Stimme aus Novi Sad: Katalin Ladik, Foto: Zsolt Székelyhidi

Der Sprache bis auf den Grund

Eine Retrospektive feiert das klingende Werk der Jugoslawin Katalin Ladik

Kraftvoll füllt die Stimme der Künstlerin Katalin Ladik die hohen Hallen des Ludwig Forums in ­Aachen, mal raumgreifend, mal punktuell einer bestimmten Collage zugehörig. Die Kurator*innen Hendrik Folkerts (Moderna Museet Stockholm) und Fanny Hauser vom Ludwig Forum haben mit einem offenen Klangkonzept gearbeitet, das nur wenige Kopfhörer integriert. Jeden Raum bestimmt auf diese Art und Weise eine von den jeweiligen Werken ausgehende Klanglandschaft, ohne dass die Geräusche sich gegenseitig störten. »Ooooooooo-pus«, so der Name der ersten Retrospektive Ladiks in Deutschland, ist eine klingende Ausstellung, passend zum facettenreichen Werk der Künstlerin, die lange Jahre vom Kunstmarkt ignoriert wurde.

Katalin Ladik wurde 1942 in Novi Sad geboren, einer multiethnischen Region, die damals zu Jugoslawien gehörte. Im zweiten Weltkrieg war diese von Ungarn besetzt — heute gehört sie zu Serbien. Das bilinguale Aufwachsen in diesem komplexen Gefüge prägte ihre literarische Entwicklung. Ihre erste Lyrik erschien in der Zeitschrift Új Symposion, einem literarischen Avantgarde-­Magazin junger Künstler*innen der ungarischen Minderheit in ­Jugoslawien, begleitet von einer Schallplatte mit phonischen ­Interpretationen.

Von 1963 bis 1977 arbeitete Ladik beim Radio in Novi Sad u.a. mit Vladen Radovanović, der 1972 das elektronische Studio von Radio Belgrad mitbegründete. 1976 veröffentlichte Ladik, ebenfalls in Belgrad, ihr erstes Album mit dem Titel »Klangpoesie«. Ihre Partituren konkreter Poesie setzten sich ab den späten 1960ern aus Bildern, Farben, Mustern, verschiedenen Layouts, Formen und alternativen Typografien zusammen, wie es in der Fluxus-Szene üblich war. Der erste der chronologisch angelegten Räume versammelt Collagen aus vorgefundenem Material, wie Schnittmustern, Notenblätter, Schriftfragmente, Briefmarken. Unter fantasievollen Titeln wie »Fortschreitende Übung für Gitarre«, »Singing Legs« oder »HER ZIG« (1973–1979) sind die visuellen Gedichte montiert, es lassen sich Wörter in unterschiedlichen Sprachen entziffern.

Den Besucher*innen schallt währenddessen die performative Aufführung der Partitur aus dem jeweils unter dem Bild platzierten unscheinbaren Lautsprecher entgegen und lässt sie eintauchen in unterschiedliche Facetten des alltäglichen Lebens — und des politischen, wie die Rolle der Frau oder nationale Fragen. Heikle Themen in der zum Westen hin recht offen agierenden jugoslawischen Republik.

Die Künstlerin verortete sich in der Neoavantgarde. In ihren Foto- und Live-Performances performte sie oftmals unbekleidet, mit starker Mimik und Gestik, volkstümliche Musikinstrumente integrierend. Warum Ladik sich nicht enger mit anderen feministisch arbeitenden Performance-Künstlerinnen Jugoslawiens wie Sanja Iveković oder Marina Abramović vernetzte, bleibt offen. Auch mit poetisch ähnlich arbeitenden Künstlerinnen wie Ewa Partum in Polen oder Ruth Wolf-Rehfeldt in der DDR bestand offensichtlich kein Austausch; das direkte künstlerische Umfeld ­Ladiks blieb männlich dominiert. So war sie beispielsweise bis 1976 Mitglied des Künstlerkollektivs Bosch+Bosch in Ungarn, das Mail Art, Land Art, aber auch Performance-Kunst erforschte. Auch der Experimentalfilm »O-pus« (1972) entstand in diesem Zusammenhang, zusammen mit Attila Csernik und Imre Póth.

