Dem Chaos eine Bühne

Seit Jahren herrscht Chaos an Karneval, und es wird immer schlimmer. Jetzt soll es eine Bühne am Hohenstaufenring geben — zusätzlich zur »Ausweichfläche« im Grüngürtel. Was soll das bringen?

Dass der kölsche Karneval ein Nachwuchs­problem habe, stimmt eigentlich nicht. Am 11. November und an Weiberfastnacht prägen gerade Jugendliche und junge Erwachsene das Bild — allerdings oft mit hemmungslosem Alkoholkonsum, Vermüllung ganzer Straßenzüge und Vandalismus. Seit 2022 kommt noch Naturzerstörung hinzu, weil der Stadtrat einen Teil des Grüngürtels als »Ausweichfläche« für die Massen deklariert hat. 50.000 Jecken sollen es dort am vergangenen Elften Elften gewesen sein.

Coletta Scharf, die sich beim BUND engagiert, beschreibt die Folgen, als die Jecken auch an den Aachener Weiher zogen. »Es sah am andern Tag aus wie auf einer Mülldeponie, alles war voll mit Verpackungsmüll, Scherben, Glasflaschen — auch im Wäldchen und auf dem Kinderspielplatz.« Scharf hat all das mit Fotos dokumentiert: Wasservögel waten durch Scherben am Ufer oder paddeln im völlig verdreckten Weiher. Niemand bei der Stadt hat ­einen Plan, wie die Umweltzerstörung behoben werden kann. »Im Kontakt mit den Kölner Parteien höre ich immer wieder, man wolle das nicht, man wolle etwas unternehmen — aber es wird letztlich kein Konzept entwickelt.«

Wie kann es sein, dass OB Henriette Reker und Stadtdirektorin Andrea Blome das zu­lassen? Zu Weiberfastnacht am 8. Februar lässt die Stadt wieder Matten im Grüngürtel ­auslegen, auch wenn die nachweislich kaum die Zerstörung verhindern — der Boden nimmt nach der Belastung durch die Menschenmassen nicht mehr ausreichend Sauerstoff auf.

»Da frage ich mich auch, wo das Statement des Umweltdezernenten bleibt«, sagt Helmut Röscheisen, Vorsitzender des BUND Köln. Stadtdirektorin Andrea Blome rechtfertigt das Vorgehen ordnungsrechtlich mit Gefahren­abwehr. Aber wenn die Menschenmassen regelmäßig ins Landschaftsschutzgebiet geleitet werden, wo es ein DJ-Programm und Getränkeausschank gibt, dann handele es sich um eine Veranstaltung, sagt Röscheisen. Das widerspreche dem Landschaftsplan. Die Stadt könne zwar eine sogenannte Befreiung beantragen, aber die werde nur aus Gründen des Allgemeinwohls erteilt. »Wie will die Stadt nachweisen, dass die Zerstörung eines Landschaftsschutzgebietes dem Allgemeinwohl dient?«, sagt Röscheisen. »Zumal es Alternativen auf versiegelten Flächen gibt.« Diese ­Alternativen aber wurden stets abgelehnt — zu ­teuer, zu aufwändig und angeblich nicht attraktiv, um Karnevalstouristen dort hinzulocken.

2022 legte der BUND bei der Bezirksre­gierung erfolglos Beschwerde gegen die Praxis der Stadt ein. Jetzt aber sei es anders, sagt Röscheisen: »Unserer Beschwerde wurde ­insofern stattgegeben, als dass es eine ­naturschutzrechtliche Überprüfung des ­Verhaltens der Stadt Köln geben wird.» Er sei ­»relativ optimistisch, dass man bei der Bezirksregierung jetzt den Ernst der Lage erkannt hat und die Stadt mit dem Argument einer ­Gefahrenabwehr nicht mehr durchkommt.« Die Bezirksregierung hat einen Bericht von der Unteren Naturschutzbehörde der Stadt Köln angefordert, die Prüfung läuft. Man »teile die Sorge um die Entwicklungen im Kölner Grüngürtel an den Karnevalstagen«, so die ­Bezirksregierung. Der BUND rechnet mit einem Ergebnis im März — nach der mutmaßlich ­erneuten Verwüstung.

Weil aber der öffentliche Druck mittlerweile hoch ist, musste die Stadt auf die Schnelle noch irgendeine Maßnahme präsentieren. Das ist jetzt ein Bühnenprogramm an Weiberfastnacht am Hohenstaufenring, zwischen Schaeven- und Schaafenstraße. Das kostet 320.000 Euro — doch der Grüngürtel wird weiterhin als sogenannte Ausweichfläche genutzt werden. »Jetzt so viel Geld für ein neues Bühnenprogramm ausgegeben, aber den Grüngürtel erneut zerstören zu lassen — das geht nicht«, sagt Röscheisen.

