Kampf um Sexarbeit

Prostitution ist in Deutschland erlaubt. Doch zuletzt wurden wieder häufiger Forderungen nach einem Sexkaufverbot laut. Wie geht es den Menschen, die am Eigelstein oder in Niehl mit Sexarbeit ihren Lebensunterhalt verdienen — und wie könnte man sie besser schützen?

Männer können in Köln Sex kaufen. Sie können das tun in Häusern wie dem Pascha, dem nach eigener Aussage größten Laufhaus Europas. Sie können das, für weniger Geld, in einer der einschlägigen Kneipen am Eigelstein arrangieren und in einem der nahe gelegenen Stundenhotels vollziehen, oder im eigenen Auto auf dem städtisch betreuten Gelände an der Geestemünder Straße in Niehl, in einem Wohnwagen auf dem »Hausfrauenstrich« am Eifeltor kurz vor der südlichen Stadtgrenze, in den Saunaclubs, die sich in vielen Kölner Gewerbegebieten finden, in Wohnungen, die für käuflichen Sex angemietet werden und an vielen anderen Orten. Auch Frauen kaufen in Köln Sex. Ausbeutung, Zuhälterei und Menschenhandel sind dabei aber selten ein Problem.

Prostitution oder Sexarbeit, so der Begriff, der zur Ermächtigung der Ausübenden verwendet wird, ist eine gesellschaftliche Realität, die im Stadtbild mal mehr und mal weniger sichtbar ist. An den Rand gedrängt, droht den Frauen, Männern und Transpersonen Schutzlosigkeit. Bieten sie ihren Körper in der Mitte der Stadtgesellschaft an, werden Machtverhältnisse, Schieflagen und Abgründe unübersehbar. Die Diskussion um die Sicherheit der Prostituierten hat während und nach Corona wieder an Bedeutung gewonnen, nach einer Zeit voller Ausnahmen, in der ihre Arbeit vorübergehend illegal war, und sogar das Pascha in die Insolvenz rutschte, nur um kurze Zeit später unter neuem Eigentümer wieder zu öffnen.

1.163 Prostituierte sind in Köln zurzeit offiziell angemeldet, teilt die Stadtverwaltung mit. Es gibt diese Zahl, weil sich Sexarbeiter*innen anmelden und beim Gesundheitsamt beraten lassen müssen. Die tatsächliche Zahl dürfte weitaus höher liegen. Eine seriöse Aussage über die Dunkelziffer lasse sich nicht treffen, heißt es unter anderem bei der Kölner Polizei. Wer sich anmeldet, erhält einen Ausweis, der bei Kontrollen von Polizei oder Ordnungsamt vorliegen muss. Das Gesetz dazu wurde 2017 vom Bundestag verabschiedet und wird derzeit evaluiert. Es steht für die Fortsetzung eines liberalen Umgangs mit Prostitution, ebenso wie das bunt beleuchtete Pascha, das auf Taxis und Plakatwänden um Gäste wirbt.

Doch wie gut gelingt es, die Menschen in der Sexarbeit, und zwar ganz konkret in Köln, zu schützen? Dieser Frage sind wir nachgegangen, haben mit aktuellen und ehemaligen Sexarbeiter*innen gesprochen, mit Sozialarbeiterinnen und Polizist*innen. Eine andere Frage lässt sich davon in der öffentlichen Debatte kaum trennen: Wie viel Raum nimmt Prostitution in der Stadt ein? Die damit verbundenen gesellschaftlichen Fragen lassen sich nur schwer beantworten, ohne die Widersprüche zwischen den Interessen von Bürgerschaft und Sexarbeiter*innen zu diskutieren.

Moral und Sitte kann man nicht erzwingenGisela Manderla, CDU

In der Bundespolitik findet die Forderung nach einem generellen Sexkaufverbot jüngst vermehrt Zustimmung. Nach dem Vorbild der skandinavischen Länder werden solche Regelungen, verbunden mit Ausstiegsangeboten und sozialarbeiterischer Betreuung, als nordisches Modell bezeichnet. Vorgegangen wird gegen Freier und Bordellbetreiber*innen. Die Prostituierten bleiben straffrei. Wer für das Verbot ist, argumentiert mit dem Frauenbild, das sich in der jeweiligen Haltung zur Prostitution ausdrücke, und mit den kriminellen Strukturen, die durch einen liberalen Ansatz fast zwangsläufig gefördert würden. Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD, zeigte sich im Bundestag Mitte November offen für ein solches Verbot. Käuflicher Sex dürfe nicht normal sein. Die Unionsfraktion hatte sich zuvor schon ähnlich positioniert.

