Nicht einige, sondern alle sollen sich wohl und sicher fühlen: Das Thema Awareness treibt die Clubszene um, Foto: uclu_photosoc_cc_by_sa_2_0

Awareness

Symptom eines Systemfehlers

Klingt nach Yoga, nicht nach Techno, doch ist Awareness der Begriff der Stunde und hat sich binnen der letzten Jahre zu einem Leitmotiv der Clubkultur entwickelt.

Sichtbar wird das Phänomen auf Webseiten und Social-Media-Kanälen von Clubs und Veranstaltenden, die sich für ein achtsames Miteinander auf ihren Partys ­aussprechen, begleitet von Hausregeln und Verhaltensempfehlungen, um Safer Spaces zu kreieren, den Raum so sicher wie möglich zu gestalten, damit sich alle ­Feiernden wohl fühlen.

Das DJ-Kollektiv Précey kündigte 2021 ihre erste Party im Jaki mit den Worten an: »Précey möchte Raum für Diversität schaffen, um Safer Spaces und Empowerment in unserer Szene entstehen zu lassen, aber auch, um Genregrenzen zu überwinden. Wir möchten die Viefältigkeit der Kölner ­Szene auch auf unseren Line-ups repräsentieren«. Im selben Jahr erklärt die kinky Techno-Partyreihe Nurböse in einem Posting, warum sich Menschen auf Normalo-Partys nicht sicher fühlen: »Es ist das anfassen, berühren und grabschen. Es ist das ›Die sind betrunken, lass es uns ausnutzen‹.« Dem halten sie entgegen, warum sich Menschen auf ihrer Party wohl fühlen: »Es ist das Zustimmen. Es ist das klare Einhalten von Regeln. Es ist das Fragen vor dem Handeln.

Es ist das Respektieren von Nein.« Neben der Vermittlung des ­Awareness-Gedanken gibt es auf ­Veranstaltungen jederzeit ­ansprechbare Teams, es gibt ­Awareness-Points, Rückzugsräume, FLINTA*-Toiletten, es gibt ­frisches Obst und Snacks for free, Hygieneprodukte, Ohrstöpsel, Trinkwasser an den Waschbecken.

Nur — das Phänomen Awareness kann auch stutzig machen. Als Raverin und Ü40-Clubmenschin frage ich mich, wieso es das braucht, denn Awareness — Achtsamkeit, Gewahrsein — hat ­eigentlich einen zentralen Stellenwert in der Clubkultur. Insbe­sondere in der Feierkultur der elektronischen Musikszene gehörte das, was heute Awareness genannt wird, zum Selbstverständnis von Partymenschen und ihrem Miteinander. Natürlich gab es schon immer unterschiedliche Affinitäten, die musikalisch, räumlich, ästhetisch Ausdruck fanden und die Szene in Lager ausdifferenzierte, doch der gelebte Spirit — Gleichheit, Gemeinschaftlichkeit, Freiheitlichkeit, Selbstbestimmung, Wohlwollen — waren in den 90ern allgemeiner Konsens.

Warum sich Menschen auf ihrer Party wohl fühlen: Es ist das Zustimmen. Es ist das klare Einhalten von Regeln. Es ist das Fragen vor dem Handeln. Es ist das Respektieren von Nein
Statement der Partyreihe Nurböse

Die Clubszene bot jenen ­Unterschlupf, die anders waren, sich in der Gesellschaft nicht willkommen fühlten: mehrheitlich Menschen aus marginalisierten Gruppen. Die Clubszene war ein subkultureller Schutzraum, ein bewusst gestalteter Gegenraum zu unserem patriachalen, kapitalistischen Gesellschaftsentwurf und seiner heteronormativen, ­cis-männlichen, weißen Prägung, die dieses vereinnehmende Selbstverständnis hervorbingt, das sich in jener unangenehmen Körperlichkeit manifestiert, sich ganz selbstverständlich in öffentlichen Räumen breit zu machen. Wir hatten damals noch keine schicke Sprache für die Phänomene, die uns umgaben, aber wir wussten, wer in die Clubszene ­findet, hat dafür Gründe.

