Am 16. Januar demonstrierten rund 30.000 Menschen auf dem Heumarkt

Was tun?

In Köln haben in den vergangenen Wochen mehr als hunderttausend Menschen gegen den Rechtsruck in der Politik demonstriert. Aber was folgt daraus? Wir haben mit antirassistischen Initiativen gesprochen und Menschen besucht, die von den Deportationsfantasien der AfD betroffen wären

Es waren Demos, wie sie Köln lange nicht mehr gesehen hat: 30.000 Menschen auf dem Alter Markt, 70.000 auf der Deutzer Werft. Die Enthüllungen des Recherchenetzwerks Correctiv über ein Treffen in Potsdam von Werteunion und AfD mit dem Identitären-Chef Martin Sellner haben auch in Köln für Empörung gesorgt — und für neues Engagement. »Wir haben einen Anstieg in den Sozialen Medien beobachtet und zu unseren Treffen sind ein halbes Dutzend neue Leute gekommen«, sagt Euandra von der Seebrücke Köln. Der Verein ist Teil des neuen Bündnisses »Donnern gegen Rechts«, das an jedem zweiten Donnerstag im Monat Aktionen gegen den Rechtsruck in der Politik machen will. Der Auftakt war Weiberfastnacht, als um 12.05 Uhr viele Kneipen den Song »Kein Kölsch für Nazis« gespielt haben. Das Bündnis »Köln stellt sich quer« will ebenfalls bis zur Europawahl regelmäßig Aktionen gegen Rechts durchführen.

Auch die Stadt Köln hat schnell gehandelt: Ende ­Januar hat sie Simone Baum fristlos gekündigt. Die Vorsitzende der NRW-Werteunion arbeitete im Umweltamt und soll an dem Potsdamer Treffen teilgenommen haben. Baum hat gegen die Kündigung geklagt, bei einem Gütetermin vor dem Arbeitsgericht in Köln lehnte die Stadt Köln Mitte Februar eine Einigung ab. Baums Anwalt erklärte daraufhin gegenüber der DPA, dass er Bezüge zum Geheimtreffen für »erstunken und erlogen« halte. Im Mai soll die Klage verhandelt werden.

Aber so sehr der neue Aktionismus gegen Rechts mobi­lisiert — bei antirassistischen Initiativen gibt es auch skep­tische Töne. »Wir fordern, dass die Stadt Köln endlich ihr Versprechen einlöst, Köln zu einem sicheren Hafen zu machen«, sagt Euandra von der Seebrücke. Der Verein wünscht sich, dass die Stadt Gelder für eine Schiffspatenschaft bereitstellt, mit der Geflüchtete in Seenot gerettet werden könnten. Glenda Obermuller von der Sonnenblumen Development Community befürchtet, »dass viele Menschen denken, dass es reicht, auf die Straße zu gehen und zu sagen ›Wir sind bunt anstatt braun‹«. Joanna Peprah von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) sagt: »Ich freue mich über das antifaschistische Engagement, aber das bedeutet nicht, dass diese Menschen auch Anti-Rassisten sind.« Sie wünscht sich mehr Engage­ment abseits der Großdemos: »Antirassismus sollte in den Alltag integriert werden«. Auch wählen gehen sei wichtig.

Das eigene Milieu nehmen die Initiativen von Kritik nicht aus. »Die größten Verletzungen habe ich durch weiße Linksliberale im nahen Umfeld erfahren«, sagt Glenda Obermuller und berichtet von einer Veranstaltung über das Migrantische im Kölner Brauchtum, bei der sie kurz nach den Correctiv-­Enthüllungen eingeladen war. Dort habe der Ver­anstalter einer bekannten Karnevalsparty erklärt, dass er selbst schon Blackface als Kostüm getragen habe und dies von Schwarzen Personen nicht kritisiert worden sei. »In diesen Strukturen muss jetzt auch antirassistische Aufklärung stattfinden.« Sie selbst hat am Karnevalsfreitag eine Podiumsdiskus­sion zu rassismussen­siblem Karneval veranstaltet, ­danach wurde gefeiert — ohne Afroperücken oder in­digene Kostüme.

Vom viel diskutierten Potsdamer Treffen hat im Seeberger Treff niemand gehört — ebenso wenig wie von den Demos dagegen

Immer wieder kommen die Kölner Initiativen aber auch auf die Bundespolitik zu sprechen, auf die Diskussion um ein AfD-Verbot oder auf das Rückführungsgesetz, mit dem die Bundesregierung künftig Abschiebungen ­erleichtern will. Die Art, wie die Bundespolitik über das Thema Migration spreche, habe den Aufstieg der AfD ­begünstigt, darin sind sich alle sicher. »Nichts davon ist neu und das ist das Problem« heißt es in einem Statement der ISD. Darin warnt die Organisation auch davor, zu unterschätzen, wie die AfD über soziale Netzwerke mittlerweile die Stimmung in der Öffentlichkeit beeinflusst.

Wie stark dieser Einfluss ist, zeigt ein Besuch im Seeberger Treff, einem Jugendtreff in Chorweiler. Mirac zeigt mir dort das Video eines baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten, der seinen »Abschiebekalen­der« vorstellt: für jeden Monat des Jahres ein Flugzeug — dazu ein menschenverachtender Spruch gegen Geflüchtete und Migrant:innen. Ende Januar hatte es 274.000 Views. Obwohl die AfD in Chorweiler verhältnismäßig gute Wahl­ergebnisse erzielt, kennen die Jugend­lichen die Partei vor allem von TikTok. Für Mirac und die anderen ist die Video-­App eine wichtige Quelle für Nachrichten. »Abschiebung ist ein Thema, auch im Freundeskreis«, sagt Mirac. »Aber ich mache mir keine Sorgen: Wir sind Deutsche.« Variatio­nen dieses Satzes höre ich von den Jugendlichen immer wieder. Mirac ist mit 21 Jahren der Älteste, die Jüngste ist 11 Jahre alt. Aber in den Gesprächen fallen auch andere Sätze. Mirac sagt: »Ich habe einen Plan B, ich würde in die Niederlande gehen.« Da sei vieles besser als in Deutschland. Und ein Mädchen fragt mich, mit wem sie gehen muss, falls ihre Eltern abgeschoben werden — sie kommen aus zwei verschiedenen Ländern. Ich habe keine Antwort.

Vom viel diskutierten Potsdamer Treffen hatte im Seeberger Treff niemand gehört. Bei meinem Besuch lag es zwei Wochen zurück. »Die Kids denken, dass an den Abschiebeplänen was dran sein muss, wenn da so viele Menschen zu den Demos kommen«, sagt Sozialarbeiter Hüseyin Cansay, Leiter der Einrichtung. Im Vorfeld von den Demonstration gehört hatte niemand von ihnen, auch die viralen Videos mit dem Sprechchor »Ganz Köln hasst die AfD« sind nicht zu ihnen vorgedrungen. Ein 14-Jähriger erzählt mir stattdessen, wie er im Einkaufszentrum in Chorweiler einen Flyer bekommen hat, »für eine Demonstration in Mülheim, am Wiener Platz. Weil ein Nazi Leute umgebracht hat.« Es ist die jährliche Gedenkdemonstration für die Opfer des Anschlags von ­Hanau. Von der AfD hat er schon gehört. »Die hat keinen Bock, dass Ausländer hier leben, weil wir deren Land ­kaputtmachen«, sagt er. »Aber das stimmt nicht. Durch uns sind die reicher.«