Im Fokus der Behörde: Josef K. im Schauspiel Köln, Foto: Krafft Angerer

Der Staat, ein Alptraum

Pınar Karabuluts Inszenierung von »Der Prozess« setzt auf Grelligkeit

Dass Pınar Karabulut einmal zu den Stars und Sternchen unter den Regisseur*innen gehören würde, war eigentlich schon 2016 klar. Schon damals war sie großartig, als sie eines ihrer ersten Stücke in der Grotte am Schauspiel Köln inszenierte: »Furcht und Elend. Das Privatleben glücklicher Leute« von Dirk Laucke, eine schonungslose Bestandsaufnahme von Alltagsrassismus, in der das Ensemble sich zu enthemmten Gewaltfantasien räkelte und mit Kampfgesten in Slow-Motion zu den Chören von »Carmina ­Burana« diskutierte, ob der Nazi-Aufmarsch verhindert werden könne. Das Publikum saß sich ­indes im erstarrten Voyeurismus schuldbewusst gegenüber.

Dazu kam ihre Co-Kuration des »Britney X«-Festivals, später die Miniserie über die queere Liebesgeschichte von »Edward II.«, mit der sie das Schauspiel Köln über den Lockdown rettete.
Ab der kommenden Spielzeit übernimmt sie, gemeinsam mit Rafael Sanchez, die Intendanz
am Schauspielhaus Zürich.

Vorher geht es in Köln nochmal auf die Bühne im Depot 1: »Der Prozess« von Franz Kafka. Ohne ersichtlichen Grund wird Josef K. eines Morgens verhaftet und wartet fortan auf seinen, wie ihm verdeutlicht wird, ziemlich aussichtslosen Gerichtsprozess. Karabulut inszeniert das Stück mit einer Virtual-Reality-Ästhetik und probt das Verwirrspiel gegen den Staat. Aus der Ferne sehen alle Schauspieler*innen plötzlich gleich aus oder gackern albtraumhaft über das Unverständnis des Josef K., der auf der Suche nach einem Ausweg gegen den bühnenumfassenden Green-Screen anrennt. Die schauspielerische Leistung ist enorm, allein wegen der minutenlangen Monologe, ohne Stottern und Stammeln.

Doch, das muss gesagt werden: Das Stück will zu viel »Bombasmus« und Grelligkeit. Hinter den Bildern tritt der Inhalt zurück, es ergreift einen nichts Tieferes, kein Gefühl, wie damals als man nach Karabuluts Inszenierung aufgewühlt, wund und seltsam inspiriert nach Hause ging. Bloß schrecklich allein fühlt man sich, gegenüber diesem grotesken Bühnenbild und der Einsamkeit der Figuren. Irgendwie ja auch kafkaesk. Ein Trost: Der ältere Herr auf dem Nachbarplatz mit ergrautem Haar. Er schlief die meiste Zeit und ich wachte über ihn, seine selten sich hebenden Augenlider und das Blinzeln, ­bevor er wieder in einen Dämmerzustand verfiel. Manchmal reicht eine geteilte Armlehne um zwischen zwei Fremden etwas ­Intimes zu entfalten.

Schauspiel Köln, Depot 1, 6., 13., 17., 19.3., 19:3o Uhr