Im Frucht gummi Rausch

In Ehrenfeld hat Deutschlands einzige Rollschuhdisco eröffnet. Unter bunten Lichtern kann man hier seine Runden drehen. Was fasziniert die Menschen an diesem Ort? Ein Besuch auf acht Rollen

Wer in den 80er Jahren in die Rollschuhdisco ging, brachte sein eigenes Paar Rollschuhe mit. Heute Abend in Ehrenfeld leihen sich die meisten Besucher Rollschuhe aus. Ein junger Mann reicht die Paare über die Theke, sie sind knallbunt oder glänzen metallisch, und ihnen entströmt ein dezenter Fußgeruch. Der Rollersclub, Deutschlands einzige Rollschuhdisco, hat im Februar eröffnet. Ist dies nur ein kurzer Retro-Gag für Boomer, die ihre Jugend in der Rollschuhdisco verbracht und im Kino »La Boum« ­geschaut haben?

Im Gewerbegebiet an der Vogelsanger Straße ist die Musik schon von weitem zu hören. Der Rollersclub befindet sich in einer früheren Lagerhalle im ersten Stock und sieht so aus, wie jede Disco aussehen sollte: schwarz-weiß karierte Wände, bunte Lichter, Discokugel unter der Betondecke. Sehr viele Besucher hier sind um die zwanzig oder jünger, und sie fahren zum Gesang von Lady Gaga durch den Raum, immer im Kreis, wobei einige sich ängstlich an Pfeilern festklammern, während andere ­dahingleiten wie stolze Schwäne.

Ein Discobesuch kann mit quälenden Fragen einhergehen. Ist es okay, einfach in der Ecke zu stehen, oder muss man sich auf die Tanzfläche wagen? Am besten erst mal was trinken? Und ist man wirklich in der Stimmung, jemanden kennenzulernen? All diese Fragen ­stellen sich in der Rollschuhdisco nicht. Man zieht die Rollschuhe an und fährt los, sogar die Richtung ist dabei vorgegeben. Alkohol gibt es keinen, als Rauschmittel dienen hier nur Bubble-Tea und Fruchtgummis. Auch zum Flirten komme man eher nicht hierher, sagt der ­junge Mann an der Theke, der die Rollschuhe verleiht. »Die meisten sind mit ihrem Partner oder der Familie hier.« Viele Kindergeburtstage würden hier gefeiert, sagt er. »Und am Samstagabend kommen unsere Stammgäste. Die fahren richtig gut!«

An diesem Abend zieht eine Frau mit goldener Handtasche alle Blicke auf sich. Sie kann alles: Rückwärts ­fahren, das Bein lässig anwinkeln, sogar Pirouetten drehen. Bei ihr sieht es tatsächlich so aus, als tanze sie. Ist sie Profi-Sportlerin? »Ich hasse Sport, aber ich liebe Rollschuhfahren«, sagt die Frau und lacht. Sie heißt Katia, ist 36 und Kostümbildnerin von Beruf. Sie erzählt, wie sie sich Rollschuhe bestellte, als während der Pandemie alles geschlossen war, und sie ihre Tage auf einer stillgelegten Eisbahn in Südtirol verbrachte, wo sie herkommt. »Das ist Rollkunstkauf. Ich habe mir alles mit Youtube-Videos selbst beigebracht. Du kannst das auch lernen, aber du musst Schutzkleidung tragen, am besten auch einen Helm«, sagt sie und zeigt auf ihre Narbe an der Augenbraue: ein Rollschuh-Unfall.

Ich arbeite zehn, elf Stunden am Tag, das ist schon ­stressig. Aber beim Rollschuhfahren kann ich abschaltenKatia, Kostümbildnerin

Inzwischen lebt sie in Berlin, erzählt sie, und fährt dort viel auf dem Tempelhofer Feld. »Das ist nicht so schön wie in Südtirol, aber groß«, sagt Katia. Heute Abend in Ehrenfeld trägt sie natürlich ihre eigenen Rollschuhe aus Leder, die sie in den USA gekauft hat. Dreihundert Euro hat sie bezahlt. Sie müssen nun immer mit, wenn Katia unterwegs ist, und das ist sie oft, weil der Job es verlangt. »Ich arbeite zehn, elf Stunden am Tag, das ist schon stressig. Aber beim Rollschuhfahren kann ich abschalten.« Dann muss Katia los, nach zwei Stunden auf der Tanz­fläche hat sie Hunger bekommen.

Inzwischen sind neue Gäste eingetroffen. Sie können sich kaum auf den Rollen halten. Zwei junge Frauen um die zwanzig stützen sich gegenseitig und fallen doch ­immer wieder um, sie kichern, helfen sich auf, und alles geht von vorn los. »Ich durfte als Kind nie Rollschuh ­fahren, auch keine Inliner, meine Mutter fand das zu ­gefährlich«, sagt die eine. »Jetzt sieht man das Ergebnis dieser Erziehung!« Ihre Freunde hätten sie mit hierher geschleppt, erzählen sie. Die Freunde, zwei Cousins aus Leverkusen, lümmeln auf einer Bank herum und filmen ihre Freundinnen beim Versuch, das Gleichgewicht zu halten. Überhaupt, scheint das Filmen und Fotografieren vom Rollschuhfahren beinahe so wichtig zu sein wie das Rollschuhfahren selbst. Ein Mann Mitte vierzig filmt seine Begleiterin, ein Mädchen macht Selfies, und wenn jemand zufällig ins Bild gerät, dann macht das gar nichts, schließlich ist das hier nicht frühmorgens vorm Berghain.

Ein zwölfjähriges Mädchen aber fährt seit einer Stunde pausenlos, ganz in sich versunken, geht zwischendurch in die Knie, probiert Figuren aus. Sie ist mit der großen Schwester und dem Vater hier, der Vollbart und Kapuzenpulli trägt. Endlich, ein Boomer! »Ich war früher oft in der Rollschuhdisco in Frechen«, berichtet der Vater wie auf ­Bestellung. »Hier ist es viel schöner, aber früher war die Musik besser«, sagt er, und seine Tochter verdreht die Augen.

»Ich bin zuletzt 1985 Rollschuhe gefahren«, sagt dann noch ein anderer Mann, der Ahmet heißt. Er und seine Freundin sind heute extra aus Kürten gekommen. »Mir war nicht mehr klar, wie anstrengend das ist. Siehst du, wie ich schwitze?«, sagt er und deutet auf seine Stirn. ­Seine Freundin guckt etwas enttäuscht, sie hätte gerne mehr Musik aus den 70er und 80er Jahren gehört, sagt sie. »Nächstes Mal komme ich mit meinen Arbeitskolleginnen. Zu zweit ist es ein bisschen langweilig.« Später aber wird doch noch Abba gespielt, »Dancing Queen«, was sonst, und die Frau aus Kürten rollt schnell wieder auf die Tanzfläche, sie hebt die Arme, ihr Freund filmt, und von Langeweile ist in ihrem Gesicht nichts mehr zu sehen. 

Rollers Club, Vogelsanger Str. 348, Ehrenfeld
Ö: Di–Do 17–21 Uhr, Fr 17–0 Uhr, Sa 13–0 Uhr, So 12–20 Uhr
rollersclub.de