Skurrile Wesen © Studio Ghibli

Der Junge und der Reiher

Hayao Miyazaki bittet noch einmal zum Trip in seine autobiografisch gefärbte Fabelwelt

»Wie der Wind sich hebt« sollte eigentlich Hayao Miyazakis letzter Film sein. Dass er zehn Jahre später, mit über 80 Jahren, doch noch einen vorlegt, der außerdem autobiografische Züge trägt, lässt die Erwartungen steigen. Man sollte sie jedoch zügeln und »Der Junge und der Reiher« weniger als großes künstlerisches Statement denn als Pastiche verstehen. Ein Spiel mit den typischen Themen, Motiven und Figuren, die Miyazaki zu einem der einflussreichsten Regisseure der letzten Jahrzehnte gemacht haben.

Mahito ist zwölf Jahre alt und wächst während des Zweiten Weltkriegs in Tokio auf. So wie Miyazaki selbst, der 1941 geboren wurde, erlebt Mahito einen der Luftangriffe auf die japanische Hauptstadt, einen Feuersturm, bei dem seine Mutter stirbt (Miyazakis Mutter überlebte den Krieg). Sein Vater, ein Flugzeugingenieur (wie auch Miyazakis Vater) zieht mit der Familie aufs Land, in ein verlassenes Haus, zu einer neuen Frau, die bald schwanger ist.

Und hier taucht der Reiher auf, eine typische, anthropomorphe Miyazaki-Figur. Ein Wesen, in dessen Schnabel eine menschliche Gestalt zu hausen scheint. Ein ambivalenter Charakter, dessen Absichten lange unklar bleiben. Der Reiher führt Mahito in eine Parallelwelt, wo der Film nach etwas behäbigem Beginn Rasanz aufnimmt, fast überbordend wird. Mahito betritt eine magische ­Bibliothek, auf einem verwunschenen Schiff begegnet er den seltsamen Warawara, und auf ­einer Chaiselongue liegt eine Frau, die wie Mahitos Mutter ­aussieht — aber auch eine Gestalt aus der griechischen Mythologie sein könnte.

Je besser man sich in Miyazakis Welt auskennt, umso mehr Wiedererkennungseffekte stellen sich ein: seine Faszination für Mythen und Märchen, seine Begeisterung für Flugzeuge, seine Beschäftigung mit Verlust und Traumata. Es wimmelt von Wesen, die mal skurril, mal grotesk erscheinen und die für ein kaum merkliches Verwischen von Realität und magischen Welten sorgen. Altbekannt, aber auch unverwechselbar. Ein großer Wurf wie »Mein Nachbar Totoro« oder »Chihiros Reise ins Zauberland« ist »Der Junge und der Reiher« nicht. Stattdessen ein klassisches Alterswerk, in dem der Regisseur auf sein Œuvre zurückblickt, Motive und Themen variiert und noch einmal, vielleicht ein letztes Mal, dazu einlädt, zwei Stunden in der phantastischen Welt von Hayao Miyazaki zu verbringen.

(Kimitachi wa Dō Ikiru ka) J 2023, R: Hayao Miyazaki, 128 Min., Start: 4.1.