Die Kölner Sozialverbände und Beratungsstellen sprachen sich gegen den Vorstoß aus. »Ich sehe darin ein merkwürdiges Streben nach gesellschaftlicher Aufgeräumtheit«, sagt Anne Rossenbach. Sie arbeitet für den Sozialdienst katholischer Frauen (SkF), der sich seit dem Jahr 1900 unter anderem um weibliche Prostituierte kümmert. Die aktuelle Diskussion mache sie bisweilen sprachlos. Die viel größere Frage nach dem gesellschaftlichen Frauenbild werde an einer kleinen, aber besonders einflussarmen Gruppe festgemacht, deren Mitglieder zu den Leidtragenden eines Verbots zählen würden. »Wir würden viele Frauen nicht mehr erreichen«, sagt sie. Auch in der Kölner Politik fanden solche Forderungen bislang kaum Anklang. »Moral und Sitte kann man nicht erzwingen«, sagt Gisela Manderla, frühere CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Kölner Frauenunion. Sie widerspricht damit ihrer heutigen Bundestagsfraktion und begründet das vor allem mit Erfahrungen aus Köln.

Anne Rossenbach vom SkF berichtet aus der Corona-Zeit, als die Sexarbeit lange verboten war. Einige Frauen seien in ihre Heimatländer zurückgekehrt oder hätten ihre Dienste im Internet per Webcam anbieten können. Manche haben den Ausstieg, vermutet sie, vielleicht sogar dauerhaft geschafft. Viele andere haben illegal weitergearbeitet, mit eindeutigen Folgen: Mehr Gewalt, ruppigere Freier, Arbeitsorte ohne Zugang zu Beratung, Angst, die Polizei zu Hilfe zu holen, und Freier, die die Notlage ausnutzen, um zum Beispiel trotz Kondompflicht ungeschützten Verkehr durchzusetzen. Ähnliches berichten Mitarbeiter*innen anderer Beratungsorganisationen, auch über männliche und transsexuelle Sexarbeiter*innen. Die Kölner Polizei bestätigt das ebenfalls.

Von »einer Verschiebung von Sexarbeit in Orte versteckter Anbahnung und Umsetzung« spricht die Stadt, eine Entwicklung, die bereits mit dem Prostituiertenschutzgesetz begonnen, sich mit Corona verstärkt habe und wohl erst mal von längerer Dauer ist: »Einige Clubs, Bordelle und uns bekannte Wohnungsbordelle haben geschlossen«, teilt das Presseamt mit. Das 2017 von der Großen Koalition verabschiedete Gesetz hat aus Sicht vieler sein Ziel verfehlt. Zu viele Vorgaben haben die Betroffenen in die Illegalität gedrängt. Das Stigma sei geblieben, sagen die einen. Mit der weiterhin liberalen Grundhaltung blieben aber all jene unbehelligt, die an den Notlagen der Frauen verdienen oder sie gar ausnutzen — das sagen die anderen.

Jara Anouk, eine Aussteigerin, die bis 2018 als Prostituierte unter anderem auch in einer Kölner Mietwohnung gearbeitet hat, hält es für untragbar, »dass Politik und Gesellschaft da nicht näher hinschauen«. Das schreibt sie in einer Antwort auf Fragen, die wir per Mail an das Netzwerk Ella geschickt haben, eine »Aktionsgruppe von Frauen aus der Prostitution«, die sich für das Nordische Modell ausspricht. Unter ihrem Pseudonym, das sie zum Schutz vor ihrem früheren Zuhälter nutzt, schreibt Anouk: Die liberale Gesetzgebung fördere den Menschenhandel, ermögliche die Erniedrigung von Frauen, die sich in Laufhäusern wie dem Pascha wie Waren anbieten würden, während die Bordellbetreiber »an der Ausbeutung und dem Leid der Prostituierten« mitverdienen. »Das ist absolut demütigend und widerlich«, schreibt sie. Sie selbst sei von einem »Loverboy« in die Prostitution gedrängt worden und habe sich nie sicher gefühlt. Weder bei den Behörden noch bei den Polizeibeamten, die immer wieder ihre Papiere kontrolliert haben, habe sie das Gefühl gehabt, sich anvertrauen zu können. Den Ausstieg habe sie schließlich nur dank ihrer Familie geschafft, als sie sich endlich dazu durchrang, um Hilfe zu bitten.

