Paradeiser Productions und »Die Magische Care:Maschine«, Foto: Felix Eisenmeier

Prekärer geht’s nicht

In ihrem Koalitionsvertrag hat die schwarz-grüne Landesregierung eine Erhöhung des Kulturetats versprochen. Stattdessen sollen die Gelder 2024 nun sogar gekürzt werden

In grellem Gelb leuchtet der ­Offenen Brief zwischen den Magazinseiten. In der vergangenen Stadtrevue-Ausgabe veröffentlichte das KulturNetzKöln, ein Zusammenschluss freier Künstler*innen, einen Aufruf — adressiert an die Landesregierung. »Sie tragen Verantwortung«, heißt es darin gleich zu Beginn, »für ein Land, dessen reiches kulturelles Ökosystem international bewundert wird.« Die Liste der Unterzeichner*innen ist lang, darunter der Kölner Kulturrat, das NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste, aber auch kleine Kulturinstitutionen, Festivals, Ensembles. Die gesamte Freie Szene ist betroffen von den Kürzungen des Kulturetats, deren Folgen aktuell noch nicht absehbar sind. Nur so viel weiß man: Sie werden drastisch sein.

Daher nun eine kleine mathematische Rechnung, unerlässlich, um den Hintergrund zu verstehen: 2022 hat die schwarz-grüne Landesregierung in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass der Kulturetat um 50 Prozent aufgestockt werden soll. Bei einer ­Legislaturperiode von fünf Jahren wären das durchschnittlich zehn Prozent pro Jahr — oder in harten Euro: 30 Millionen mehr jährlich. Das Problem: Bereits im ersten Jahr, 2023, betrug die Erhöhung nur 5,6 Millionen Euro. Und 2024 soll sogar noch gekürzt werden: Rund sieben Millionen Euro weniger als bislang soll in den Kultur­etat von NRW fließen.

»Angesichts der aktuellen Wirtschaftslage, die von Rezession, Inflation und steigenden Energiekosten geprägt ist, angesichts des Krieges in der Ukraine und steigender Flüchtlingszahlen, sowie einer instabilen Bundespolitik stehen wir vor immensen Heraus­forderungen, die sich auch im Landes­haus­halt niederschlagen«, begründet Dirk Michael Herrmann, Presse­sprecher der CDU-Land­tags­fraktion, die Anfrage der Stadtrevue in einem schriftlichen Statement. Natürlich habe man sich die Erhöhung des Kultur­etats gewünscht, es komme nun aber darauf an, trotz der schwierigen Rahmen­bedingungen klug zu handeln.

Prekär ist die Lage von freien Kultur­schaffenden, die ­bundesweit immerhin rund die Hälfte aller Produktionen auf die Bühne bringen, bereits jetzt schon

Doch, Moment mal — waren nicht 2022, als der Koalitionsvertrag mit dem Versprechen der ­Erhöhung beschlossen wurde, ­bereits all jene »Heraus­forderungen« längst absehbar? »Es wird Künstler*innen geben, die durch die Kürzungen existentielle Schwierigkeiten bekommen, aber der Vertrauensverlust in die Politik ist das flächendeckende Problem«, sagt Christine Seybold, Geschäftsführerin des NRW Landesbüro Freie Dar­stellende Künste. »Ich kenne niemanden, der in dieser Situation auf die volle Erhöhung um 50 Prozent pocht, aber die Diskrepanz zu den Versprechen der Landesregierung ist schon extrem hoch.« Schließlich verschärfen sich mit steigenden Energiekosten und der Inflation auch für Künstler*innen die ohnehin prekären Arbeitsbedingungen. Nicht nur, weil der eigene Lebensunterhalt teurer wird, sondern auch weil alle Auf­wendungen rund um eine Produktion in den Kosten steigen, bis zur heute deutlich ­höheren Raummiete für eine Bühne, um das Stück über­haupt zur Aufführung zu bringen.

