Lass mal das Telefon klingeln: Rhani Krija

Höhenflug und Erdung

Rhani Krija, Kölner mit marokkanischen Wurzeln, ist ein Meisterpercussionist. Im Interview blickt er auf seine erstaunliche Biografie zurück

Eine kurze Reise zurück in das Jahr 2002: Dein Telefon klingelt. Du hebst ab. Sting ist am Apparat und sagt dir, dass du ab sofort in seiner Band spielen darfst. Wie war das?

Der Anruf erreichte mich genau an meinem Geburtstag. Stings Co-Produzent Eldridge Kipper war am Apparat und fragte mich, ob ich Perkussionist für Sting werden wolle. Speziell für sein Album »Sacred Love«. Sting war total glücklich, denn während den Aufnahmen fing er an zu tanzen. In diesem Moment wusste ich, dass es ihm gefällt. Daraufhin nahm ich auch alle anderen Songs für das Album auf. Einer davon — When­ever I Say Your Name — gewann später sogar einen Grammy. In diesen Momenten der Aufnahmen, wenn du so ganz bei deinem In­stru­ment bist, ist es dir völlig egal, ob da nun ein Superstar danebensteht oder nicht. Ich wollte einfach einen guten Job machen.                                     

Am 8. September bebte die Erde in Marokko. Etwa 2.900 Menschen kamen dabei ums Leben. Wie und wo hast du von dem Erdbeben erfahren?

Ich war zu diesem Zeitpunkt hier in Deutschland. Bei dem Beben sind wieder einmal so viele Menschen ums Leben gekom­men. So ganz verdaut habe ich das noch nicht. Es gibt eine Lehrerin, die ihre gesamte Schulklasse verloren hat. Das ist so traurig. Aber gegen die Naturmächte hat man keine Chance. Und die Wut darüber ist eine andere, als die, die man zum Beispiel gegenüber Kriegen hat. Umso stolzer bin ich, weil Marokkaner aus allen Gebieten des Landes in die betroffene Region gereist sind, um den Opfern des Erdbebens zu helfen.

(Rhani bekommt ein Foto seiner ­Heimatstadt Essaouira vor die Nase gehalten.) Auch ohne Brille weiß ich, dass das Essaouira ist. Die Bildhübsche. Das Wort »Essaouira« heißt wörtlich übersetzt so. Dort wurde ich geboren. Wenn ich an diese Stadt denke, dann kommt mir sofort der unvergleich­liche blaue Himmel und dieses Licht dort in den Sinn. Das hat nicht nur mich, sondern auch schon viele andere Künstler inspiriert. Nicht zu vergessen der permanente Wind, der immer hinter deinen Ohren pfeift. Einen Spielplatz oder Spielzeug hatten wir damals nicht. Das Meer und dessen Umgebung war unser Spielplatz. Und je älter du wirst, desto stärker wächst die Sehnsucht in dir zu erfahren, was hinter dem Meer ist. Man fragt sich: »Was ist eigentlich dahinter?«

»Seit seiner Kindheit hatte er praktischen Umgang mit der in seiner Heimatregion verbreiteten Gnawa-Kultur und -Musik […]«, steht über dich bei Wikipedia geschrieben. Hat diese Kultur nicht auch etwas mit Tieropfern, Trance-Zuständen und der Austreibung böser Geister zu tun?

Genau. Aber deine germanischen Vorfahren haben auch nichts anderes gemacht. Man vergisst das nur oftmals. Die Gnawa-Kultur dagegen stellt sich gegen das Vergessen und bewahrt diese alten afrikanischen Musik-Traditionen. Für Marokkaner ist der vornehmliche Zweck von Musik: Heilung, keine Unterhaltung. Dabei ist es völlig egal, wer du bist, in welcher Position du dich befindest oder zu welcher sozialen Schicht zu gehörst. Seit der Pandemie ist Musik auch genau das für die meisten Menschen hier in Deutschland geworden. Wäre sie nur Unterhaltung, dann wäre das eine ziemliche Erniedrigung für die Musiker:innen und für die Musik selbst. Und natürlich ist ein Stilmittel der Musik, Menschen in Trance zu versetzen. Bist du ein guter Musiker, versetzt du die Menschen in eine Lage, in der sie nicht mehr an ihren Alltag und an ihre Probleme denken. Die Gnawa-Musik arbeitet dahingehend mit ganz einfachen repetitiven Melodien und Rhythmen.

Der kleine Rhani schnappte sich eine tbal (mit Stöckchen geschlagene Fasstrommel) und trommelte einfach drauf los? Nein.

Als Kind in Marokko hörst du erst einmal nur zu. Dass ich begabt war, wusste ich. Aber ich habe meine Begabung zunächst erfolgreich ignoriert.

Inwiefern?

Die energetische Wucht deiner eigenen Begabung zieht dich magisch an. Nur kannst du das alles erst einmal überhaupt nicht einordnen. Wie gehst du da­mit um als Kind? Du willst nur spielen. Aber du weißt nicht wie, wann und mit welchem Instrument. Und für meine Eltern ging es in erster Linie ums Überleben. Um Bildung. Die Gesellschaft in Marokko folgt nicht — wie hier bei uns — der Regel »Mein Schätzchen, komm, du spielst jetzt ein Instrumentchen«. Ich musste mir alles selbst erkämpfen. Erst während der Schulzeit hatte ich meine ersten zaghaften Begegnungen mit den unterschiedlichen Instrumen­ten. Heutzutage erwarten die Men­schen von ihren Kindern immer sofort eine Art Performance. Das ist brutal. Da gibt es oft kein behutsames Herantasten. Das ist pädagogisch eine Katastrophe. ­Kinder verlieren dadurch viel zu schnell ihre erste Liebe für ein In­strument. Ich persönlich hatte an der höheren Schule das große Glück, einem Lehrer zu begegnen, der mein Talent erkannte. Dieser Lehrer war anders als die anderen. Bei ihm durften wir uns direkt an musikalischen Aktivitäten beteiligen.

