Mein erster Promi-Traum. Eine Nacherzählung

Materialien zur Meinungsbildung

Anderen ist im Traum schon der liebe Gott oder der Leibhaftige erschienen, und sie haben sich mit ihnen nett unterhalten, die beiden sind prominent, aber scheinen keine Allüren zu haben. Ich träume nie von Prominenten. Gesine ­Stabroth hat mal von Markus Söder geträumt. Schweißgebadet sei sie erwacht, sagte sie. Genaueres zu erfragen, verbot ich mir.

Jetzt hatte ich einen Promi-Traum. Ich traf den Kapitalismus. Zuerst sah er aus wie mein Zahnarzt, dann wie Tante Roswitha, später wie einer jener jungen Männer, die vormittags in den Cafés vor ihrem Laptop Kaffee trinken. Der Kapitalismus ist divers, er hat viele Gesichter.

Wir saßen im Wohnzimmer von Oma Porz, sie bewirtete uns mit immer neuen seltsam großen Keksen. Es war gemütlich. Viele Menschen können sich mit dem Kapitalismus arrangieren. Ich tat im Traum so, als wundere es mich nicht, dass der Kapitalismus ein Mensch sei. Ich hatte andere Fragen. So viele Menschen hassen ihn, so vieles wird ihm zur Last gelegt: seine Menschenverachtung, seine Skrupellosigkeit, die Profitgier. Selbst wenn es in der Liebe nicht klappt, ist er schuld! Na, das alles schien ihm zu schmeicheln. Doch sagte er, indem er einen Keks wie eine Hostie nahm, das alles habe es doch auch gegeben, bevor er in die Welt gekommen sei: Kriege, Ausbeutung, Unterdrückung, Neid und Missgunst — und sei nicht vieles besser geworden? Mit einer diabolischen und theatralischen Handbewegung deutete er auf Oma Porzens Wohnzimmerregale, die nun voller Nippes standen, der glitzerte und funkelte, sinnlos zwar, aber hübsch anzuschauen.

Ich wurde mutig. Ich sagte, dass ich ihn hasse! Er lächelte unverstellt und sagte, Hass sei ein starkes Gefühl, und Gefühle seien die Grundlage für jede Beziehung, private wie geschäftliche. Und nicht zuletzt würde all mein Handeln zeigen, dass gar nicht wahr sei, was ich behaupte. Dann sagte er einen wuchtigen Satz: dass es nichts außerhalb seiner gebe. Er war ein Teufel, der sprach wie der liebe Gott. Ich dachte an seine Schöpfungen: an Cola-Dosen in Regenbogenfarben, an kapitalismuskritische Bestseller, ich dachte an Menschen, die Adidas-T-Shirts tragen und die Faust zum Widerstand emporrecken, die glauben, sie hätten sich von IHM befreit und die doch so begierig auf seine Waren und Dienstleistungen sind, auf seine Belohnungen. Hatte dieser Teufel recht?

Oma Porz saß schulterzuckend vor einem riesigen Berg der großen Kekse. Es waren mehr als genug, sie wirkte erschöpft und schien dahinter zu verschwinden. Ich aber wollte nicht mit dem Kapitalismus allein sein. Wie er da saß, mit seinen Sneakern, dem T-Shirt, auf dem irgendetwas stand, und den geschmeidigen Bewegungen, mit denen er die Kekse aß — ja, ich hatte ihn mir anders vorgestellt. Im Traum erschienen schwarzweiße Bilder von dicken Männern, in Anzügen, Zigarre rauchend. Er schien das zu bemerken, der Kapitalismus kann Gedanken lesen. Er weiß, was wir wollen, bevor wir es selbst wissen. Ja, er habe sich verändert, sprach er, man dürfe nicht stehen bleiben. Er ernähre sich vegan, liebe HipHop und fahre meist mit dem Rad. »Ich bin einer von Euch, ich bin wie Du«, sagte er. Mich fröstelte. Oma Porz hatte sich in Luft aufgelöst.

Als ich später Oma Porz besuchte, war mir beklommen, zumal sie fragte, ob sie mal vegane Kekse backen solle. Manche sagen, dass Menschen, die uns im Traum erscheinen, ganz andere seien als die, für die wir sie halten. Ich habe keinen Anlass, das zu glauben. Bloß Oma Porz aus dem Traum kam mir im Nachhinein wie jemand anderer vor. Nicht wegen der großen Kekse, sondern weil der Kapitalismus Turnschuhe trug. Normalerweise herrscht bei Oma Porz die Regel, dass man die Schuhe auszieht. Der Kapitalismus aber macht, was er will.