Regisseurin Stephanie Mündel-Möhr (2. Reihe, rechts) und ihr Team, Foto: Comedia Theater

Nach anderen Regeln

Das Comedia Theater bürstet mit »In 80 Tagen um die Welt« die Inklusionsdebatte gegen den Strich

Wie können Zugangsbarrieren für hörende Menschen im Theater abgebaut werden? Welche künstlerisch-ästhetischen Mittel braucht es, um ihnen den Theaterbesuch zu ermöglichen? Das Comedia Theater bürstet die Inklusionsdebatte mit einer neuen Inszenierung gegen den Strich: mit Jules Vernes Klassiker »In 80 Tagen um die Welt«, inszeniert von der tauben Regisseurin Stephanie Mündel-Möhr und einem Team aus hörenden und nicht-hörenden Menschen, die sich während ihrer gemeinsamen Arbeit ausschließlich in Gebärdensprache verständigen, teilweise auch mit Hilfe von Dolmetscher*innen. Und damit die Frage nach der Öffnung des Theaters anders herum stellen: Die gesellschaftliche Dominanz der Lautsprache, des Hören-Könnens aller akustischen Zeichen auf der Bühne gilt hier nicht mehr.

Eigens dafür von Freiburg nach Köln gerufen wurde Stephanie Mündel-Möhr und da die Proben bis zu unserem Redaktionsschluss noch nicht begonnen haben, nehmen wir vorab mit ihr Kontakt auf: Schriftlich und in der Hoffnung, dass sie unsere Fragen — um auf eine Dolmetscherin zu verzichten — per Mail beantwortet. Zum ersten Mal in der Beschäftigung mit dieser Inszenierung scheint der Eindruck auf, den die Kulturanthropologin Evelyn Kiok in ihrem Buch »Inklusion vor, auf und hinter der Bühne« (2021) beschreibt: »Würde die hörende Person versuchen, mit einer Gruppe tauber, gebärdender Menschen zu kommunizieren, läge die Kommunikationsbarriere ausschließlich auf Seiten der Hörenden.«

Ein erstes Gedankenstolpern löst das Projekt damit aus, doch vorab zum Inhalt: 1873 schrieb der französische Autor Jules Verne den Roman »In 80 Tagen um die Welt«, in dem der Exzentriker Phileas Fogg sein halbes Vermögen darauf verwettet, dass er angesichts neuer, moderner Verkehrsmittel die Erde in 80 Tagen umrunden könne. Was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnt: Die Weltreise wird für ihn zur Verfolgungsjagd, denn der übereifrige Detektiv Mister Fix ist ihm wegen eines Überfalls auf die Bank of England auf den Fersen. Es ist ein ausladender Text, 368 Seiten hat allein die Taschenbuchausgabe. Für Stephanie Mündel-Möhr eine der größten Herausforderungen, wie sie schreibt: Den Roman mit den Schauspieler*innen in die Gebärdensprache zu übersetzen, denn das ließe sich nicht Wort für Wort machen. »Die Gebärdensprache hat ihre eigenen Regeln und ihre eigene Syntax, wie jede andere Sprache auch, nur das zu ihr etwa auch Körpersprache und Mimik gehören.«

Würde die hörende Person versuchen, mit einer Gruppe tauber, gebärdender Menschen zu kommunizieren, läge die Kommunikationsbarriere ausschließlich auf Seiten der HörendenEvelyn Kiok

Dabei ist diese theatrale Kunstform keineswegs neu: Das Deaf Theatre hat eine lange Tradition. In diesem Jahr etwa feiert das Deutsche Gehörlosentheater, gegründet 1949 in Dortmund, mittlerweile umgezogen nach Berlin, sein 75-jähriges Bestehen. Mit seiner Inszenierung von Shakespeares »Hamlet« war es im vergangenen Jahr im Comedia Theater zu Gast. Bundesweit gibt es eine ganze Reihe von Theatergruppen, bei denen hörende und nicht-hörende Schauspieler*innen gemeinsam auf der Bühne stehen, etwa die Kindertheatergruppe DEAF5 aus Köln. Sie treffen sich beim Deutschen Gehörlosen-Theaterfestival, das alle zwei Jahre in München stattfindet und sieben Inszenierungen auf die Bühne holt, oder beim ViFest!, dem Festival für Gebärdensprachler*innen in Berlin. Woran es allerdings fehlt: an Angeboten zur professionellen Schauspielausbildung. »An Schauspielschulen fehlt es an Lehrkräften, die die Gebärdensprache können, und an finanziellen Mitteln, um dort Dolmetscher*innen zu finanzieren«, schreibt Stephanie Mündel-Möhr. Gerade einmal drei Angebote, keines davon in Deutschland, bietet eine professionelle Schauspielausbildung für nicht-hörende Menschen an — in Tschechien, Schottland und der Schweiz.

In der Inszenierung selbst will Stephanie Mündel-Möhr ein Gleichgewicht finden: »Für das taube Publikum darf es visuell nicht zu anstrengend werden, und das hörende Publikum soll gleichzeitig unser Stück verstehen und davon amüsiert sein können.« Wie das umgesetzt wird, zeigt sich bei der Premiere im Februar: Wie werden die verschiedenen sprachlichen Hintergründe berücksichtigt? Welche Rolle spielen Geräusche und Musik? Wie wird das hörende Publikum die Gebärdenpoesie verstehen können? Und welche anderen Ebenen finden sich darin, die ihnen womöglich verborgen bleiben?

Comedia Theater, 17. (P) & 18.2., 18 Uhr; 20.–22.2., 11 Uhr