Ich war Bach-Fanatiker, ohne dass ich es wirklich wusste. Auf meinen Kassetten standen nämlich nie NamenRhani Krija

22 Jahre Marokko, und dann ab nach Deutschland?

Auch hier hatte ich einfach Glück, auf einen Lehrer des Goethe-Instituts zu treffen, der mir seine Leidenschaft für die deutsche Sprache, Literatur und Musik nahegebrachte. Wir haben tatsächlich auch eine Menge deutsche Musik zusammengehört. So habe ich auf fast spielerische Weise Deutsch gelernt, bevor ich schließ­lich den Schritt wagte, nach Deutschland auszuwandern. Hinzu kam: Ich war Bach-Fanatiker, ohne dass ich es wirklich wusste. Auf meinen Kassetten standen nämlich nie Namen. Irgendwann fand ich heraus, wer all diese Stücke, von denen ich so fasziniert gewesen war, komponiert hatte. Johann Sebastian Bach und der Trance-Effekt: Das sind für mich zwei nicht voneinander zu trennende Begriffe.

Also erst die deutsche Hochkultur, dann der Kölner Karneval?

Als Student der E-Technik in Aachen habe ich für ein paar D-Mark gekellnert. Da war ich also seit kurzem hier, angetan von den Kompositionen der Dichter und Denker, und dann kommt einmal im Jahr die Dekadenz. Das musste ich erst einmal verarbeiten. Natürlich habe ich versucht zu erfahren, woher die Karnevalstradition kommt, aber zunächst war für mich das Gefühl präsent: Karneval ist eine Zeit, in der viele Menschen gleichzeitig besoffen sind. Erst später habe ich verstanden, dass Karneval für viele Menschen auch eng mit Ritualen, Spirituellem und Religiösem verknüpft ist.

Ab welchem Punkt wusstest du: Das ist es. Ich komme nicht drum herum, ich möchte Musiker werden?

Dieser Moment kam sehr viel später. Zunächst habe ich die Schule beendet. Nur so bekam ich von meinen Eltern gewisse Freiheiten. Denn: Das Musiker-Dasein in Marokko damals — ohne Schulabschluss — war verpönt. Natürlich, das muss ich zugeben, habe ich auch davon profitiert, dass es früher bei uns kein Jugendschutzgesetz gab. Nur so konnte ich in den Nacht-Clubs und Bars spielen. Die bewusste Entscheidung für diesen Beruf traf ich nach einem Unfall. Erst im Krankenhaus begann sich mein Lebenspuzzle für mich zusammenzusetzen.

Das bedeutet, du hast aus einer Krise heraus entschieden, professioneller Musiker zu werden?

Genau. Vorher konnte ich diese Entscheidung nicht treffen. Da waren einfach viel zu viele Ängste im Spiel. Meine Vorstellungen vom Leben sahen davor ganz anders aus. Und das Schlimmste daran war, dass ich an sie glaubte. Bis ich verstand: »Ich bin doch mein eigener Lebensfilm-Regisseur. Da vorne, am nächsten Fenster, stehen all die Möglichkeiten, die ich habe, für mich bereit.« Aber du traust dich gar nicht, es zu öffnen. Bis schließlich jemand oder etwas — nenne es Universum, nenne es Gott — dir aus vollster Liebe heraus einen schönen Unfall beschert und zu dir sagt: »Im Bett hast du nun genug Zeit, um über deine Zukunft nachzudenken.« Tatsächlich hatte ich dann im Krankenhaus-Bett eine Eingebung und ich hörte eines Nachts diese Stimme, die zu mir sprach: »Du bist geboren, um Musik zu machen. Mach Musik.« Am nächsten Morgen bin ich aufgestanden. Als Musiker.

Wie schaffst du es, bei deinem Erfolg nicht abzuheben?

Stimmt. Ich könnte abheben. Denn: Ich habe alle fünf Kontinente min­destens viermal besucht. Ich war jahre­lang mit Sting auf Tour, habe mit Prince, Peter Gabriel oder Annie Lennox gespielt, stand auf der Bühne mit der großartigen Lady Gaga und mit Stevie Wonder, ich habe für Herbie Hancock, ­Herbert Grönemeyer oder die Black Eyed Peas aufgenommen … Aber: Ich bin einfach nur dankbar. Dankbarkeit ist für mich der Schlüssel zum Erfolg. Wenn ich manchmal nach einem Konzert in einem ­fetten 5-Sterne-Hotel sitze, ist das für mich alles andere als selbst­verständlich. Ich achte ­darauf, dass ich mich erde und dass meine ­beiden Füße fest auf dem Boden stehen. Und darauf, dass ich mich glücklich fühle. Dann stelle ich mir die Frage »Bin ich glücklich?« Nur diese Frage und ihre Antwort ist der einzig wahrhaftige Moment im Moment. Diese Art von innerer Demut ­hindert mich am Ende daran abzuheben.

Du giltst inzwischen als »Weltklasse-Percussionist« (Allmusic). Eine kurze Reise ins Jahr 2024: Dein Telefon klingelt. Du hebst ab. Wer wird am Apparat sein? Was hoffst du?

Das interessiert mich nicht. Das ist eine reine ­Illusion. Ich gebe mir unheim­lich viel Mühe, nicht an morgen zu denken, sondern im Hier und Jetzt mit euch zu sein.

Instagram: @rhani_krija