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»Kein Tag in Köln ohne Übergriffe«

Auch in Köln wächst die Sorge vor Antisemitismus — nicht zuletzt an den Schulen

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat sich das Leben der Kölner Jüdinnen und Juden verändert. »Hier gab es zwar noch keine Anschläge mit Molotow-Cocktails wie in Berlin, dafür passieren andere Delikte, die in der Wahrnehmung der Betroffenen genauso schlimm sein können«, sagt Daniel Vymyslicky von der Antisemitismus-Meldestelle, die im NS-Dokumentationszentrum angesiedelt ist. Die Meldestelle verzeichnet einen »massiven« Anstieg antisemitischer Ausschreitungen: Vom 7. Oktober bis 7. November hat sich die Zahl der Delikte im Vergleich zum Vorjahr verfünffacht, von sechs auf 33. »Kein Tag in Köln ohne antisemitischen Übergriff«, sagt Vymyslicky und zählt auf: geäußerte Vernichtungsfantasien in einem Kiosk in Nippes, Sach­beschädigung durch volksverhetzende Schmierereien, Gewalttaten im Rahmen von Demonstrationen. »Jüdische Kinder werden aus Angst nicht mehr in die Schule geschickt, Klingelschilder überklebt. Das Klima darf nicht dazu führen, dass Judentum in Köln noch unsichtbarer wird!«

Dass Kriege in Nahost zu einem Anstieg antisemitischer Delikte in Köln führen, hat die Meldestelle schon 2021 registriert. »Derzeit wird uns viel israelbezogener ­Antisemitismus, häufig aus migrantischen Communitys, gemeldet«, so Daniel Vymyslicky. »Das ist aber keinerlei Absolution für die deutsche Mehrheitsgesellschaft.« Der Antisemitismus aus der Mitte, von Rechts und Links nehme ebenfalls zu. »Der Krieg bietet auch für die anderen Milieus eine Gelegenheitsstruktur.« Vor allem Schulen seien ein Hot Spot, sagt Vymyslicky: »Uns werden verbale Vorfälle gemeldet, Verschwörungstheorien bis hin zu Holocaust-Leugnungen.« Köln hat 300 Schulen mit mehr als 100.000 Kindern und Jugendlichen, gesellschaftliche Probleme manifestieren sich hier oft frühzeitig. »Das ist natürlich eine riesige Gruppe. Da gibt es mit Sicherheit auch eine hohe Dunkelziffer.«

An der Ferdinand-Lassalle-­Realschule in der Nähe des Mülheimer Stadtgartens lernen 540 Schüler aus 60 Nationen gemeinsam. Ein Großteil hat einen türkeistämmigen Background. Politische Bildungsarbeit wird hier schon lange groß ­geschrieben: Die AG Antirassismus fährt einmal im Jahr nach Auschwitz, das Projekt Interkultur beschäftigt sich mit Herkunft und Lebensweisen, und Lehrkräfte ­organisieren Fortbildungen, wie man Islamismus früh erkennt. Und es gibt viele Lehrkräfte, die die Muttersprache der Schüler sprechen. »Wir sind mit Sicherheit kein Ort der heilen Welt, aber für den Standort mit so heterogener Schülerschaft haben wir größtenteils ein friedliches Zusammenleben«, sagt Schulleiterin Marion Engels.

Nach den Herbstferien habe lediglich ein Schüler der unteren Klassen unaufgefordert einen Vortrag vorbereitet, in dem er nicht nur Israel für den Krieg verantwortlich gemacht, sondern auch die deutschen Behörden stark kritisiert habe, sagt Politiklehrer Firat Gülmez. »Ich habe ihn vortragen lassen und dann versucht, ihm meinen Standpunkt näherzubringen.« Gülmez hält es für wichtig, auch kontroverse Meinungen zuzulassen, sie aber von anti-demokratischen Standpunkten klar abzugrenzen: »Die Kinder müssen die Grenze zwischen Kritik an konkreten Handlungen der israelischen Regierung und Antisemitismus verstehen«. Den Schülern die Meinungsäußerung zu verbieten, hält er für falsch. »Dadurch ändern sie ja nicht ihre Haltung, im Gegenteil. Dann gehen sie in die Peergroup oder vielleicht in eine Hinterhof-Moschee, und ihre Meinung wird bestätigt oder gar radikalisiert.«

Die Kinder müssen die Grenze zwischen Kritik an konkreten Handlungen der ­israelischen Regierung und Antisemitismus verstehen
Firat Gülmez, Politiklehrer

Für Isabell Kruse, die mit Firat Gülmez die AG Antirassismus leitet, ist die Beziehungsarbeit — Lehrkräfte unterrichten eine Klasse von Stufe 5 bis 10 — entscheidend, um den Schulfrieden zu wahren und antisemitischen Vorfällen vorzubeugen: »Dank unserer jahrelangen Beziehungsarbeit gelingt es uns zu den Schülerinnen und Schülern durchzudringen.« Weitere Vorfälle seien nicht dazugekommen, sagt Schulleiterin Marion Engels. »Wir können nicht das Klischee bestätigen, dass alle Muslime Hamas-Sympathisanten sind. Die mag es geben, aber die große Mehrheit will einfach nur Frieden.«

Auch das Schulleben an der Katharina-Henoth-Gesamtschule in Kalk verläuft laut Schulleiter Martin Süsterhenn bislang ruhig: »Es kamen inhaltliche, aber keine obskuren Fragen, was mich etwas erstaunt, weil unsere Schüler ja auf obskuren Social-Media-Kanälen unterwegs sind und zweifelhafte Videos statt Nachrichten konsumieren.« Sorgen bereitete ihm der Besuch des türkischen Präsidenten Erdoğan in Berlin, der die Hamas als »Befreiungsorganisation« bezeichnete und immer wieder antisemitische Aussagen tätigt: »Erdoğans Hassreden sind brandgefährlich in einer multikulturellen Gesellschaft. Wir vermuten, dass viele unserer Kinder in Erdoğan-treuen Haushalten aufwachsen und seine Haltung eine große Bedeutung für sie hat.«