Das war Köln 2023

Wir schauen zurück auf zwölf Monate, in denen viel gestritten wurde — über Verkehrsversuche, fehlende Schulplätze, zu teure Wohnungen oder das alljährliche Chaos an den Karnevalstagen. Das sind Probleme, die sich Köln selbst eingebrockt hat. Aber auch die internationale Lage spiegelt sich mit ihren Verwerfungen in Köln wider

30. Januar

Zu wenige Schulplätze

Mehr als 700 Kinder bekamen Ende Januar eine Absage von der Gesamtschule, wenige Wochen später gingen 500 bei der Anmeldung am Gymnasium oder an der Realschule leer aus. Nur mit Containern, angemieteten Büros und dem Verweis auf Schulen im Umland oder in privater Trägerschaft gelang es, jedem Kind einen Platz zu beschaffen — verbunden mit teils weiten Schulwegen quer durch die Stadt. Erstmals haben auch rund 300 Kinder keinen Grundschulplatz in der Nähe der Wohnung bekommen — ein Drittel aller Grundschulen verzeichnete mehr Anmeldungen als Plätze vorhanden waren. Köln braucht 54 neue Schulen bis 2030. Damit es vorangeht, setzt die Politik auf General- und Totalunternehmer sowie Investorenmodelle. Immerhin 13 Schulen haben in den vergangenen drei Jahren den Unterricht gestartet, 2024 sollen zwei Gymnasien und drei Gesamtschulen hinzukommen. Doch frühestens 2028 wird es genug Plätze geben. Erst dann kann auch die Klassengröße sinken. Sie beträgt an Gymnasien derzeit im Durchschnitt 31 Schüler —  eine der höchsten Quoten deutsch­landweit.

Anne Meyer

 

24. April

Streit um Genozid-Mahnmal

Es gelte, eine »bundesweite Blamage« zu verhindern, so Innenstadt-Bürgermeister Andreas Hupke (Grüne). Damit meint er die Räumung des Mahnmals an der Hohenzollernbrücke, das an den 1915/1916 verübten Genozid an den Armeniern erinnert. Aufgestellt haben es zum Gedenktag am 24. April Mitglieder der Initiative »Völkermord erinnern«. Am 10. Juli verhinderten die Ratspolitiker dann mit einem Beschluss in letzter Minute, dass die Stadt das nur temporär geduldete Mahnmal abbaut. Doch der Zank geht weiter: Zwar hat der Rat am 16. Juni beschlossen, einen offiziellen Gedenkort zu errichten. Doch darüber, wie mit dem jetzigen Mahnmal zu verfahren ist, bis das neue steht, herrscht Uneinigkeit. Es gebe keinen Grund für den Abbau, heißt es von der Initiative. Gerade hat der Stadtrat einen Dialogprozesses beschlossen. Konservative türkische Gruppen, die den Genozid leugnen, hatten wiederholt gegen das Mahnmal protestiert.

Anne Meyer

 

16. Mai

Graue Energie

Abreißen oder erhalten? Darüber wurde in Köln schon oft gestritten, man denke nur an die Oper (siehe Artikel in dieser Ausgabe). Während Abrissgegner sonst zumeist den baukulturellen Wert von Gebäuden ins Feld führten, steht seit diesem Jahr ein anderes Argument im Mittelpunkt der Debatte: die sogenannte Graue Energie, die bei Herstellung, Bau und Transport anfällt, und die beim Abriss vernichtet wird. Sanierung oder Umbau sind deshalb wesentlich klimaschonender als Abriss und Neubau. Als die CDU im Januar plötzlich den Abriss der Zentralbibliothek am Neumarkt und den Neubau an anderer Stelle vorschlug, weil die geplanten Sanierungskosten von 80 auf 140 Mio. Euro gestiegen waren, war die Empörung groß: So könne man mit der wichtigen Bildungs- und Kulturinstitution nicht umgehen, hieß es. Aber auch: Köln hat den Klimanotstand ausgerufen, da sei ein Abriss und Neubau nicht mehr zeitgemäß. Während der Rat am 16. Mai die Sanierungspläne für die Zentralbibliothek bekräftigte, geht das Ringen um das Justizzentrum weiter. Stadt und Land halten bis heute an den Neubauplänen fest, der BUND hofft weiter auf eine Kehrt­wende.

Anne Meyer

 

2. August

Verkehrsversuche

2023 war das Jahr der Verkehrsversuche — der gescheiterten, würden manche hinzufügen. Nachdem das Verwaltungsgericht Köln am 2. August die Sperrung der Deutzer Freiheit für den Autoverkehr für voraussichtlich rechtswidrig erklärt hatte, beendete die Stadt den Verkehrsversuch, der im Juni 2022 gestartet und sofort zum Zankapfel geworden war. Während viele Anwohner von einer deutlichen Aufwertung der Deutzer Freiheit berichteten, klagten Händler über Umsatzeinbußen. »Über diese Straße lacht ganz Deutschland«, hieß es zudem über die Venloer Straße, wo Ende 2022 ein »verkehrsberuhigter Bereich« mit origineller Straßenmarkierung eingerichtet worden war. Im Oktober wurde die Venloer dann zur Einbahnstraße. Nun läuft es besser — doch Anwohner der Piusstraße klagen über Ausweichverkehr. Weitere Verkehrsversuche soll es vorerst nicht geben, doch man kann sich ja auch über ganz normale Verkehrsmaßnahmen aufregen, etwa die Einrichtung einer Fahrradstraße an der Trankgasse im April — sie soll nun gar für den Einbruch der Abo-Zahlen in der Philharmonie verantwortlich sein.

