichts- zu Alleskönnern

Ein neues Buch beleuchtet die Kölner Subkultur der 80er und 90er Jahre

Köln hält sich selbst gerne für den Nabel der Welt — und für eine kurze Zeit stimmte dies sogar. Von etwa Mitte der 80er bis Mitte der 90er Jahre war Köln der unbestrittene Mittelpunkt der deutschen Pop- und Kunstszene. Ein neues Buch erzählt jetzt die Geschichte dieser Zeit: »Wir waren hochgemute Nichtskönner«.

Geschrieben haben es Gisa Funck, die als Kultur-Journalistin hauptsächlich für den Deutschlandfunk (und manchmal für die Stadtrevue) arbeitet und Gregor Schwering, der an der Ruhr-Universität Bochum Germanistik und Medienwissenschaften unterrichtet. »Ich wohne seit 1988 hier und habe ein ambivalentes Verhältnis zur Stadt«, sagt Funck. »Köln ist sehr selbstbezogen.« Dabei fiel ihr auf, dass in dieser Selbstbezüglich­keit zwar oft über BAP oder Arsch Huh gesprochen wird, aber wenig über die Spex, das Techno-Label Kompakt oder die Kölner Kunstszene der 80er und 90er Jahre, »das coole Köln«. Eigent­lich schwebte ihr ein Roman zum Thema vor, der Verlag hatte jedoch eher Interesse an einem Sachbuch. Nach einem Abend in einer Cocktailbar war dann auch Co-Autor Schwering mit dabei, der in den 80er und 90er Jahren in Köln studiert hat. 2017 führten die beiden die ersten Interviews für das Buch, sechs Jahre und einige unvorhergesehene Verzögerungen später ist es nun fertig.

Eigentlich seien »Wir waren hochgemute Nichtskönner« vier Bücher in einem, sagt Gisa Funck. »Schon über die Spex hätte man ein eigenes Buch schreiben können.« 1980 wurde die Spex als ­Musik-Fanzine in Köln gegründet, 2006 wurde die Redaktion gegen ihren Protest nach Berlin verlegt. Dazwischen hat sich die Pop-Zeitschrift mehrfach neu erfunden. Aus dem Fanzine mit Interviews, in denen auch schon mal das Lieblingsbier der Bands Thema war, wurde ab 1983 die erste Zeitschrift, die sich in Deutschland ernsthaft mit Popkultur auseinandersetzte. Autor:innen wie Clara Drechsler oder Diedrich Diederichsen schrie­ben schlau und lustig über Musik, die in den etablierten Feuilletons keinen Platz fand, und fabulierten so nicht nur eine neue Art des Schreibens über Musik herbei, sondern auch so etwas wie einen Pop-Underground aus der Spex und ihren Leser:innen, die sich vereint darin fühlen konnten, etwas besser Bescheid zu wissen. Nach dem Mauerfall und den rassistischen Anschlägen der frühen 90er Jahre wurde das Heft zum Organ einer Kultur-Linken, die Pop mit feministischer und antirassistischer Theorie lasen. »Ich wollte die Geschichte der Spex als Journalistin erzählen«, sagt Gisa Funck. »Aber nach den ersten Interviews wurde mir klar, dass da auch viel Mythos mitschwingt.« Besonders pfleglich gehen Schwering und Funck mit dem Mythos Spex­ nicht um. Funck liest besonders die Ausgaben der 80er Jahre noch einmal gründlich, entdeckt viel Fabulierlust aber auch viel Sexis­mus — etwa in einem Text, in dem der spätere Büchnerpreis­träger Rainald Goetz die Kölner Spex-Autorin Heike Melba-Fendel wegen ihres Aussehens beleidigte. Anderen Autorinnen wurde auf den Leserbriefseiten eine Karriere als Pin-up nahegelegt. Die Autorinnen reagierten darauf sehr unter­schied­lich: Clara Drechsler und Heike Melba-Fendel schossen zurück, Isabelle Graw, die in den frühen 90ern ins Umfeld der Spex kam und später Texte zur Kunst mitbegründete, empfand den Jungsclub Spex als sehr belastend. »In den 80ern herrschte eine Beleidigungs­kultur, dazu gehörte auch Frauenfeindlichkeit«, sagt Gisa Funck. »In den 90ern änderte sich das mit dem Aufkommen von Political Correctness und Identitätspolitik.«

