Wilderer der Popkultur: Mythos Amerika, Foto: Lydia Reisch

Von Roland Barthes bis Roland Kaiser

Das Kölner Trio Mythos Amerika begreift sich als ­popkultureller Schwamm

Was als Solo-Projekt von Tobias Meyer begann, der bei dem Kölner Experimentalpop-Kollektiv Hall&Rauch vornehmlich hinterm Schlagzeug sitzt, ist eine richtige Band geworden: Mythos Amerika.

Der vollmundige Name trägt die ironisch gebrochene Hybris der Musik schon in sich, denn das Trio, zu dem Bassist Simon Nett und Gitarrist Malte Pries gehören (live komplettiert durch Keyboarderin Karla Lee) nimmt sich heraus, Genregrenzen zu ignorieren und durch die Popkultur zu wildern, dass es eine helle Freude ist.

Malte, der ebenfalls Teil beider Formationen ist, beschreibt die Trennlinie zwischen den Projekten: »Mythos Amerika ist eher eine ‚klassische’ Band, in der die Rollen auf der Bühne etwas stärker definiert sind. Die Strukturen sind weniger offen, die Organisation ist straffer.« Der kollektivistische Ansatz bleibe aber erhalten: »Die Stücke werden größtenteils gemeinsam komponiert, Entscheidungen werden demokratisch getroffen, jeder Einwand wird ernst genommen — der Reiz einer Band liegt auch darin, zu versuchen, ein utopisches Gesellschaftsmodell im Mikrokosmos zu etablieren.«

Mit dem Debütalbum »Jugend trainiert für Olympia« ist der Band überraschenderweise die Quadratur des Kreises gelungen: ein Pop-Pastiche, das einerseits wild mit den (der reinen Lehre nach) sich widersprechenden Einflüssen jongliert und andererseits am Ende doch einen kohärenten ­Eindruck hinterlässt. Vielleicht ist es ja der im Prefab-Sprout-artig jangelnden Eröffnungsstück »Ich bin ein Schwamm« besungene künstlerische Katalysator, der bei Mythos Amerika besonders gut funktioniert. So kann auf 80er-Sophistipop auch Quatschmusik (»Doppelschicht«), slicker Schlagerpop (»Alle High«) oder eine krautig-jazzige Instrumentalsession (»99 %«) folgen, ohne dass man beim Hören den Faden verliert. Sänger Tobias Meyer erklärt es so: »Wir lassen uns von allem und jedem beeinflussen und wir machen keinen Hehl daraus. Egal ob Roland Barthes, Roland Emmerich oder Roland Kaiser, wir sind sozusagen in einem permanenten Zustand des Überlaufens. Wir mögen Echos, Kopien und Verkleidungen. Gleichzeitig sind wir sehr misstrauisch. Wahrscheinlich sind wir Kinder unserer Zeit.«

Immer wieder stellt sich beim Hören die Frage der Perspektive, in deren  Fluchtlinie die Songs ­geschrieben wurden. Ist das alles witzig, postironisch oder doch ernst gemeint? »Wir lieben das Ambivalente und finden, dass sich witzig und ernst nicht ausschließen müssen«, erklärt Tobias, »die Songs entstehen aus einer Perspektive der Begeisterung für ein Gefühl, eine Idee oder auch ein Klischee und des gleichzeitigen kritischen Hinterfragens desselben, wobei auch die eigene Haltung reflektiert wird. Wir sagen uns permanent, das kann man so nicht machen, machen es aber meistens trotzdem.«


Schlager ist nicht an sich weniger wert als 80er-Art-Pop, es geht ja nur darum, wie diese Begriffe gesellschaftlich aufgeladen werdenTobias Meyer

Was auf Papier ein wenig schlaumeierhaft-verkopft klingen mag, kommt in der musikalischen Umsetzung auf erstaunlich federndem Fuße daher, das Album ist nicht anstrengend, sondern macht durchgängig Spaß — was auf eine große Aufgeschlossenheit der ­Produzenten zurückzuführen ist. »Wenn man sich einem bestimmten Genre zugehörig fühlt, dann ist das ja immer auch ein Mittel zur sozialen Distinktion«, findet Tobias. »Unsere einzige Hoffnung ist es, die Genres gleichberechtigt nebeneinander zu stellen und ­dadurch unsere Hörgewohnheiten zu demokratisieren. Schlager ist nicht an sich weniger wert als 80er-Art-Pop, es geht ja nur ­darum, wie diese Begriffe gesellschaftlich aufgeladen werden.«

In gewisser Weise verkörpern ­Mythos Amerika auf perfekte ­Weise die Kölner Popkultur, die — abseits vom Minimaltechno der Nuller Jahre — noch nie für eine bestimmt Schule, sondern eher für den sprichwörtlichen Kessel Buntes stand: »Wir kennen natürlich beim besten Willen nicht alle Akteure, haben aber das Gefühl, dass viele interessante Sachen passieren«, bestätigt Bassist Simon Nett, »es gibt viele kleine Nischen, es ist unheimlich divers.« Bei ­allem Nischencharme: Gerade für die Strahlkraft des Popstandortes Köln wär es begrüßenswert, wenn ein so cleverer Act wie Mythos Amerika zukünftig eine größere, überregionale Plattform erhalten würde. 

Album: Mythos Amerika »Jugend ­trainiert für Olympia« ist auf Baumusik erschienen
Konzert: Do 15.2. Salon des Amateurs, Düsseldorf, 20 Uhr