Anne Meyer

 

18. August

Mietererhöhungen der GAG

Wohnen ist in Köln immer ein Problem: Die einen finden keine Wohnung, die sie sich leisten können. Die anderen haben zwar eine Wohnung, aber die Mieten steigen — selbst bei der GAG, der Wohnungsgesellschaft mit sozialem Auftrag, an der die Stadt Köln mit knapp 90 Prozent beteiligt ist. Doch auch bei der GAG machen sich steigende Preise für Energie und Baumaterial bemerkbar, und so erhöhte das Unternehmen seit Jahresbeginn allmählich die Mieten für rund 11.500 ihrer insgesamt 42.000 Wohnungen. Nur so könne man weiterhin geförderten Wohnraum bereitzustellen, den Bestand sanieren und neue Wohnungen errichten, hieß es. Zudem betrügen auch nach der Erhöhung die Kaltmieten im Durchschnitt nur 7,56 Euro pro Quadratmeter. Als die GAG zum August die Mieten für gut tausend Wohnungen um bis zu 15 Prozent erhöht, kommt es am 18. August zu Protesten vor der GAG-Hauptverwaltung in Kalk. SPD und Linke kritisieren die GAG scharf und fordern eine neue, rein kommunale Wohnungsbaugesellschaft.

Bernd Wilberg

 

19. September

Rodenkirchener Brücke

Seit vielen Jahren gibt es Überlegungen, die Rodenkirchener Brücke auszubauen und im Zuge dessen das Baudenkmal im Kölner Süden abzureißen und neu zu errichten. Nun werden die Pläne konkret: Die zuständige Autobahn GmbH legte im Juni ihre »Vorzugsvariante« vor, die wenig überraschend den Ausbau von sechs auf acht Fahrspuren vorsieht. Zwar gibt es erhebliche Bedenken, was den Umweltschutz betrifft, zudem würde der Ausbau noch mehr Autoverkehr in die Stadt spülen, dennoch verfing der Protest der »Initiative A4 Minus« in der Kölner Politik lange Zeit nicht. Das hat sich mittlerweile geändert: Im Verkehrsausschuss des Stadtrats haben am 19.  September Grüne, SPD und Volt eine Resolution für den Erhalt der Brücke verabschiedet. Die CDU, Bündnispartner der Grünen, stimmte wie auch die FDP dagegen. Die Entscheidung aber wird ohnehin in Berlin getroffen, das Bundesverkehrsministerium erarbeitet den sogenannten Bundesverkehrswegeplan.

Jan Lüke

 

7. Oktober

Antisemitismus

Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober verzeichnet die Meldestelle im NS-Dokumentationszentrum zunehmend antisemitische Vorfälle. Allein in den ersten vier Wochen nach dem Massaker waren es 33 Fälle, darunter Übergriffe und Bedrohungen. Jüdische Eltern haben Angst, ihre Kinder in die Schule zu schicken, und bei pro-palästinensischen Demos sind antisemitische Parolen zu hören. Zudem haben sich weite Teile der Kulturszene mit Solidaritätsbekundungen für Israel zurückgehalten, obwohl man sich sonst schnell positioniert, um etwa Gewalt und Rassismus anzuprangern. »Arsch huh«, ein Bündnis Kölner Musiker, das seit 1992 gegen Rassismus aufruft, konnte sich erst nach zwei Monaten zu einem Statement durchringen — und sorgte für einen Eklat: Für viele wird darin der Angriff der Hamas und Israels militärische Verteidigung auf eine Stufe gestellt. Abraham Lehrer, Vizevorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte daher seine Teilnahme an der »Give Peace a Chance«-Kundgebung am 3. Dezember ab, und statt der erwarteten 3000 Teilnehmer kamen nur 700 an den Aachener Weiher. Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) nutzte seinen Auftritt, um den Aufruf von Arsch-huh zu kritisieren (siehe auch Interview mit Gerhart Baum in dieser Ausgabe).

Bernd Wilberg

 

11. November

Karnevals-Chaos

Die Stadt Köln bekommt den Straßenkarneval nicht unter Kontrolle. Auch dieses Jahr versanken zur Eröffnung der Session viele Viertel im Chaos. Das Kwartier Latäng war schon am frühen Morgen überfüllt, die Menschen strömten daraufhin in den Grüngürtel, bald war auch das Gebiet um den Aachener Weiher mit Müll und Scherben übersäht. Rettungsdienste waren den ganzen Tag im Einsatz, der Stadtbahnverkehr brach zusammen, der Hauptbahnhof wurde zeitweilig gesperrt — wie durch ein Wunder kam niemand ernsthaft zu schaden, die Stadtspitze zeigte sich zufrieden. Aber Politik und Stadtverwaltung wirken überfordert, der Runde Tisch Karneval, der seit Jahren tagt, formuliert zwar Ideen, wie der Party-Tourismus eingedämmt werden könnte, aber nichts ist bislang umgesetzt worden. Und es gibt weitere Probleme: Seit Ende August liegt ein verwaltungsinterner Prüfbericht vor, der eine Vielzahl von Verstößen des Ordnungsamts und der Sicherheitsunternehmen dokumentiert. Es geht um überlastete und unqualifizierte Sicherheitskräfte und intransparente Zahlungen des Amtes.

Bernd Wilberg