Ursula K. Le Guin (1929–2018), Foto: Wikimedia Commons

Die Welt hat keine stillen Orte

Ursula K. Le Guin, Feministin und Anarchistin, hat die Science Fiction von innen heraus um­geschrieben — auch mit ihrer Bowieesken New-Wave-Weltraumoper »Riegel 9«

Sie hat über den übermäßigen ­Gebrauch des Wortes »Fuck« geschrieben«, über die »Tragetaschen­theorie des Erzählens« und die Anarchie auf Planet Anarres: Die Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin (1929–2018) wird vom Theater nur zögerlich entdeckt. 2021 diskutierte das FARN.collective um Sandra Hüller ihre sub­­ver­siven Ideen in »The Shape of Troub­le to Come«. In Berlin entwickelten Klangkünstler*innen eine »Climate Music«, basierend auf ihrem Roman »Das Wort für Welt ist Wald« (1972). Mehr deutsch­­sprachige Beispiele gibt es nicht. Dabei brauchen wir gerade jetzt ihre Stimme auf der Bühne.

»In all ihren Werken stellte Le Guin immer dieselbe dringende Frage: In was für einer Welt willst du leben?«, schrieb Margret Atwood im Guardian-Nachruf. »Sie selbst hätte sich für eine geschlech­ter- und rassengleiche, wirtschaftlich gerechte und selbstverwaltete Welt entschieden, aber das war nicht im Angebot.« Statt dessen schrieb Le Guin Science Fiction, um der Menschheit ihren Ausweg vorzuführen. Sie ließ Abenteurer*innen neue Planeten entdecken und nutzte den bewährten Plot »Mann gegen Wildnis«, um die Annäherung zwischen den ­Figuren zu beschreiben. In »Freie Geister« (1974) entwirft sie eine anarchistische Utopie, die mit ­unseren Ideen von (Privat-)Eigentum und unserer Vorstellung von Liebe aufräumt. In »Die linke Hand der Dunkelheit« (1969) entwickelt die androgyne Figur Estraven, die wie alle auf dem Planeten Gethen, nur in bestimmten Phasen ein Geschlecht annimmt, eine sinnliche Freundschaft mit dem Erdling Genly Ai, der sich als Mann sieht. Auf die Kritik, doch eine binäre »Bromance« erzählt zu haben, reagierte sie mit der genderfluiden Ich-Erzähler*in in »Comig of Age in Karhide« (1995).

Komponiert hat Ursula K. Le Guin nicht, aber sie hat drei Li­bretti geschrieben: Darunter die 1985 in Zusammenarbeit mit dem Avantgarde-Komponisten David Bedford entstandene Weltraumoper »Riegel 9«. Drei Astronauten werden ausgesandt, um eine fremde Welt zu erkunden. Beim Sammeln von Pflanzenproben wird einer von ihnen von Außerirdischen entführt, die beiden anderen streiten, ob sie ihn retten sollen oder sich selbst. Inmitten dieses Dramas mit »Bowie-esquen Synthesizer-Sweeps« (Atlas Obscura) und New-Wave-Chören erfährt man, den Grund für die Erkundungsreise: »Die Erde hat keine Wälder mehr, keine Wildnis, keine stillen Orte.« Vielleicht wäre das Libretto ein Anfang für die hiesige Bühne.