Dass es zwischen den Godfathers of House und Techno gefühlt nur eine Quoten-Godmother gab, Barbara Tucker, darüber sollten wir recht bald stolpern. Im Disco war noch Raum für Musikerinnen, Vocalistinnen oder Instrumentalistinnen und die frühe, schwul ­geprägte Clubkultur brachte zahlreiche Queens hervor. Doch das Voranschreiten der elektronischen Clubmusik verengte diesen Raum. Abgesehen von ein paar Vocal-Slots gab es wenig künstlerische Teilhabe von Frauen, weder im ­Miami Bass und dem späteren Electro, noch im Dub, Dancehall und dem späteren Dub-Techno, am ehesten noch im House, dort aber eher dekorativ, weniger im Techno, und die wenigen dort später erfolgreichen Produzentinnen und DJs hatten neben inhaltlich überhöhten auch hohen kosmetischen Standards zu entsprechen.

Wem das zu wenig konkret und belegt ist, der überlege mal, wieviele erfolgreiche, weiblich gelesene Electronic Music Artists es gibt, die dem »klassischen Schönheitsideal« und einer »traditionellen Sexyness« nicht entsprechen. Tja. Read the room. Und die sich professionalisierende Clubmusikszene verkleinerte Schritt für Schritt die Räume künstlerischer Beteiligung für jene, die originär an der Entstehung der Szene mitgewirkt hatten. Was war passiert? Patriachale, kapitalistische Strukturen waren passiert! Menschen, die sich der Problematik dieser Strukturen nicht bewusst waren und die ob historisch gewachsener Privilegien mehr Ressourcen zur Verfügung haben und innerhalb dieser Strukturen mehr Selbstwirksamkeit erfahren, ­haben den Betrieb übernommen und die elektronische Musikszene in einen mehrheitlich weißen ­Boysclub mit einem heteronormativen Narrativ und von männlich dominierter Sozialisation geprägte Räume verwandelt.

So aufrichtig wir früher im clubkulturellen Wertekonsens gefeiert haben, so kritisch müssen wir uns damit konfrontieren, was der Szene abhanden gekommen ist und welche Effekte das hat. Es stimmt bitter, dass die Ü40-Menschen, die die originären Bezüge noch kennen und im Clubbetrieb arbeiten oder dort verankert sind, dem nicht genug entgegengesetzt haben. Mit dem Ergebnis, inzwischen weit entfernt davon zu sein, was Club eigentlich bedeutet: »Wenn heute von Clubkultur die Rede ist, geht es um Musik. Genauer gesagt um Musikstätten, wo Bands live spielen oder DJs Musik mixen, und die Vermischung der Stile und Klangquellen.« Es geht um Abgrenzung »von der kommerziellen »Disco«, »Club« soll klarmachen, dass es sich nicht um eine »Ballermann- oder Baggerdisco« handelt, sondern um eine Einrichtung, in der es vorrangig um die Musik geht mit kulturellem Background und Anspruch — egal, ob die Musik live gespielt oder von DJs aufgelegt wird«, definiert Matthias Schaffhäuser im Sachbericht für Klubkomm e.V. und Popkultur Köln e.V. einen genreübergreifenden Clubbegriff.

Awareness sollte es im Grunde gar nicht geben müssen. Dass es zum Anliegen geworden ist, Clubs gewaltfrei und dikriminierungsfrei zu machen und in »die Entwicklung diskriminierungssensibler Strukturen innerhalb der Clubkultur« zu investieren, wie es die Awareness-Akademie der Clubcommission Berlin formuliert, belegt den größten Fehler, den der Clubszene bis dato passieren konnte. Awareness ist Symptom eines Systemfehlers. Weil Clubkultur nicht mehr ist, wie sie eigentlich gemeint war. Weil sie gewachsen und älter geworden ist. Weil es von den dominierenden Kräften versäumt wurde, sich rechtzeitig darüber Gedanken zu machen, sind weite Teile der Clublandschaft zu einer gewöhnlichen Discomeile verkommen. Awareness ist ein komplexes Thema, wie der Text zeigt, der hier als erste Annäherung dient. ­Weshalb Clubland sich weiterhin mit Aspekten von ­Awareness beschäf­tigen wird.