Was die Gegner*innen des liberalen Kurses oft ausblenden, ist, dass er Voraussetzung ist für Projekte wie die Verrichtungsboxen an der Geestemünder Straße, eine Kooperation der Stadt Köln, des SkF und der Polizei, mit der ein sicheres Arbeitsumfeld für suchtkranke Prostituierte geschaffen wurde. Wenn solche Projekte von Seiten der Verbotsbefürworter*innen erwähnt werden, dann als von vornherein gescheitert und als Beweis für die vermeintliche Komplizenschaft der öffentlichen Hand. Dabei lohnt ein genauerer Blick auf den Erfolg des »Sozialstrichs«, den auch CDU-Frau Manderla hervorhebt.

Anbahnungskneipen, Verrichtung in Müllräumen oder auf der Parkbank neben einer Kita — die Normalität am Eigelstein

Vor mehr als zwanzig Jahren unternahmen Stadtverwaltung, Politik, Sozialarbeiter*innen und Polizei einen bis dahin beispiellosen Versuch. Damals hatte sich ein Straßenstrich zwischen Eigelstein, Ebertplatz und Theodor-Heuss-Ring etabliert, auf dem suchtkranke Frauen arbeiteten. Das zog Freier an, die im Auto durch die Wohnstraßen kreisten, und bot den Frauen kaum Schutz. Mehrfach schreckten Gewalttaten die Öffentlichkeit auf. Mit der Verlagerung des Geschehens in das Niehler Industriegebiet gelang es, den Interessen von Anwohner*innen und Prostituierten gleichermaßen gerecht zu werden, wenngleich es dauerte, bis das Ausweichangebot angenommen wurde. Aufsicht, Beleuchtung, klare Regeln, ein Notfallknopf und Beratung vor Ort ermöglichen den Frauen seitdem ein sicheres Arbeiten. Inzwischen beziehen sich andere Städte auf die Geestemünder Straße als Vorbild.

Katharina Ernst und Charlin Leinemann sitzen in ihren Polizeiuniformen an einem Besprechungstisch. Sie haben sich Zeit genommen für ein Gespräch im Kalker Präsidium, bevor sie später in einem zivilen Fahrzeug zur Geestemünder Straße aufbrechen. Dort sind sie zwei Mal pro Woche als Kontaktbeamtinnen für die Frauen ansprechbar. Sie kommen nicht, um zu kontrollieren. Sie beraten, informieren gemeinsam mit den Sozialarbeiter*innen über die ordnungsrechtliche Anmeldung. Vertrauen aufbauen, so beschreiben sie ihre Aufgabe. Sie fragen nach besonderen Vorkommnissen, helfen, wenn es Streitigkeiten gibt, oder Frauen sich belästigt fühlen. »Die meisten sind froh, dass wir nachfragen«, sagt Ernst. Sie spüre ein gewisses Vertrauen. Das haben sie und ihre Vorgängerinnen sich erarbeitet. Sollten die Polizistinnen ­allerdings Hinweise auf Straftaten bekommen, seien sie angehalten, diese zu verfolgen, betont ein Mitarbeiter der Pressestelle im Nachgang, um Missverständnisse zu vermeiden.

»Unser größtes Problem ist, dass die Frauen, die Opfer werden, sich nicht an uns wenden«, sagt ihr Kollege, Kriminalhauptkommissar Konstantin Tzanakis. Er arbeitet in der Abteilung, die bei der Kriminalpolizei für Menschenhandel, Ausbeutung, Zwangsprostitution und Zuhälterei zuständig ist. In diesem Rahmen kontrollieren sie routinemäßig auch die Bordelle. »Das machen wir unangekündigt, aber smooth«, sagt er. Sie sprechen mit den Frauen, die sie vor Ort antreffen, »unter vier Augen«, insbesondere mit den jungen Frauen. Er wünscht sich dafür mehr Personal. Auch für ihn liegt der Schlüssel darin, Vertrauen aufzubauen.