Es war damals okay, auszuprobieren und Fehler zu machen
Gisa Funck

Den gleichen Epochenbruch wie die Spex erlebte auch die Kölner Kunstszene. In den 80er Jahren wurde sie durch die Maler dominiert, die sich mit ihrem expressiven Stil von der Konzeptkunst der 70er Jahre abgrenzten. Die Ausstellungen der Künstlergruppe »Mülheimer Freiheit« rund um Walter Dahn und Peter Bömmels bestanden oft aus spontanen Bildern mit reichlich Fäkalhumor und sorgten mit ihrer Scheißegal-Haltung für bundesweite Aufmerk­samkeit. Das wiederum zog andere Figuren aus dem Kunstbetrieb an, allen voran den Galeristen Max Hetzler und seinen Zögling Martin Kippenberger. Kippenberger war der Rockstar der Kunstszene, soff die Nächte in  Szenekneipen durch und hielt samstags im Café Broadway an der Ehrenstraße ­Audienz. Immer mit dabei: ein Schwall an Beleidungen, die er willkürlich austeilte. »Ich finde Kippenbergers Kunstwerke großartig, aber wäre ihm auch nicht unbedingt gerne privat begegnet«, meint Gisa Funck. In ihrer Darstellung erscheint Kippenberger dann auch als tragische Figur, der ihr Image bei der künstlerischen Lauf­bahn im Weg steht. Mit fast schon soziologischer Beobachtungsgabe schildert Gisa Funck außerdem, wie sich im Schatten der 80er-Jahre-­Kunststars in Köln ein Netzwerk aus talen­tierten Galerist:innen und Autor:innen bildete, das den Grundstein für die theoretisch unter­fütterte Institutionenkritik der 90er Jahre legte.

Dem gegenüber stehen die beiden Kapitel über die Kneipen- und Technoszene Kölns, die Schwering als Zeitzeuge verfasst hat. Sein autofiktionalisierter Charakter erlebt dabei Kneipenschlägereien mit Skinheads im Blue Shell, diskutiert im Six Pack über die Psychoanalyse von Jacques Lacan und wird durch die ersten Technoplatten in seinem Selbstbild als intellektueller Fan von Underground-Pop irritiert. Und klar, eine unerfüllte Lovestory darf dabei nicht fehlen. Dazwischen werden immer wieder Interview-Ausschnitte von Kneipiers und Gästen montiert, die deutlich machen, wie sehr die Enge der Kölner Szene dazu führte, dass sich die Szenen gegenseitig befruchteten. »Man konnte damals einfach so in die Kneipe gehen und traf immer jemand Interessantes an der Theke«, sagt Gisa Funck. Und noch ­etwas hält sie für sehr typisch für diese Zeit: »Es war damals okay, auszuprobieren und Fehler zu ­machen. Davon wünsche ich mir heute mehr.«

Auch die Technoszene rund um das Label Kompakt ist ein Resultat dieser Haltung. Jörg Burger, einer der Gründer, hatte im Rahmen der Stollwerck-Besetzung seine erste Band gegründet und lernte später den wissbegierigen Spex-Leser Wolfgang Voigt kennen. Nachdem beide durch Acid House infiziert wurden, und sich selbst das Programmieren der elektronischen Instrumente beigebracht hatten, eröffneten sie Anfang der 90er einen Plattenladen für elek­tronische Musik, in dem Michael Mayer, der dritte Kompakt-Mitbegründer regelmäßig abhing. Man kennt sich und man hilft sich — das ist dann doch irgendwie ein bisschen kölsch.

Gisa Funck und ­Gregor Schwering: »Wir waren hochgemute Nichtskönner. Die rauschhaften Jahre der Kölner ­Subkultur 1980–1995«, KiWi, 352 Seiten, 28 Euro