Ein gesprochenes »O« in unterschiedlichen Höhen und Stärken, abgehackt, langgezogen, verspielt sich wandelnd, tönt durch den Raum. Die Partitur hängt neben der Videoinstallation und gibt einen Einblick in die Arbeitsweise der Künstler*innen, die sich einer Visualisierung des Buchstaben »O« annäherten. Dass die Stimme immer eines Körpers bedarf und dass Ladiks Körper selbst zum Gedicht werden konnte, darauf konzentriert sich der dritte Raum der Ausstellung. 1969 kollidierten die in der Performance »Schamanengedicht« zelebrierten Weiblichkeitsvorstellungen der Diktatur mit denen der Künstlerin: Sie wurde mit dem frauenfeindlichen Beinamen »Die nackte Dichterin« versehen und wegen angeblicher Unsittlichkeit aus der Kommu­nis­ti­schen Partei ausgeschlossen. Ladik ließ sich nicht einschüchtern, verlangte eine Erklärung und protestierte in Form einer weiteren Aufführung: In »Schwarze Rasur« (1978) vollführte sie einen Anti-Striptease, bei dem sie sich ihrer Unterwäsche entledigte — darunter war sie jedoch nicht nackt, sondern vollständig schwarz bekleidet.

1978 vollführte Ladik in »Schwarze Rasur« einen Anti-Striptease, bei dem sie sich ihrer Unterwäsche ent­ledigte — darunter war sie jedoch nicht nackt, sondern vollständig schwarz bekleidet

Sie setzte sich in der Folge verstärkt mit ihrer Identität auseinander, mit Normvorstellungen von Schönheit und der Frage: Was darf eine Frau? So entstanden 1978 das großformatige Triptychon »Androgin« und 1982 eine Arbeit mit Menstruationsblut. Das künstlerische Leben unter Tito hatte sich freier gestaltet als in anderen Ländern des Ostblocks: Freies Reisen, Austausch mit anderen Künstler*innen aus dem Westen — das alles war möglich und wurde von der international agierenden Künstlerin Ladik breit genutzt. Der Zusammenbruch ­Jugoslawiens 1991 bedeutete auch einen Bruch in ihrer Karriere. In der Ausstellung zeigt sich dies in einer Lücke zwischen dem dritten und dem vierten Raum. 1992 emigrierte sie in Folge des verheerenden Bürgerkriegs in ihrer Heimat für Leben und Kunst für viele Jahre nach Budapest, wo sie heute noch — neben Residenzen in Novi Sad und der kroatischen Insel Hvar — lebt.

Der letzte Raum schließt thematisch an den ersten an, da auch hier visuelle Gedichte mit Schnittmustern zu sehen sind. Hier formen diese sich jedoch zu lyrischen Skulpturen, für die Ladik das Schreibpapier zerknüllt hat. Auch Textilien kommen ins Spiel: Die Stickereien und Nähte dieser textilen Partituren sind immer von zwei Seiten zu betrachten und aufzuführen, wobei es wie im Leben eine schöne und eine hässliche Seite gibt. Auch hier überraschen wieder ungewöhnliche und erheiternde Titel, wie z.B. »Blitz und Schnecke singen« (2008).

Diese erste große Überblicksausstellung der Künstlerin in Deutschland, die zuvor in einer etwas anderen Konzeption im Haus der Kunst in München zu sehen war, bietet der vielseitigen Künstlerin endlich ihre verdiente Plattform. »Ooooooooo-pus« beweist, genauso wie das eigens eingerichtete Forschungsvolontariat Osteuropa, derzeit von Galina Dekova bekleidet, dass man sich im Ludwig Forum der Verantwortung für die außerordentliche Sammlung — einer der Schwerpunkte: Osteuropa — bewusst ist. Auch anderen bisher ignorierten Künstler*innen dürfte das die längst verdiente Aufmerksamkeit bescheren.

Ludwig Forum Aachen, Jülicher Str. 97–109, 52070 Aachen, bis 10.3.; Di–So 10–17 Uhr