Eine stärkende und bereichernde Erfahrung

Ein Interview mit Mona und Mohsen von Timcheh e.V.

Über die letzten Jahre hinweg hab ich den Begriff Diaspora ­innerhalb der Electronic Music Community immer häufiger gehört. Mich lässt er spontan an politische Umstände denken, die dafür sorgen, dass Menschen ihr Heimatland verlassen ...

Die Diaspora-Erfahrung sollte nicht automatisch mit einer Opferrolle verbunden werden, darauf müssen wir alle achten. Das begünstigt den Eindruck eines Machtgefälles, das Überlegenheit suggerieren kann. Dabei leben wir in einer globalen Gesellschaft, in der das Leben in der ­Diaspora mehr und mehr zur Normalität wird. Das ist nicht unbedingt eine traurige Erfahrung, sondern auch eine sehr bereichernde und stärkende. Die ständige Konfrontation mit der eigenen Kultur zwingt dich, deine Weltanschauung, Identitäten, Werte und wie Menschen ihr Leben leben zu reflektieren und neu zu bewerten. Das kann herausfordernd sein, man hat aber eine Menge davon.

Das subkulturelle Konzept von Clubkultur in der elektronischen Musik ist ein Gegenraum für Szenemenschen, die praktisch alle unter den Folgen von Othering leiden, weil sie nicht in die Ge­­sellschaftsnorm passen. Ist die ­subkulturelle Clubkultur mit andockenden Kunstszenen dann nicht die Diaspora in der Diaspora? ­

Subkulturen können ein großes Potenzial zur Integration von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund haben. Aber man kann dort immer noch Diskriminierung, Belästigung und Ausgrenzung erleben. Und es tut am meisten weh, wenn das ausgerechnet dann passiert, wenn man den Moment genießen und Sorgen beiseite ­lassen möchte. Noch schlimmer ist es, wenn man sie von Leuten erfährt, die sich selbst für sehr offen und und aufgeklärt halten. Vielleicht werden Mainstream-Normen und -Werte in der Subkultur weniger praktiziert, aber sie sind immer noch sehr präsent. In der Clubszene ­verwenden viele den Begriff Diversität nur für die Signalwirkung Mona & Mohsen, Timcheh e.v.

Es gibt Affiliations — so wie Euch oder C1 in Berlin —, die künstlerische Arbeit und kulturelles Engagement bewusst in den Kontext der Diaspora-Zugehörigkeit ­setzen ...

Bei Timcheh wollen wir das Leben in der Diaspora durch Gemeinschaftsbildung und künstlerische Zusammenarbeit fördern. Wir sind eine gemischte Gruppe deutscher, deutsch-iranischer und iranischer Mitglieder, die das Bedürfnis haben, eine inklusivere Gesellschaft aufzubauen, indem sie unterrepräsentierten Stimmen mehr Gewicht verleihen. Die Idee des Empowerments ist für uns eng mit der Erkenntnis verbunden, dass wir nicht nur Kulturkonsumenten sein wollen. Schließlich leben wir hier, und wir möchten uns so gut wie möglich zu Hause fühlen. Und Heimat bedeutet für uns weder die Rückkehr in den Iran, noch unsere iranische Iden­tität zu vergessen und uns der ­deutschen Kultur anzupassen. Wer lange genug in einer anderen Kultur gelebt hat, weiß, dass man irgendwann eine komplexe Identität bildet, die man nicht mehr einem bestimmten Land oder einer Kultur zuordnen kann — man bildet eine eigene gemischte Identität.

Bei Interviews mit DJs oder in ­Feature-Beiträgen fällt oft auch der Begriff Diversität. Ist es ­passend, die Sichtbarkeit von ­Diasporas und das Thema Diversität zusammen zu bringen?

Grundsätzlich ist es kein Problem, das Wort Vielfalt zu verwenden, wenn wir über die Beteiligung der Diaspora an Kultur und Gesellschaft sprechen. Nur ist das eben keine echte Ermächtigung oder Befreiung, und da liegt das Problem. Genauso, wie diese Begriffe oft ­verwendet werden, ohne dass die Menschen ein tieferes Verständnis ihrer Bedeutung haben. So verlieren sie mit der Zeit an Gewicht. In der Kunst- und ­Clubszene verwenden viele diese Begriffe leider nur für ihre Signalwirkung und zur Identitätsbildung, anstatt sich mit der Geschichte von Unterdrückung, Marginalisierung und Ungerechtigkeit auseinanderzusetzen.

Das Interview hat auf Englisch ­stattgefunden und wurde übersetzt