Familiäre Enge © Twenty Twenty Vision

Olfas Töchter

Kaouther Ben Hanias Doku über eine zerrissene Familie als »therapeutisches Labor«

Die Schauspielerin ist aufgeregt. Gleich wird sie Olfa begegnen, der Frau, die sie im Film verkörpern wird — zumindest in den Szenen, die für diese emotional zu aufwühlend sind. Zwei Kolleginnen werden Rahma und Ghofrane darstellen, die beiden vom »Wolf verschlungenen« älteren Töchter. Eya und Tayssir, die beiden jüngeren, sollen sich selbst »spielen«.

»Ich bin wie Rose in ’Titanic’«, meint Olfa anfangs ein wenig kokett. Olfa steht nicht zum ersten Mal vor einer Kamera. 2016 berichtete sie im Fernsehen vom tragischen Schicksal ihrer jugendlichen Töchter, die sich nach einer Phase der Radikalisierung dem Islamischen Staat angeschlossen hatten und seit einigen Jahren in Libyen inhaftiert sind. Medienwirksame Geschichten wie diese ziehen meist vereinfachte Narrative nach sich. Die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania aber erkannte in Olfa eine höchst widersprüchliche Figur.

»Olfas Töchter« folgt einer komplexen, kaleidoskopartigen Anordnung. Das Setting ist minimalistisch, gedreht wurde in einem Hotel in Tunis. Kaouther Ben Hania, die »Close-Up« von Abbas Kiarostami und Orson Welles’ »F for Fake« als Vorbilder nennt, arbeitet mit reduzierten Farben, differenzierten Lichtstimmungen und Spiegelungen. Und sie mischt Interviews und Reenactments, in denen professionelle Darstellerinnen und reale Personen interagieren. Die Grenzen zwischen Erinnerungssuche, Bekenntnis und Rollenspiel sind fließend, es wird viel geweint — und viel gelacht. Gerade zwischen Mutter und Töchtern erlaubt die filmische Konstellation ein erstaunlich offenes Sprechen, das off camera nicht möglich wäre. Kaouther Ben Hania nennt ihren Film ein »therapeutisches Labor«.

Olfa konturiert sich im Laufe des Films immer mehr zu einer starken, aber zerrissenen Frau. Früh darin geschult, sich gegen männliche Gewalt zur Wehr zu setzen — das blutige Laken in der Hochzeitsnacht kam durch ihre Schläge auf den Bräutigam zustande —, hat sie gleichzeitig patriarchale Muster internalisiert. Alles, was mit dem Körper und der erwachenden Sexualität zu tun hatte, war angstbesetzt und wurde mit Züchtigungen bestraft. Die Töchter rebellierten: mit gefärbten Haaren, Goth Music, dem Hijab. »Olfas Töchter« erzählt von schwesterlicher Solidarität und systemischer Gewalt — und endet mit der Hoffnung, das Erbe der Repression, das von einer Generation an die nächste weitergegeben wird, durchbrechen zu können.

(Les Filles d’Olfa) F, TN, D, KSA, R: Kaouther Ben Hania; 107 Min