Seien Sie nicht bös’, wenn’s nicht klappt. Wir haben’s immerhin versucht. Joachim Zöller, Die Große von 1832

Im Sommer machte der BUND eine Bürger­eingabe für eine Großveranstaltung für ­junges Publikum auf der gesperrten Nord-Süd-Fahrt. Dort fanden schon Festivals statt. Doch der Vorschlag wurde im September von CDU und SPD im Ratsausschuss für Allgemeine Ver­waltung abgelehnt. »Tatsächlich ist die Nord-­Süd-Fahrt nie von der Fachverwaltung ­geprüft, sondern einfach verworfen worden«, sagt Jörg Frank, ehemaliger Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, der heute den BUND berät. »Umso interessanter, dass von der Stadt kurz vor Weihnachten die Veranstaltung am Hohenzollernring verkündet wird und das Umweltdezernat gar nicht erst beteiligt wurde«, sagt Frank. »Das ist eine Idee ausschließlich aus dem Umfeld der OB, was zeigt, dass man an einer wirklichen Lösung nicht interessiert ist, sondern bloß reaktiv handelt.«

Ähnlich sieht es Michael Neumann von der Bürgergemeinschaft Rathenauplatz, der am Runden Tisch Karneval teilnimmt — jenem Gremium, das nach den Ausschreitungen am Elften Elften 2017 einberufen wurde, besetzt mit Vertretern von Verwaltung, Politik, Polizei, Feuerwehr, Festkomitee, Gastronomie sowie mit Anwohnern. Man erarbeitete viele Ideen, bloß wurde keine umgesetzt. Neumann erzählt, dass nicht mal Protokolle der Sitzungen angefertigt würden. Dass OB Reker nun die Bühne am Hohenstaufenring als Lösung präsentieren kann, liegt ­daran, dass sich die Karnevalsgesellschaft »Die Große von 1832« angeboten hat, eine ­solche Veranstaltung mit freiem Eintritt zu ­organisieren. Die Kosten für den Stadthaushalt betragen 320.000 Euro; zusammen mit den Kosten von rund 500.000 Euro für die Abdeckplatten im Grüngürtel sowie anderem ­finanziellen Aufwand wird der Haushalt mit mehr als einer Million Euro belastet. 

Im Gespräch sagt Joachim Zöller, Präsident der »Großen von 1832«, man habe seit zehn Jahren Erfahrung mit Großveranstaltungen. »Wir organisieren den Elften Elften am Tanzbrunnen — aber mit Tickets, abgesperrt, als ­Familienveranstaltung. Wir haben auch schon eine offene Veranstaltung am Roncalliplatz gemacht — aber ein Platz ist doch etwas anderes als eine Straße.« Warum organsiert Zöller trotzdem solch ein Event, das  eigentlich kaum helfen kann? Auch darüber habe man in der Gesellschaft diskutiert, sagt Zöller. »Aber wir wollen es probieren! Wenn die Stadt glaubt, mit einer weiteren Veranstaltungsfläche alles etwas entzerren zu können und langfristig der Jugend einen anderen Karneval zu zeigen, dann versuchen wir das.« Zöller kündigt ein Programm von morgens bis nachmittags an, mit Newcomer-Bands sowie DJs, und mit einer »erfahrenen, aber jugendlichen Moderatorin, die eine passende Ansprache an das Publikum hat«. Doch schon hat sich Widerstand rund um den Veranstaltungsort gebildet, wo es viele Kneipen insbesondere für ein queeres Publikum gibt. Der Cologne Pride e.V. forderte OB Reker auf, »von dieser gefährlichen und undurchdachten ‚Lösung’ Abstand zu nehmen«, weil die »Beleidigungen und Beschimpfungen der Gäste auf der Schaafenstraße an den ­Karnevalstagen durch vorbeiziehende und ­betrunkene Jugendliche stark gestiegen« sei. ­Zöller beteuert, die Sorgen ernst zu nehmen und Gespräche zu führen. Er freue sich aber auf die Veranstaltung. Die »Große von 1823« wolle der Stadt helfen, die Zustände an ­Karneval zu verbessern. Aber es sei eben ein Versuch. »Seien Sie nicht bös’, wenn’s nicht klappt. Wir haben’s immerhin versucht — sonst hat sich ja niemand getraut.«

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