Wenn nicht basteln, dann halt popeln

Materialien zur Meinungsbildung

Vieles endet mit der Kindheit unwiderruflich: die Langeweile, das Nasepopeln und nicht zuletzt das Basteln. Das Ende des Bastelns ist zweifelsfrei ein Verlust. Zumal das Handwerk, das Do-it-yourself, die Reparatur neuen Zuspruch erfährt. Freilich hat Basteln immer noch einen schlechten Ruf. Aber ist es tatsächlich nur das Steckenpferd von Erzieherinnen und verschrobenen Männern, die sich noch stolz als Tüftler titulieren?

Mit der Kindheit endet auch die Vorfreude auf das Weihnachtsfest. Dann stöhnt ein jeder über den Kommerz, kauft aber doch das Internet leer. Natürlich ist ein Feiertag an sich etwas ganz und gar Anti-Kapitalistisches. »Sehr geehrte/r Mitarbeiter*in, die Chef*inetage erwartet, dass Du Deinen Input zu unseren Mile­stones der KI-basierten Markenkommunikation in den Socials übermorgen vorstellst.« — »Sorry, aber da hab ich keinen Slot dafür, weil morgen bete ich den ganzen Tag zur Muttergottes, ich schaff euren Kram erst Freitag.«

Der Kapitalismus mag keine Feiertage. Oder er deutet sie in seinem Sinne um: Aus Allerheiligen wird für die Eventbranche Halloween, aus Christi Himmelfahrt für die Getränkeindustrie Vatertag, und gefastet wird nicht vor Ostern, sondern im Januar mit neuem Health­food-Plunder. Das können sie meinetwegen so machen, solange ich nicht mitmachen muss. Und solange man nicht die Feiertage streicht und zur Afterwork-Party verkürzt.

Aber was soll man denn nun Weihnachten schenken, wenn keinen Amazon-Gutschein? Ich mag nicht verklemmt fragen: »Du, wir schenken uns diesmal nichts, oder?« Aber was dann? Myrrhe, Weihrauch, Gold? Was ist überhaupt noch mal Myrrhe? Das Zeugs, das man neuerdings über den Wildkräutersalat im Bistro krümelt? Dann lieber Selbstgebasteltes — in Mußestunden gefertigt, ohne Talent, aber mit Hingabe und in Gedanken bei dem Menschen, dem ich damit eine Freude bereiten mag. Gewiss, das Geschenk ist nicht perfekt. Vielleicht auch völlig unansehnlich. Wozu überhaupt ein Stiftehalter aus Klopapierrollen? Ja, das ist hässlich, und es muss vielleicht noch am Heiligen Abend entsorgt werden, um die Stimmung zu retten — aber es ist selbstgemacht!

Es gab mal ein Schulfach, das hieß Textiles Gestalten — man hat es abgeschafft, so wie Schönschrift und Betragen. Ein weiterer Sargnagel im deutschen Bildungssystem! Mit diesem schulpolitischen Statement kann man mich gern ­zitieren, auch völlig aus dem Zusammenhang gerissen, wenn’s mehr Klicks und die Schirmherrschaft über einen Shitstorm bringt, bitte schön. In Textilgestaltung musste man Stoffreste kombinieren, das war nicht schön, aber schlimmstenfalls »noch befriedigend«. Die Versetzung war nie gefährdet, aber man kam erstmals und überwiegend letztmalig in Kontakt mit einem Fingerhut und diesem Garneinfädeldingsbums. Das Erlernen der Handhabung misslang, trotz der gestrengen Frau Dieblich. Die textilgestalterische Lehrkraft nutzte daraufhin die Freiräume des Lehrplans und schwenkte auf die Vermittlung von Klebetechniken um. Immerhin erlangte ich so aber die Basiskompetenzen, eine Klebstofftube wieder so zu verschließen, dass sie nicht austrocknet. Aber reicht das für ein Bastelgeschenk? Sicher gibt es neue textilgestalterische Vermittlungsmethoden.

Müsste man nicht das Basteln stärken, um den Konsum-Wahnsinn endlich zu stoppen? Brauchen wir statt »Medienkompetenz« nicht wieder Bastelkompetenz? Scheitern hier nicht wieder dringend benötigte Reformen am Kleinklein des deutschen Föderalismus?

Wo ich gerade dabei bin: Es gibt noch mehr zu tun, gerade an den Grundschulen. Die Langeweile gibt es dank Handy nicht mehr. Aber was ist mit Nasepopeln? Man könnte es als Fach einführen, zwecks Vermittlung hygienisch akzeptabler Techniken. Es ist doch so, wie viele Lehrer über die digitale Berieselung der Kinder reden: Man kann es sowieso nicht verhindern, aber man sollte Kompetenzen im Umgang damit lernen.