Findet bestimmt noch aus dem Gebüsch heraus: Andreas Dorau © Sönke Held

Der Konstante

Andreas Dorau tritt im Rahmen des Cologne Popfest auf

Andreas Dorau wird zwar häufig der NDW zugerechnet — dennoch unterscheidet er sich insofern von zeitgleich gestarteten Künstlern wie Markus oder Hubert Kah, als dass er nicht stehen (oder hängen) geblieben ist. Auf 80er-Jahre-­Nostalgieveranstaltungen, wo sich tingelnde Ex-Stars die Klinke in die Hand geben, wird man ihn nicht antreffen. Stattdessen wandte sich Dorau in den 90ern zeit­gemäßen House- und Samplesounds zu, die 1997 in seinem Hit »Girls In Love« gipfelten. Obwohl der Künstler diese Phase heute als »auserzählt« (Zitat) erachtet, hat er sich vom Konzept elektronischer Popmusik nicht verabschiedet. Das neue, wieder beim Hamburger Label Tapete veröffentlichte Album »Im Gebüsch«, das im ­Januar anlässlich seines 60.

Geburtstags erschienen ist, setzt die Idee um, »ein historisch möglichst breites Spektrum der Elektronik abzubilden, also von Dreamhouse bis zu Klängen der 70er und 80er«, so Andreas Dorau im Interview.
Die sich hier abzeichnende Tendenz zu Heterogenität ist nicht auf die Instrumentals beschränkt, sondern gilt auch für die Machart der Texte. Neben Stücken, die scheinbar auf den Refrain fokussiert sind (»Die Konstante«), gibt es ebenso Songs, die Miniatur-Geschichten erzählen (»Die Welt Ist Ein Seltsamer Planet«). Der Hamburger erklärt, sein Vorhaben sei es gewesen »zu schauen, wie man musikalisch facettenreich ­arbeiten kann und wie man daran anknüpfend mit dem Thema Text umgeht.« In diesem Zusammenhang nennt Andreas Dorau das Weiße Album der Beatles als »das perfekte Doppelalbum der Musikgeschichte. Das Spektrum reicht vom experimentellen ­›Revolution 9‹ bis zum bescheuerten ›Ob-La-Di, Ob-La-Da‹ — diesen Spagat muss man erst mal ­hinkriegen«, schwärmt er.

Die Sujets, um die sich seine Songs drehen, legen den Verdacht nahe, dass er alles meidet, was auch nur im entferntesten be­deutungsschwanger sein könnte. Wäre der Begriff nicht so eng mit spießigem Kleinkunsthandwerk assoziiert, könnte man Doraus Songtexte als »skurril« bezeichnen. Ein Hang zur Zoologie ist ihm nicht abzusprechen, wie die aus der üppigen Diskografie heraus­gegriffenen Titel »Bienen Am Fenster«, »Blaumeise Yvonne« oder »Der Wasserfloh« belegen. Aber auch die Vorteile von Leihbüchereien und das Konzept des Flaschenpfands werden lieber ­besungen als das Popsong-Thema Nummer Eins: »Siebzig Prozent ­aller Stücke auf der Welt sind Liebeslieder, und denen gibt es weder sprachlich noch thematisch etwas Neues hinzuzufügen. Bei mir geht es um Themen, die mich interessieren, aber meine Texte sind kein Tagebuch«, so Dorau, der diese Angst vor Intimität damit begründet, dass er »ein protestantischer Hanseat« sei.

Siebzig Prozent aller Stücke auf der Welt sind ­Liebeslieder, und denen gibt es weder sprachlich noch thematisch etwas Neues ­hinzuzufügenAndreas Dorau

Ohne damit offensiv hausieren zu gehen, spielt Hamburg in den Songs immer mal wieder eine ­Rolle — sei es in Form der Nennung von Loki Schmidt (in »Was Nimmst Du Mit«), dem Songtitel »Auf der Weidenallee« oder einem Verweis auf den mehrfachen Frauenmörder Fritz Honka in »Tannenduft« vom Album »Aus Der Bibliothèque«, das übrigens 2014, also zwei Jahre vor Heinz Strunks literarischer Aufarbeitung des Themas in Gestalt von »Der Goldene Handschuh« erschien: »Den Text hatte ich schon lange davor angefangen. In dem Bewusstsein, dass Heinz Strunk gerade an einem Buch zum Thema arbeitet war mir klar, dass ich in die Hufe kommen muss, wenn ich vor ihm fertig sein will. Was mir ja gelungen ist.«

Neben Tonträgern veröffentlicht Andreas Dorau Bücher, denn »der gesellschaftliche Stellenwert von Musik ist zurückgegangen (…) während Bücher ihren behalten haben«, erklärt Dorau, der es hasst, wenn Leute über diese Entwicklung jammern. In Zusammenarbeit mit dem Autor und Musiker Sven Regener entstanden 2015 »Ärger Mit Der Unsterblichkeit« sowie im letzten Jahr »Die Frau Mit Dem Arm« — hier haben sich wahrlich zwei Hanseaten gefunden: Regener ist gebürtiger Bremer. Die Bücher resultieren daraus, dass Dorau Episoden aus seinem Leben erzählt, die Regener aufschreibt. Analog zu Andreas Doraus Songtexten sind die Bücher durchdrungen von Darstellungen absurder Situationen, die ihren Protagonisten nicht als Helden schildern, sondern eher den ­Aspekt des Arrangements mit den tragisch-komischen Zumutungen des (Kultur-)Lebens akzentuieren. 

Tonträger: Andreas Dorau, »Im Gebüsch« (Tapete), bereits erschienen