Tzanakis und seine Kolleginnen wissen, dass die Bevölkerung oft ein anderes Bild von ihrer Aufgabe im Zusammenhang mit Prostitution hat. »Wir kennen das natürlich, dass die Bürger sich bei uns über die Prostitution in ihrem Haus oder in der Nachbarschaft beschweren und glauben, das müsse doch verboten sein. Solange wir aber keine konkreten Hinweise auf Straftaten haben, ist das nichts für die Polizei«, sagt Tzanakis. Für den Einsatz verdeckter Ermittler*innen gelten noch höhere Anforderungen: ein konkreter Anfangsverdacht und die Zustimmung eines Richters oder einer Richterin. Seine Kollegin beschreibt ähnliche Erfahrungen. »Was für Außenstehende nach Zuhälterei aussehen mag, sieht für die Frauen selbst eben anders aus«, sagt Ernst. Wenn eine der Frauen das verdiente Geld mit ihrem Freund teile, um aus einem »gemeinsamen Topf« Drogensucht oder Lebensunterhalt zu finanzieren, erfülle das nicht den Straftatbestand. Sie hält Projekte wie die Geestemünder Straße, in der den Frauen ermöglicht wird, betreut und würdevoller zu arbeiten, für den richtigen Weg.

Ortswechsel: Atakan Taner ist in Seeberg aufgewachsen und als Eigentümer von Immobilien am Eigelstein viel im Veedel unterwegs. Was er und Anwohner*innen vom Eigelstein berichten, hat mit Würde wenig zu tun. Sie klagen, dass die Prostitution in ihrem Veedel seit ein paar Jahren wieder zunehme, oder zumindest sichtbarer werde. Taner steht an der Kreuzung von Eintrachtstraße, Eigelstein und Weidengasse, und erzählt, was er aus etlichen beobachteten Szenen und mitgehörten Unterhaltungen geschlossen hat. Ihm zufolge stehen hier die Freier, die für »die schnelle Befriedigung« den Eigelstein ansteuern. Es sind die, die sich das Pascha nicht leisten können. Sie kommen zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem Transporter ihres Arbeitgebers, mit der S-Bahn. Vor allem am Wochenende machten hier einige auch einen Stopp auf dem Rückweg zum Billigflieger, um die letzten Euros für das Partywochenende in das Viertel direkt hinterm Hauptbahnhof zu tragen.

Dieses Bild haben Taner und seine Vorstandskollegin vom Bürgerverein Eigelstein, Ruth Wennemar, im Gespräch kurz zuvor gezeichnet, informiert aus dutzendfacher eigener Anschauung. Sie haben aufgezählt, was das für die Anwohner*innen bedeutet: Verrichtung in Müllräumen, im Lieferfahrzeug des Paketboten, auf einer Parkbank im Durchgang neben einer Kita, in Dixie-Klos auf Baustellen. Laufhäuser in unscheinbaren Altbauten, Stundenhotels, Anbahnungskneipen, Frauen, die vermeintliche Freier auf der Straße ansprechen: All das gehört am Eigelstein quasi zur Veedelsfolklore. Auch bei Polizei, Stadtverwaltung und Sozialarbeiter*innen gilt der Eigelstein als Hotspot der Prostitution in Köln. Und doch: »Keinen interessiert’s«, sagt Wennemar wütend. Zuletzt war ein Wohnhaus in den Schlagzeilen, weil in den plötzlich bunt beleuchteten Fenstern Prostituierte ihre Dienste anboten. Grundlage für das Einschreiten der Stadt war schließlich die Wohnraumschutzsatzung, die eine Zweckentfremdung untersagt.

Dass die Situation am Eigelstein die Normalität darstellen soll, damit will sich der Bürgerverein nicht abfinden. Sie halten die Umstände, unter denen die Frauen hier vermutlich arbeiteten, für untragbar: Frauen, die geschlagen werden, Zuhälter, die sie »nicht aus den Augen lassen«, Armut, die den Frauen keine andere Wahl lasse, und Menschenhandel. Wennemar spricht sich für einen drastischen Schritt aus. Sie wünscht sich ein Verbot nach dem Vorbild nordischer Länder wie Schweden.

Andreas Hupke, Bezirksbürgermeister und Grünen-Politiker, beschreibt die Situation am Eigelstein ebenfalls in drastischen Worten. In seinem Bild geht es um die »totale Abhängigkeit« der Frauen von ihren Zuhältern und um »modernen Sklavenhandel«. Prostitution ist legal, Ausbeutung, Zuhälterei und Menschenhandel nicht. »Das ist die reine Lehre. Aber der Staat lässt die Frauen letztlich alleine«, sagt Hupke. Er zeigt Verständnis für die Anwohner*innen. Es müsse verhindert werden, dass Prostitution »an jeder Ecke stattfindet«. Der Sperrbezirk, der sie eigentlich »an öffentlich zugänglichen Orten« für die Innenstadt untersagt, müsse durch Polizei und Ordnungsamt konsequent durchgesetzt werden.

