Segundo in der Zwickmühle

Colonos

Felipe Gálvez Haberles Debüt folgt im Stil eines Westerns der historischen Blutspur Chiles

Wie in einem klassischen Western reiten in »Colonos« Männer durch raue Landschaften. Deren Erhabenheit wird von Panoramaeinstellungen eindrücklich hervorgehoben. Dabei zeichnet sich früh ab, dass das Geschehen — durchaus genretypisch — wirtschaftlich motiviert ist: Im Auftrag von Großgrundbesitzer José Menendéz überwacht der schottische Armeeveteran Alexander McLennan in der Anfangsszene die Einzäunung riesiger Weideflächen, die sich von Chile bis Argentinien erstrecken.

Mit einer perfekt rhythmisierten Schnittfolge beweist der chilenische Regisseur und Drehbuchautor Felipe Gálvez Haberle eine formale Meisterschaft, die von einem Spielfilmdebüt kaum zu erwarten ist. Vor allem stellt er drastisch klar, dass in diesem Landstrich Südamerikas um 1900 ein Menschenleben bloß die jeweilige Arbeitskraft wert ist. Da das für weiße Einwanderer*innen gilt, kann man sich denken, welche Gnadenlosigkeit den Indigenen droht, als McLennan mit einem aus den USA herbeigeholten rassistischen Killer namens Bill die Ländereien erkunden soll.

Es folgt die ausschnitthafte Andeutung eines Genozids, den die realen Vorbilder von Figuren wie McLennan und Menéndez an indigenen Volksgruppen begangen haben. Wobei der vergleichsweise abstrakte Ansatz des Films wohl nicht zuletzt damit zu begründen ist, dass die Spuren der historischen Bluttaten fast völlig ausgelöscht wurden. So werden das Schweigen und das Sprechen indes selbst zum Thema. Die skrupellose Geschwätzigkeit Bills steht im Kontrast zu McLennans wortkarger Verkniffenheit — die ironischerweise ihrerseits Maulheldentum verbirgt. Nachdem er dank seiner Schießkünste als weiterer Begleiter ausgewählt worden ist, muss Segundo, der wegen eines indigenen Elternteiles als indio gilt, sich wiederum eine anfängliche Wortmeldung ebenso barsch vorwerfen lassen wie anschließende Verschwiegenheit.

Umso bezeichnender wirkt Segundos Bekenntnisdrang, als ihn im einige Jahre später angesiedelten Schlussakt ein Regierungsbeamter aufsucht, der ein modernes Bild der chilenischen Nation kreieren will. Und umso schlüssiger erscheint im Nachhinein, dass Regisseur Haberle in einzelnen nahezu statischen Einstellungen jene US-Pendants paraphrasiert hat, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts — vom Stummfilmkino bis zu Edward Curtis’ ­Fotografien — eine ähnlich zweischneidige Bildproduktion betrieben. 

(Los colonos) RCH/RA/F/GB/RC/DK/S/D 2023, R: Felipe Gálvez Haberle, D: Mark Stanley, Camilo Arancibia, Benjamin Westfall, 97 Min.