Gute Laune auch nach Rückschlägen: Black Country, New Road, Foto: Holly Whitaker

Die Krisen schweißen zusammen

Die Krisen schweißen zusammen sind die Band der Stunde, dabei schien ihre Zeit schon abgelaufen

Wenn man ehrlich ist, sehen Black Country, New Road wie zusammengecastet aus: Da ist die elegante Pianistin May Kershaw, der feurige Rotschopf Charlie Wayne an den Drums, Lewis Ewans spielt mit Boyfriend-Maßen und Hundeblick Saxofon und Flöte, Tyler Hyde spielt Klassische Gitarre und Bass, singt aber immer häufiger, was ihr sehr gut steht. Weiter sind da der introvertierte Gitarrenfan Luke Mark und die coole Violinistin Georgia Ellery.

Alle jung, gutaussehend, ausgesprochen talentiert und Multiinstrumentalist*innen. Sie bilden das wohl spannendste Sextett der aktuellen Musikwelt. Nicht ohne Grund pilgern 900 Menschen Ende Oktober in den Kölner Norden zur Kantine, um ein Konzert der Londoner zu sehen — obwohl »Tatort« läuft und die Kantine über die fiese Neusser Landstraße angesteuert werden muss. Als die Band auf die Bühne tritt, brandet tosender Applaus auf; ein paar ­ältere Semester und viele Jün­gere geben der Band, die kaum ­älter ist als ein Großteil ihres Publikums, längst verdiente Vorschusslorbeeren.

Wer hätte das im Februar 2022 gedacht!? Damals war die Band nämlich am Ende. Naja, fast. So steil der Aufstieg seit ihren Anfängen als Black Country, New Road war, so hart war die (Zwischen-)Landung.

Die Fans hatten bereits Ende 2021 von Touren gehört, die wegen gesundheitlicher Probleme abgebrochen werden mussten, im gleichen Atemzug kündigten sie aber ein neues Album an: auf »For The First Time« folgte »Ants From Up There«. Innerhalb eines Jahres zwei Alben, dazwischen permanent Shows samit Presseterminen. Für das Gesicht der Band, Sänger, Songwriter und Gitarrist, Isaac Wood zu viel. Vier Tage vor Albumrelease veröffentlichte die Band ein Statement, indem sie Wood zitiert: »I’m feeling sad and afraid …« — psychische Krise, Ausstieg, das Ende der Band? Sie entschieden sich weiterzumachen.

»Es war wahnsinnig großartig, wie viel Unterstützung und Liebe uns entgegengebracht wurde«, erzählt uns Lewis Ewans vor der Show in einer Jeansjacke mit gleich mehreren Pins der eigenen Band. Man habe kämpfen müssen, aber innerhalb kurzer Zeit ein Programm auf die Beine gestellt, das man live präsentieren konnte. »Klar, es geht noch besser und wir versuchen täglich besser zu werden in unserem neuen Set-up. Aber das Live-Set, das wir heute spielen — darauf können wir sehr stolz sein.« May Kershaw stimmt ihm zu: »Auf bestimmte Art und Weise war es eine gute Entscheidung so schnell wieder auf die Bühne zu gehen. So blieb uns weniger Zeit, darüber nachzudenken, was passiert war«, resümiert sie den Umstand, dass man bereits nach drei Monaten Songwriting und Proben wieder aufgetreten ist — mit völlig neuem Songmaterial, denn: »Wir haben uns geschworen, keine Lieder von den beiden ersten Platten zu spielen. Das würde sich nicht richtig anfühlen.« Kaum gesagt, öffnet Kershaw sprichwörtlich die Tür: »Wir werden die Stücke nicht spielen, solange Isaac nicht dabei ist.«

Da ist also noch ein Fünkchen Hoffnung, was sofort klar macht, wie eng diese Band doch miteinander ist: Sie alle sind Schulfreunde, gründeten damals eine Band namens Nervous Condition, waren schon als Teenager hochgehandelt. Dann gab es mehrere Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen den damaligen Bandkollegen Connor Browne. Man löste die Gruppe auf, doch Wood, Ellery, Ewans, Kershaw und Hyde machten weiter, holten Luke Mark an Bord. Krisen überstehen ist eine Spezialität dieser Band geworden, so scheint es — und so klingt es auch, wenn man die Lyrics der Band hört. Brutal ehrlich werden hier Zustände von Teenage und Twentysomething Angst, von Isolation, Wut, Depression, Über­wältigung, Selbstkasteiung, Paranoia und gesellschaftlichem Druck, ganz viel Druck be- und umschrieben.