Hupke ist aber gegen ein grundsätzliches Verbot. Nicht jede Argumentation sei im Sinne der Prostituierten. »Wenn das Geschehen in den Kneipen bliebe, würde sich keiner beschweren«, glaubt Hupke. Er fordert eine offene Diskussion und eine gesellschaftliche Anstrengung. Der Staat müsse dafür sorgen, dass den Frauen in der Sexarbeit mehr Selbstbestimmung möglich sei. Hupke, der auch am Eigelstein auf seine persönlichen Erfahrungen aus den sozialen Kämpfen der 1970er und 80er Jahre verweist, kann sich ein »genossenschaftlich organisiertes Laufhaus« vorstellen, das die Frauen verwalten und zu dem Freier keinen Zutritt haben. »Man muss die Frauen stärken, mit Gesetzen und Logistik«, sagt er.

Ist das, was die Frauen vom Eigelstein brauchen? Einen guten Einblick dürften die Sozialarbeiterinnen von Agisra haben, einer Organisation, die es seit mittlerweile 30 Jahren gibt. Wir treffen uns zum Gespräch in ihren Beratungsräumen. Sie waren bis Corona regelmäßig vor Ort, seien bis dahin gut mit den Frauen in Kontakt gekommen, auch dank einer Mitarbeiterin, die eine der Muttersprachen der Frauen dort spricht. Ihrer Einschätzung nach arbeiten viele der Frauen selbstständig. Die Forderung nach einem Sex-Kaufverbot mit dem Schutz der Frauen zu begründen, finden sie »scheinheilig«. Natürlich gebe es Profiteure, Zuhälter und auch Ausbeutung. Selbst sie könnten aber nicht mit gutem Gewissen sagen, wie groß der Anteil der Frauen sei, die tatsächlich gezwungen würden.

Viele, darunter auch Frauen mit guten Abschlüssen, kämen für drei Monate nach Deutschland, um als Sex-Arbeiter*innen Geld zu verdienen, weil sie vom Mindestlohn in ihrer Heimat nicht leben könnten und ohne Sprachkenntnisse, Kapital, Wohnung oder Kontakte keine andere Verdienstmöglichkeit sehen. Ohne jemanden, der ihnen hilft, scheine das manchen gar nicht möglich. Das daraus resultierende Verhältnis könne durchaus auch eine einvernehmliche Abmachung sein. Damit die Frauen nicht in Abhängigkeiten rutschen, fordert Agisra mehr und wirksamere Unterstützungsangebote.

Wenn wir eine andere Gesellschaft wollen, dann lasst uns Armut bekämpfen und das Patriarchat ab­­schaffenAgisra, Beratungsstelle

Agisra bietet den Frauen eine Postadresse, die Voraussetzung für viele Formalitäten ist. Auch dadurch entstehen Kontakte. Sie unterstützen mit ihrer Beratungsarbeit gleichermaßen Frauen, die von sexueller Ausbeutung oder Zwangsprostitution betroffen sind, als auch Frauen, die selbstbestimmt in dieser Branche tätig sind und das auch bleiben wollen, dafür aber Unterstützung für ihren Gesundheitsschutz, für ihre Familie, bei Steuer-Angelegenheiten und Ähnlichem benötigen. »Die meisten der Frauen, die zu uns kommen, um eine Postadresse einzurichten versichern uns glaubhaft, dass sie selbständig und freiwillig diesen Beruf ausüben«, sagen sie.

In der Diskussion um ein Verbot wird Freiwilligkeit oft infrage gestellt: Was heißt das schon angesichts der Notlagen, in denen Menschen nur die Möglichkeit sehen, sich zu prostituieren? Die Sozialarbeiterinnen von Agisra haben darauf keine Antwort, aber eine klare Haltung. »Wenn wir eine andere Gesellschaft wollen, dann lasst uns dort etwas ändern, wo es wirklich brennt. Dann lasst uns Armut bekämpfen und das Patriarchat abschaffen«, sagt eine der Mitarbeiterinnen. In der Zwischenzeit gelte es, Perspektiven für die Frauen zu schaffen, etwa Qualifikationen aus den Heimatländern für den Arbeitsmarkt zu nutzen, mit Studien tatsächliche Bedarfe von Sex-Arbeiter*innen präzise zu erfassen, Sprach- und Integrationskurse anzubieten, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, Beratungsangebote speziell für diese Gruppe auszubauen. Der Aufwand sei nur angemessen. Angemeldete Sex-Arbei­ter*innen würden mit Vergnügungs- und anderen Steuern schließlich auch zum Haushalt der Stadt beitragen.