Glänzt hinter den Kulissen: Das Festivalteam, © Luise Flügge

Spektakulär nicht binär

Film, Performance und große Vielfalt: Die glamouröse Welt des »Blonde Cobra — Festival for Queer and Experimental Cinema«

Traumschöne Jugendliche werfen sich in die Arme des Todes, der einem sinnlichen Jesus gleicht, eine junge Frau zieht mit ihrer Mutter in einem Zwei-Personen-Wanderzirkus durch staubige Vororte, um erotische Tänze aufzuführen — das ist die Filmwelt von Yann Gonzalez. Erotik trifft auf Horror, Romanze auf Splatter, und der Ästhetik der 80er Jahre wird neues Leben eingehaucht. Gonzalez, Ikone des französischen queeren Independent-Kinos, spricht dieses Jahr auf dem »Blonde Cobra Festival« über seine Arbeit. Begleitend laufen sieben Kurzfilme und ein Musikvideo, darunter Festival-Perlen wie »Fou de Bassan« und »Wir werden nie mehr alleine sein«.

Miri Gossing, Lara Levi Nickel und Lina Sieckmann haben das Festival 2019 gegründet, Lena Mrachacz ist mittlerweile Technische Leiterin. Sieckmann und Miri Gossing sind ein Künstler*innen- und Filmemacher*innenduo, Lara Levi Nickel ist in Casting und Schauspielvermittlung tätig, Lena Mrachacz arbeitet bei einem Filmverleih und als freie Kuratorin: geballte Kompetenz und Leidenschaft für ein Festival, das »experimentelle und queere Ästhetiken feiert«. Dazu gehören Retrospektiven von Experimentalfilm-Größen ebenso wie Lectures und Gespräche über Filmtheorie, queerfeministische Pornofilme und Performances. »Wir wollen einen Zusatz zum akademischen Filmgespräch bieten, Performancekunst mit dem Medium Film verbinden«, so Miri Gossing. »Das macht den besonderen Reiz aus: Etwas passiert im Jetzt, das man nur in diesem Moment gemeinsam im Kino erleben kann, Publikum, Performance und Film treten in einen Dialog, ganz anders als beim Streaming.«

Ein Programm ist Ashley Hans Scheirl gewidmet. Zu Scheirls umfangreichen Oevre gehören Super-8-Filme, Performances, Zeichnungen, Langfilme und Gemälde. Scheirl nahm 2017 an der Dokumenta teil, 2022 an der Biennale in Venedig, hat die österreichische Konzeptkunst beeinflusst. Die Arbeiten kreisen um lesbische und queere Sexualität, geschlechtliche Identität, verschmelzen mit der Biografie: Scheirl outete sich Mitte der 90er Jahre als transgender, lebt und arbeitet heute als nicht-binäre Person in Wien. Das Festival zeigt zehn Experimentalfilme aus den 80er Jahren.

Queerer Porn greift heiß diskutierte Fragen von Naturschutz und Ökologie auf

Auch im Programm: Todd Haynes »Safe«, Klassiker des New Queer Cinema, der das kollektive Aids-Trauma der 80er und 90er Jahre in eine beklemmende Geschichte packt. Assoziationen zur Corona-Pandemie? »Safe« könne allgemein Gespräche zum Thema »Immunität« anstoßen, meint Miri Gossing. »Wir wollen aktuelle Bezüge in einen historischen Kontext setzen.«

Performances beleben den Kinosaal zwischen den Screenings. Künstlerin Maja Milić verwandelt den Saal in eine »Expanded Cinema-Installation«, indem sie mit Super-8-Filmprojektoren Videocollagen an die Wände projiziert und zur Live-Musik des Soundkünstlers Alessandro Citterio performt. Das mit Kuratorin Jessica Manstetten gestaltete Musikvideo-Programm zeigt neben Klassikern queerer Popkultur auch Videos von Kölner Filmschaffenden und Musiker*innen aus dem Umfeld der Kunsthochschule für Medien — etwa von Vomit Heat oder Smile, gedreht von Anna Ansone und Marian Mayland. Das queere Pornoprogramm und eine Performance greifen heiß diskutierte Fragen von Naturschutz und Ökologie auf und stellen der nüchtern-wissenschaftlichen Sicht eine sinnliche-erotische zur Seite: »Ecosexuality« — ein Begriff der US-amerikanischen Performance-Künstlerinnen Annie Sprinkle und Beth Stephens.

Das Festival schließt mit einer audiovisuellen Performance des Kölner Voguing-Kollektivs »Haus of Audacity«, die auch Drag-Performer*in Venus Bizarre aus den USA auf die Bühne bringen.

Queerness, betonen die Festivalorganisator*innen, beziehe sich nicht nur auf queere Inhalte, sondern auch auf experimentelle Formen, auf alternative Produktionsbedingungen, Kollaborationen und Vorführungen »in Verschränkung mit anderen gesellschaftlichen Machtachsen«. Low-Budget-Arbeiten und Filme von Newcomern stünden neben neuen Produktionen und Cannes-Erfolgen. Auf der Leinwand erschienen diverse Körper unterschiedlichen Alters, Geschlechts, verschiedener Herkunft und sexueller Orientierung. Und das werde liebevoll und leidenschaftlich zelebriert.

Blonde Cobra — Festival for Queer & Experimental Cinema, Fr 8.–Sa 9.12., Turistarama
Infos zum Programm: blondecobra.com