Kehren ihr Innerstes nach außen: A.Tonal. Theater, Foto: Martin Rottenkolber

»Die Haut ist wie eine Karte des Lebens«

Das A.Tonal.Theater erforscht mit »Subcutis« eine ­besonders verletzliche Schicht des Körpers

»Subcutis«, das ist das, was direkt unter der Haut liegt. Eine Schicht des Körpers, die besonders zart, empfindsam, verletzlich ist — und die Jörg Fürst und das A.Tonal.Theater in ihrer neuesten Produktion spannend erforschen. Die Bühne der Alten Feuerwache ist zunächst selbst mit einer Art Haut bespannt, blau schimmernd erleuchtet. Milchige Schatten lehnen sich dagegen: Stimmen, die tief aus dem Innersten des Körpers zu kommen scheinen. »Die Haut ist wie eine Karte des Lebens«, sagt eine, »manchmal kommt es mir vor, als ob mich diese Haut fremd macht von allem, was ich fühle.« Oder das Hauterlebnis ist so inten­siv, dass Körper und Geist nicht zu trennen sind: »Die Haut ist das Tor zu unseren Sinnen.«

Und dann sind die Zuschauer*innen selbst aufgefordert, hinter die Bühne zu kommen, auf Leinwand ist ein Hautbild in Extremvergrößerung projiziert. Der Riss, durch den wir gehen, könnte eine Wunde sein, eine Vagina oder ein Geburtskanal. Innen, auf der Bühne, leuchten Sitzschemel wie kleine Drüsen, wir sitzen drauf und sind zum Teil eines ganzen, organischen Körpers geworden, befinden uns in einem Universum aus Live-Musik, Klängen und Bildern.

In hautfarbenen Anzügen, ganz nah und eng, schreiten die 15 Performer*innen an uns vorbei: alte, junge, dicke, dünne, professionelle und nicht professionelle Darsteller, die mit uns tiefste Erlebnisse mit dem sensitivsten aller Organe teilen. »Es ist gar nicht so leicht, so schön zu sein, wie man sich fühlt«, sagt eine über 80-jährige Frau. Eine schwarze Performerin erzählt, wie weiß ihre Haut in Ghana wirkt und wie schwarz in Deutschland. Sie erzählen, wie die Haut Innerstes nach Außen kehrt, wie sie funktionieren muss, es oft nicht tut, mit Krankheiten, Verletzungen, Alterserscheinungen kämpft. Oder mit Tattoos markiert, herausgestellt, sexy gemacht wird — bis hin zur Schmerzgrenze oder zur Reue.

Unmerklich verändert sich das Thema, wird immer dystopischer: was, wenn diese zarten, indi­vi­duel­­len Sehnsüchte immer weitergehen — und wir uns durch Operatio­nen, Einpflanzungen, KI-­Expe­ri­mente immer weiter »selbst­optimieren«? Am Ende ­berichtet ein Cyborg über seine radikale Selbstveränderung, es tun sich immer gewaltigere Fragen auf: Wo verlaufen die Grenzen von Mensch und Maschine? Haben wir sie nicht schon längst überschritten? Ein groß­artiger Abend über letzte Fragen, Endlichkeit und Menschlichkeit, Tod und Zukunft.

Alte Feuerwache, 1.–3.2., 20 Uhr; 4.2., 18 Uhr