Dr. Esperanto: Vierter Weltkongress 1908 in Dresden, Foto: Wikimedia Commons

Die Gleichgültigkeit der Welt überwinden

1908 wurde in der Dresdner Semperoper Goethes »Iphigenie auf Tauris« uraufgeführt — auf Esperanto

Nur ein paar Gehminuten vom Wiener Heldenplatz entfernt liegt ein kleines, unscheinbares Museum: In der oberen Etage sind ­Weltkugeln ausgestellt, im Erdgeschoss die Geschichte einer Sprache, die ebenfalls antrat, die Welt zu umspannen: Esperanto. Ende des 19. Jahrhunderts hatte der jüdische Augenarzt L.L. Zamenhof die Plansprache erfunden. Unter dem Pseudonym Dr. Esperanto (dt. »Dr. Hoffender«) veröffentlichte er 1887 eine Broschüre mit den Grundlagen der Sprache, die — wie Zamenhof nach seinen Erfahrungen mit antisemitischer Gewalt  fand — notwendig sei, um »die Gleichgültigkeit der Welt zu überwinden«. Eine »lingvo internacia«, die alle Menschen zum Humanismus bekehren wollte.

Bereits 1908 fand in Dresden, damals eine Hochburg der Esperanto-Bewegung, der Vierte Weltkongress statt. Mehr als 1.300 Menschen aus 40 Nationen waren gekommen. Schirmherr war der sächsische König Friedrich August III., der sich Zeit seines Lebens nicht allzu viel aus seinen Privilegien gemacht haben soll:

In Zivilkleidung mischte er sich unter die Leute, spielte Skat in Wirtshäusern und stellte den Theatern ­Unmengen an Geld zur Verfügung, obwohl er der Schauspielerei wenig abgewinnen konnte. Möglicherweise kam so auch die Aufführung in der Dresdner Semperoper zustande, die ein Höhepunkt des Kongresses werden sollte: die Uraufführung von Goethes »Iphigenie auf Tauris« auf Esperanto.

Zamenhof hatte das Stück nur wenige Wochen zuvor übersetzt. Regisseur der Inszenierung war Emanuel Reicher, einer der herausragendsten Schauspieler der damaligen Zeit, der als König Toas auch selbst auf der Bühne stand. Es sei »der höchste und wichtigste Moment« seines Lebens gewesen, schreibt Reicher Jahre später in der Berliner Morgenpost. Weil er erlebt habe, wie all diese vielsprachigen Menschen in einer einzigen Sprache zusammenkamen, »um nachher ihre Eindrücke in ihre mehr oder minder entfernte Heimat zu tragen«.

Zu dem von Reicher erhofften »Menschheits-Ganzen« kam es ­jedoch nicht. Sowohl unter den Nazis als auch unter Stalin wurden Esperanto-Vereinigungen verboten und viele ihrer Mitglieder ermordet. Eines aber ist bis heute geblieben: Der »pasporto servo«, ein jährlich aktualisiertes Adressbuch, das Esperantist*­innen weltweit vernetzt und ­kostenlose Übernachtungen auf Reisen anbietet.