»Eine Riesenkatastrophe«, kommentiert der Sounddesigner Kai Niggemann die Kulturetatkürzungen. Er ist Mitglied der Kölner Initiative Musiktheater, die den Offenen Brief ebenfalls unterzeichnet hat, und hat in Köln das Label Paradeiser Productions ­mitgegründet, eine Gruppe, die Neues Musiktheater macht, aktuell mit dem experimentellen ­»Geräuschchor«. »Uns ist bewusst, dass wir mit unserem Beruf niemals in Saus und Braus leben werden. Aber warum wird so viel Geld in Dienst­wagen­privilegien und Zerstörungs­energien geblasen und bei der Kultur, die ohnehin schon in einer prekären Lage ist, so drastisch gekürzt?« Niggemann sieht bei kommenden Projekt­förderungen noch ein weiteres ­Problem auf die Freie Szene zukommen. Denn bei Förder­anträgen falle häufig, so habe es zumindest den Anschein, der Siegel der Landes­förderung ins Gewicht, um auch vom Bund Zuschüsse für ein Projekt zu bekommen. »Wenn der nun häufiger mal wegfällt, weil einfach nicht genug Geld da ist, könnte das einen bislang noch nicht absehbaren Rattenschwanz nach sich ziehen.«

Das Dramatische: Prekär ist die Lage von freien Kulturschaffenden, die bundesweit immerhin rund die Hälfte aller Produktionen auf die Bühne bringen, bereits jetzt schon. Die Künstlersozialkasse (KSK) hat ermittelt, dass das durchschnittliche Jahreseinkommen von Künstler*innen zwischen 17.000 und 19.000 Euro liegt — brutto. Gerade aus diesem Grund wurden zuletzt auch die sogenannten Honoraruntergrenzen beschlossen, zu deren Einhaltung sich NRW als bundesweit erstes Land im Kulturgesetzbuch verpflichtet hat. Heißt: Nur wer fair bezahlt, kann mit einer Förderung des Landes rechnen.

Ein wichtiges politisches Signal, findet Christine Seybold vom NRW-Landes­büro Freie Darstellende Künste. Demnach sollen in der KSK Versicherte mindestens 3.100 Euro im Monat, Nicht-KSK-Versicherte mindestens 3.600 Euro im Monat erhalten. Doch bereits vor Jahren, als die Diskussionen um die Honoraruntergrenzen bereits in vollem Gange waren, warnte das Landesbüro: »Ohne eine gleichzeitige Erhöhung der Mittel in den jeweiligen Förderinstrumenten droht eine eklatante Verringerung der Anzahl geförderter Projekte.«

Nun also die Kürzungen. Im Jahr 2024 soll der Einstieg in die Honorar­unter­grenzen vorgenommen werden, das hat NRW-Kultur­ministerin Ina Brandes (CDU) ­bereits mitgeteilt. Wie das gelingen soll, angesichts des deutlich ge­ringeren Kulturetats bleibt vage.

»Es ist die Gretchenfrage, wie mit ­dieser Verpflichtung künftig umgegangen wird«, sagt Christine Seybold. »Aktuell ist die Destabilisierung so oder so da, aber wenn nicht ausreichend Geld für die ­Honoraruntergrenzen hinterlegt wird, dann ist das Problem richtig groß.« Dass die Landesregierung geäußert hat, im darauffolgenden Jahr, also 2025, werde schon noch was kommen, nehme sie vor ­diesem Hintergrund wohlwollend zur Kenntnis. »Aber die Lage ist paradox.«

Auch Kai Niggemann sieht dieses Problem auf sich und das Label Paradeiser Productions zukommen. Mit einer Konzeptionsförderung sind zwar die kommenden drei Jahre ihrer Arbeit teilweise abgesichert, aber es braucht weitere ­Projektförderungen, um über die Runden zu kommen.  »Wir haben uns vorgenommen, die Honoraruntergrenzen einzuhalten, auch weil wir mit professionellen Künstler*innen zusammenarbeiten, die schon viel Berufserfah­r­ungen mitbringen.« Aber ob das ­gelingen wird, sei unklar, sagt er und fügt zum Abschluss des Gespräches hinzu: »In aller Deutlichkeit: Mit den geplanten Kürzungen nimmt uns die Landesregierung die Butter vom Brot.«