Wir wissen jetzt, dass es vielleicht schneller enden kann, als wir denken. Also versuchen wir es zu genießenLewis Ewans

Die musikalische Spur dazu: Auf den ersten Alben standen BC, NR für Post-Punk zwischen The Fall und Slint, der aber auf geschickte Weise immer wieder von den Jazz-Klezmer-Klängen à la John Zorn zerbrochen wurden. Violine und Saxofon spielten unisono, was der Musik mitunter folk-eske Züge verlieh, dazu schmetterten die Gitarren dissonant, das Piano zwirbelte Ostinati rein und Charlie Wayne am Schlagzeug klirrte mit seinen Cymbals wie ein Emocore-Drummer. Was wild klingt, ist immer noch wild — einnehmend und atemberaubend, schön und stocksauer zugleich.

Wie schafft man es als Band, damit klar zu kommen, wenn ein integraler Part plötzlich fehlt? »Die Krisen haben uns ganz sicher zusammengeschweißt. Wir sind uns näher denn je — und es hat unser Verhältnis zu dem, was wir machen, nochmal verändert«, erzählt Ewans, »Wir wissen jetzt, dass es vielleicht schneller enden kann, als wir denken. Also versuchen wir es zu genießen.« Gerade dieses Moment des Genießens, des Spaßhabens, wird von der Band  im Gespräch unablässig betont. Die Lockerheit, selbst in den größten Krisen, kommt nicht von ungefähr: Man achte mehr auf sich und die anderen, man plane auch nicht mehr so weit in die Zukunft, nehme nicht zu viele Verpflichtungen an. Kershaw erzählt weiter, dass der Raum sich einzubringen jetzt »safer« sei als früher — was vor allen Dingen bei der Aufgabe schnellstmöglich Lieder zu schreiben geholfen habe. Aber dennoch: »Wir sind noch nicht mit den Stücken fertig, auch wenn wir sie live präsentieren.« Live präsentieren heißt in ihrem Fall, auch eine Live-LP zu produzieren, wie jene, die im April 2023 erschien: »Live at Bush Hall«.

»Wir wollten die Platte eigentlich gar nicht veröffentlichen«, gesteht Kershaw. Es sollte bloß ein Youtube-Film entstehen: Drei Shows, zu einem Film zusammengefasst, mit drei verschiedenen Themen im Kostüm- und Bühnenbild. Doch dann habe man doch die Stücke einfach der breiten Öffentlichkeit als Album präsentieren wollen. Wahrscheinlich auch, weil man sich als Band weiterentwickelt hat: Die Post-Punk-Anteile sind fast gänzlich verschwunden; dafür findet sich nun mehr Postrock in den Stücken. Und eine unüberhörbare Nähe zum 70er-Jahre-Canterbury-Sound von Soft Machine; und aus den USA grüßt Artfolk-Star Joana Newsom.

Manchmal werden sie elegisch, von hergebrachten Songstrukturen halten sie wenig, nie ist man als Hörer vor dem nächsten Bruch sicher. Die innere Spannung, die Themen und auch die spontanen Ausbrüche von Charlie Wayne an den Drums haben sie beibehalten. Und damit nicht nur das überbordende Talent der sechs Musiker*innen bewiesen, sondern sich vielleicht sogar den Titel der besten aktuellen Band der Welt gesichert — oder vielleicht der aktuell besten Band der Welt? 

Info: blackcountrynewroad.com