Verwundbar und kraftvoll: Andras, © Monikka Schreiber

Der Körper im Zentrum

Performancekünstler*in Andras verschmilzt ­starke Körperlichkeit und ­elektronische Sounds

Andras live — das ist ein multimediales Konzert: Es laufen Visuals von 3D-Artist Lukas Becker, die immer wieder die Grenzen von menschlichen Körpern verlaufen lassen, während Andras zu harten, rhythmischen, aber auch leisen und fragilen Sounds singt und performt. Musikalisch zwischen Hyper-Pop, Latin und experimenteller Elektronik sind hier harte und brechende Drums charakteristisch. Verwundbar und kraftvoll rückt Andras den eigenen Körper ins Zentrum: in Popstar-Posen, mit denen Andras divenhaft die Bühne bespielt, um im nächsten Moment im Publikum eine Clubstimmung zu inszenieren, in der alle verletzlich werden dürfen: »But if you’re afraid; I’ll guide you through the way«, singt Andras und löst die Grenzen zwischen Bühne und Publikumsraum auf.

Mit dem Debüt »Cuerpo Temperamental« von 2021 tourte Andras, brasilianische*r, in Düsseldorf lebende*r, nicht binäre*r Künstler*in, durch Europa. Nun erscheint die zweite EP.

Du hast Tanz studiert, wie bist zu zum Musikmachen gekommen?

Tanz war bisher die wichtigste Kunstform für mich, aber eigentlich habe ich in Brasilien mit Theaterspielen begonnen. In einer Theaterschule für Kinder, die ein sehr multidisziplinäres Verständnis von Theater hatte. So kam ich auch mit Musik und Tanz in Kontakt. Ich denke, ich hatte immer eine Neigung zum Singen und zur Musik im Allgemeinen. Und natürlich ist Tanz unglaublich eng verbunden mit Musik. Als ich nach Deutschland gezogen bin, war ich mit meinem Ex-Partner auf vielen Konzerten für experimentelle elektronische Musik. Mit der Zeit habe ich realisiert, dass ich nicht nur auf Konzerte gehen, sondern selbst auf der Bühne stehen und Musik machen will. 2018 habe ich zu experimentieren angefangen und produzierte einen Soundrack für ein Tanz-Stück. Zwei Jahre später habe ich schließlich meinen ersten Track veröffentlicht.

Deine Musik kann zwischen Latin, Hyper-Pop und experimentelle Musik verordnet werden. Aber wo  liegen deine musikalischen Wurzeln?

Ich denke, viel basiert auf brasilianischer Popmusik. Die Art und Weise wie ich schreibe ist von portugiesischen und brasilianischen Lyrics beeinflusst. Ich komme aus Salvador, einer Stadt, in der afrobrasilianische Kultur sehr dominant ist. So bin ich mit sehr viel Percussion groß geworden. Das war immer etwas, das mich inspiriert hat. Ich versuche diesen Sound  in meine Gegenwart und Zukunft zu holen. Als ich nach Europa kam, wurde ich mit noise Avantgarde-Musik konfrontiert.

Ich wollte mit einem Soundkonzept arbeiten, das glänzt und auf eine gewisse Art schön ist, aber auch immer gruselig
Andras

Deine erste EP »Cuerpo temperamental« besteht aus sieben relativ kurzen Tracks in denen du über Liebe, Sex, Verletzung und Heilung singst. Die Tracks halten die Spannung zwischen Rohheit und Verletzlichkeit. Wie geht es weiter auf deiner zweiten EP?

Auf der neuen arbeite ich mit dem Konzept von unheimlicher oder gruseliger Schönheit. Ich wollte mit einem Soundkonzept arbeiten, das glänzt und auf eine gewisse Art schön ist, aber auch immer gruselig. Es wird wieder eine sehr persönliche Platte. Letztes Jahr hatte ich gesundheitlich Probleme und drei Operationen, konnte nicht laufen und auch nicht arbeiten. Als ich anfing, an der Platte zu arbeiten, lag ich im Bett. Deswegen heißt sie auch »Blowhole«. Ich würde sagen, es wird ein bisschen sanfter und melodisch, etwas konsistenter auf Soundebene, aber auch verletzlich.

Welche Rolle spielt heute der Tanz für deine Musik?

Die ganze Idee war ursprünglich, eine interdisziplinäre Musikperformance zu machen. Am Anfang waren meine Konzerte sehr choreografiert, mit der Zeit wurde ich immer organischer und gelöster, da jeder Ort anders ist und ich improvisieren musste. Für mich war es zunächst sehr unbewusst, dass ich meinen Körper auf diese Art einsetze. Tanz ist da, weil er Teil meiner Stimme ist. Ich spiele viel mit Widersprüchen und frage mich, was heißt es, ein Mikrofon zu haben und damit in einer Machtposition zu sein, das Publikum zu führen? Mit dem Archetyp von der Popdiva zu spielen. Dass ich immer wieder in den Publikumsraum gehe, entstand aus der Notwendigkeit, Verletzlichkeit erzeugen zu wollen, aber auch aus dem Wunsch, mich als Geschenk zu präsentieren: ein extrem queeres und feminines Geschenk.

Tonträger: »Blowhole« erscheint im Winter bei Rest Now. Instagram: Andras_2020