Herzensprojekt: Proteste sind laute Träume © Luftkind Filmverleih

»Träume als Werkzeug, um die Welt zu verändern«

KHM-Dozentin Isabel Herguera verfilmt »Sultanas Traum« von Rokeya Hussain, die eine Utopie für Frauen entwarf

Frau Hergura, was hat Sie an dem Buch »Sultanas Traum« der indischen Autorin Rokeya Hussain fasziniert?

Ich war überrascht, dass eine Geschichte, die 1905 geschrieben wurde, heute noch aktuell und relevant ist. Den Wunsch nach einem geschützten Raum, in dem man sich als Frau sicher fühlen kann, kennt wohl jede von uns.

Warum haben Sie der Geschichte mit Inés eine weitere Figur hinzugefügt?

Ich war an der Autorin Rokeya Hussain interessiert. Sie wuchs in einer sehr konservativen Gesellschaft auf, in der Frauen nur eingeschränkt Zugang zu Bildung hatten, weil man fürchtete, sie würden sonst keinen Ehemann finden. Dennoch hat sie es geschafft, Mädchenschulen zu gründen und sich für die Ausbildung von Mädchen einzusetzen. Um die Geschichte des Buches und ihre Biografie herum brauchten wir einen Rahmen — die Story um Inés. In diese Rahmenhandlung flossen unter anderem meine Reiseerlebnisse aus Indien ein, wo ich nach den Spuren von Rokeya und »Sultanas Traum« gesucht habe. Als ich das Buch 2012 las, wusste ich sofort, dass ich einen Film daraus machen will. Zur Vorbereitung veranstaltete ich Workshops mit Frauen und Mädchen, um herauszufinden, welche Aspekte des Buches ihnen heute wichtig sind. Aus all diesen Geschichten entwickelten wir den Plot. Manches ist passiert, anderes Fiktion.

Im Film scheint es, als wäre ein sicheres und selbstbestimmtes Leben für Frauen nur im Traum oder in Science-Fiction möglich. Ist der Kampf um Gleichberechtigung gescheitert?

Gescheitert nicht. Es gibt Ziele, die wir erreicht haben, aber manche Traditionen oder Verhaltensweisen Frauen gegenüber sind schwer zu überwinden. Rokeya war eine Visionärin, die zeigte, wie wichtig und notwendig Träume sind. Sie entwarf eine Utopie und nutzte Träume als Werkzeug, um die Welt zu verändern. Aber wir haben noch einen langen Weg vor uns. Künstler können mit ihren Bildern, ihrer Musik, ihrer Performance, ihrem Schreiben anderen eine Stimme geben und vermitteln, wie notwendig diese Veränderung ist.

Animationsfilme können Themen in einer poetischeren Art behandeln als Realfilme

Können Animationsfilme etwas zeigen, was Realfilme nicht können?

Ja, ich glaube Animationsfilme können Themen in einer poetischeren Art behandeln als Realfilme. Sie sind nicht so direkt und können effektiver Metaphern einsetzen. Abgesehen davon ist die Animation meine Form. Ich hätte das Thema nicht als Realfilm umsetzen können. Ich fühle mich wohler damit, Dinge in Zeichnungen und Bildern auszudrücken.

Wie sind Sie auf die unterschiedlichen Stile für die drei Handlungsebenen gekommen?

Ich habe vorher Kurzfilme gemacht und für jeden Film eine andere Animationstechnik verwendet. Einen Langfilm zu machen, ist eine große Herausforderung. Verschiedene Techniken zu nutzen, motivierte mich, dranzubleiben. Für die Geschichte von Ladyland haben wir Zeichnungen im Mehndi-Stil angefertigt, eine Technik für temporäre Henna-Tattoos, mit denen Frauen sich für Feste wie Hochzeiten schmücken. Diese Tradition reicht von Nordafrika bis Indien. Für den Teil über Rokeya setzten wir Schattentheaterpuppen ein, denn als sie aufwuchs, war Schattentheater eine beliebte Unterhaltung in Indien. Aquarellfarben nahmen wir für Inés’ Geschichte, weil ich diese auch in meinen Skizzen- und Tagebüchern nutze. Mithilfe der drei Techniken konnten wir die Teile der Geschichte deutlich voneinander trennen.

War das ein Herzensprojekt für Sie?

Absolut. Rokeyas Buch, mit dem das ganze Abenteuer begann, hat mir meine eigene Rolle als Frau vor Augen geführt, die gesellschaftlichen Einschränkungen, derer ich mir vorher nicht bewusst gewesen war. Und ich wusste zwar, wie man Filme macht, aber »Sultanas Traum« war noch etwas anderes. Die Produktion hat drei Jahre gedauert, was normal ist für einen Animationsfilm. Aber die gesamte Entwicklung brauchte zehn Jahre. Bei manchen Vorhaben kann man nicht einschätzen, ob sie realistisch oder vernünftig sind, ob Ressourcen und Gelder reichen werden. Es braucht ein großes Herz, um sie zu verwirklichen.

(El sueño de la sultana) E/D 2023, R: Isabel Herguera, 87 Min., Start: 7.3.