Ingrid Strobl (1952-2024)

Keine verlorene Zeit

Die Kölner Journalistin Ingrid Strobl ist gestorben. In den 80ern wurde sie wegen Terrorismus verhaftet, ihr Leben hat sie dem Feminismus gewidmet

Ingrid Strobl liebte Tee. Wer sie in Nippes besuchte, bekam immer welchen angeboten, und dazu eine Anekdote erzählt. In den 80er Jahren wollte sie in London guten Tee erwerben. Aber weil sie aus Köln kam, sagte die Verkäuferin des noblen Teeladens »Oh Dear«, und wollte ihr nur eine ­Sorte verkaufen: Assam. Bei jeder schwächeren Teesorte würde man das kalkige Kölner Wasser sofort herausschmecken.

Es hat etwas Ironisches, dass das vielfältige Leben und die eben­so vielfältigen Interessen Ingrid Strobls von einem Wecker überstrahlt werden. Er wurde 1986 beim Anschlag der »Revolutionären Zellen« (RZ) auf das Lufthansa-Hauptgebäude in Deutz benutzt. Weil die Polizei alle Käufe dieses Weckermodells überwachte, wurde Strobl 1987 verhaftet und verbrachte zweieinhalb Jahre im Gefängnis. In der deutschen Alternativszene führte dies zu ­einer Welle der Solidarisierung: Demos mit vielen Tausenden Teilnehmer:innen, die ihre Frei­lassung forderten — weil sie unschuldig sei.

Erst 2020, in ihrem Buch »Vermessene Zeit«, hat Strobl zugegeben, dass sie wusste, wofür der Wecker verwendet werden sollte. Mit dem Anschlag wollten die RZ gegen das Elend der Frauen durch den Sextourismus protestieren, von dem die Lufthansa mit ihren »Bumsbombern« profitiere. Ein femi­nistisches Anliegen, wie so vieles im Leben von Ingrid Strobl. Ab den 1970ern war sie Teil der Frauenbewegung — erst in Wien und ab 1979 als Redakteurin der Emma in Köln — und blieb lange darüber hinaus in vielen Debatten involviert. Mitte der 70er argumentierte sie gegen den »Hausfrauenlohn«, mit dem Care-Arbeit entlohnt werden sollte, weil er Frauen auf eine Rolle festlege, der sie am liebsten entkommen würden. In den 90ern formulierte sie gemeinsam mit Klaus Viehmann und anderen die Triple-Oppression-Theorie, nach der Macht- und Unterdrückungsverhältnisse sich am besten durch die Metapher ­eines Netzes aus Sexismus, Rassis­mus und Kapitalismus beschreiben lassen.

Frauen waren in Strobls Texten aber nie Objekte abstrakter Theorien, sondern denkende, fühlende Menschen mit eigener Geschichte. Davon zeugen die vielen Beiträge, die sie als »Spezialistin für schwierige Themen« (Strobl über Strobl) für WDR, SWR oder die Stadtrevue realisiert hat. Ihr Buch »Es macht die Seele kaputt« (2006) schildert einfühlsam das Leben von drogenabhängigen Frauen, die sich für ihre Sucht prostituieren. Und das Bedürfnis, sich nicht mit einfachen Erklärungen abzugeben, kennzeichnet auch das Buch, das sie im Gefängnis schrieb: »Sag nie, du gehst den letzten Weg« (1989). Strobl zeichnet darin das Leben von Frauen, die im Wider­stand gegen die National­sozialisten gekämpft haben und widerlegte die These, dass Frauen vor allem passiv — also unterstützend — an den verschiedenen Wider­standsgruppen teilgenommen ­haben. Stattdessen erzählt sie etwa die Geschichte von Truus Menger, die erfolgreich Anschläge auf Kommandeure und Kollaborateure der Nazis in den Niederlanden durchführte.

Neun Jahre später widmete sich Strobl in »Die Angst kam erst danach« den jüdischen Frauen im Widerstand, deren Leistungen bei der Rettung jüdischer Kinder oder der Organisation von Waffen lange nicht als Widerstandskampf gewürdigt wurde. Vorausgegangen war »Anna und das Anderle«, eine Auseinandersetzung mit dem eige­nen Antizionismus, der auch ihr Aufwachsen im postfaschistischen Österreich nicht aussparte.
Vielleicht hat sie das Hinterfragen der eigenen Biographie von einem ihrer Lieblingsbücher gelernt: Marcel Prousts »Auf der ­Suche nach der verlorenen Zeit«. Denn die Aktivistin Ingrid Strobl war immer auch eine Liebhaberin der Literatur. »Vermessene Zeit«, ihr Buch über das Gefängnis, ist zu großen Teilen ein Buch über das Schreiben unter diesen Bedingungen. Es sollte ihr letztes bleiben. Am 25. Januar ist Ingrid Strobl in Köln gestorben. Sie wurde 71 Jahre alt.