»Cola Lemon 30 Cent«: Im Kosmos der Spielsucht, Foto: Nathan Dreessen/Sommerblut/TiB

Ein letztes Mal spielen

Das Theaterstück »Cola Lemon 30 Cent« blickt in den Kopf eines Spielsüchtigen hinein

Da liegen sie, mitten in der Innenstadt dicht an dicht, mit verdunkelten Fenstern, muffig und aufregend zugleich: Spielhallen oder Automatenhöllen. Parallelwelten, die kaum im Bewusstsein des Passanten sind, obwohl täglich neue eröffnen. Innen piepst, ­glitzert, klackert es — und das ­Getränk Cola Lemon gibt es für 30 Cent. Denn die Betreiber tun alles, damit die zur Spielsucht Verdammten es so gemütlich wie möglich haben.

So kam auch der Titel des Theaterabends von Regisseur ­Frederik Werth zustande: aberwitzig günstig wird die Verweildauer an den Spielautomaten ­verkauft, denn nur so wird es für die Anwesenden richtig teuer. In den letzten zwanzig Jahren haben sich die Umsätze auf dem legalen Glücksspielmarkt mehr als verdoppelt. Das Theaterstück »Cola Lemon 30 Cent« blickt direkt in den Kopf eines Spielsüchtigen hinein. Aufstiegsverheißung, ­Abstiegsangst, Adrenalinkick. Nur noch ein einziges Mal um alles spielen — dann wird alles gut. Egal, wenn ich die Möbel meiner Frau versetze. Nach und nach ­ersetzt der Automat sowieso alle soziale Beziehungen. Und wie geht es einer Frau, deren Freund abhängig ist? Was sagt der Sozialarbeiter dazu?

Durch ausgiebige Recherchen, basierend auf dem Selbsterfahrungsbuch des ehemaligen Glücksspielritters Robert G. und Interviews mit Angehörigen und Betroffenen, ist ein großartiges Stück entstanden. Tief nehmen die drei Schauspieler Thomas ­Kaschel, Lisa Sophie Kusz und Bernd Schlenkrich uns mit in ­einen Kosmos, den viele kaum kennen, auch wenn er im Alltag omnipräsent ist.

Beim Sommerblut-Festival im Mai 2023 war das Bühnensetting aufgebaut im Subbelrather Hof, einer stillgelegten Kneipe, mit Monitoren und einem Glitzervorhang, das Ambiente wirkte ­authentisch — auch im Bauturm-Theater wird es gut passen. Irre Einspieler simulieren Reizüberflutung und Gedankenstream des Spielsucht-Betroffenen. Allein die Videokunst (Werth) hätte einen Preis verdient. Das Publikum ist hautnah dran am Geschehen und spürt auf einmal selbst, wie sich die Abhängigkeit und die Gedankenspiralen anfühlen.

Am Ende, beim Publikumsgespräch, erzählte Robert G. schließlich persönlich, wie er fast Haus und Ehe verspielte — ehe ihn die Selbsthilfegruppe »Game over«, die er heute leitet, und dann auch sein Schreiben retteten. Die Inszenierung schafft es, mit künstlerischen Mitteln ein tabuisiertes Stück Alltag brisant und aktuell zu machen. Hingehen dringend empfohlen!