Wut als transformative Kraft: »Tiger Stripes«

The Fury Is Female

Blutig und befreiend: Das Internationale Frauen Film Festival Köln + Dortmund widmet sein großes Themenprogramm »Rage & Horror«

Eine junge Frau schleppt zwei Eimer voller Milch. Ihr Weg führt an einem älteren Mann vorbei. Der Mann beginnt die junge Frau zu belästigen. Da verwendet sie ihre Last kurzerhand zur Selbstverteidi­gung: Wutentbrannt entleert die Milchmagd die Eimer über dem Grabscher, schüttet ihm die Milch literweise über den Kopf, sodass dieser hilflos nach Halt ringen muss.

»The Revenge of the Dairy Maid« von 1899 ist der älteste Film, den Kuratorin Betty Schiel für den Fokus »Rage & Horror« auf dem 41. Frauen Film Festival ausgewählt hat. Schiel lacht triumphierend, während sie die Stummfilmszene im Gespräch mit der Stadtrevue nacherzählt: »Die Rache der Milch­magd, das ist MeToo avant la lettre!« Und sie fügt ernster hinzu: »Fast 130 Jahre sind vergangen — und wir machen immer noch das Gleiche.«

Dieses »Wir«, es lässt sich auf Belästiger und Belästigte gleichermaßen beziehen: auf eine Gesellschaft, die Frauen, Nicht-Binäre und Transpersonen immer noch belästigt, benachteiligt, unterdrückt, und auf die Betroffenen selbst, die sich mit Mut und Kreativität dagegen wehren. Zornige weibliche Figuren, so Schiel, sind in der Geschichte des Films stets tabuisiert worden: »Sie werden oft als hysterisch oder pathologisch dargestellt — oder sie werden lächerlich gemacht.« Grund genug, sie in einer bunten Auswahl von Filmen neu zu entdecken.

So etwa in »Tiger Stripes«, einem der Highlights des Programms. Im Debüt der malaysischen Regisseurin Amanda Nell Eu bekommt die elfjährige Zaffan ihre erste Periode. Ihre Mitschülerinnen bezeichnen sie als unrein, bringen sie mit Dämonen und anderem Aberglauben in Verbindung. Schon bald erkennt Zaffan, dass sie ihre Wut in die richtige Richtung lenken muss: weg von sich selbst und auf ihr konservatives Umfeld. Zorn als Befreiung also, als transformative Kraft. »Tiger Stripes« — koproduziert von der Kölner Firma Weydemann Bros. — die auf dem Festival auch in der Sektion »Spot on, NRW!« gewürdigt wird — ist unvorhersehbar und magisch, ein bisschen so, als hätten der Thailänder Apichatpong Weerasethakul (»Memoria«) und Julia Ducournau (»Titane«) gemeinsam einen Coming-of-Age-Film gedreht.

Zornige weibliche Figuren sind in der Geschichte des Films stets tabuisiert wordenBetty Schiel

»Horrorfilme sagen uns immer, wovor eine Gesellschaft Angst hat«, erklärt Schiel. Dass in ihrem Programm viel Blut fließt, ist also nicht nur ein augenzwinkernder Genreausflug, sondern als Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen der Zeit gemeint. Wobei es nicht immer blutrünstig zugeht, auf dem Programm stehen auch Komödien (»9 to 5«), Arthouse-Dystopien (»Dry Ground Burning«), Found-Footage-Arbeiten (»Hello Dankness«) und Dokumentarfilme zu Widerstandsbewegungen Schwar­zer Frauen. Das Ganze wird abgerundet durch Talks und einen Workshop zur Selbstverteidigung — gegen Zombies.

»Rage & Horror« rückt Zorn auch als Erzählhaltung in den Fokus. Das ist erfrischend in Zeiten einer Filmrezeption, in der das, was erzählt wird, und die Art, wie das passiert, selten voneinander unterschieden werden. So führt das Frauenfilmfestival auch »Die Wolfsbaude« von Věra Chytilová wieder auf. In diesem Horrorfilm aus dem Jahr 1987 sehen sich die jugendlichen Teilnehmer*innen eines Ski-Ausflugs seltsamen Schi­kanen ihrer Lehrer*innen ausgesetzt: Zuerst sollen sie eine Person aus ihren Reihen wählen, die das Camp verlassen muss, dann wird das Essen rationiert. Das alpine Katz-und-Maus-Spiel lässt sich rasch als Allegorie auf den Widerstand gegen totalitäre Unterdrückung lesen, welche die große Feministin der tschechoslowakischen Neuen Welle mit spielerischer Subversion in der Inszenierung und Montage entwirft. Zornig sind in »Die Wolfsbaude« nicht (nur) die Protagonistinnen: Es ist die Frau hinter der Kamera, die wütet.

Bleibt die Frage, ob dieses Fokusprogramm zur richtigen Zeit kommt. Hat eine Welt, in der allerorts Krisen und Kriege herrschen, wirklich mehr Wut nötig? Die Kura­torin überlegt einen Augenblick — und verweist dann auf ein Zitat aus einer Rede der queeren Schwarzen Aktivistin und Autorin Audre Lorde: »Meine Angst vor Wut hat mir nichts gebracht«, sagte Lorde 1981 vor einem Publikum feministischer Wissenschaftler*innen. »Wut kann, gezielt eingesetzt, zu einer mächtigen Energiequelle werden, die dem Fortschritt und dem Wandel dient.«

Wut als politische Energie zur kollektiven Befreiung also: Diese Idee lässt sich auch in den Dokumentarfilmen über die Black Panthers finden, die Schiel zeigt. Am Ende ist es also der Wunsch nach Gleichberechtigung, der die Filme aus »Rage & Horror« vereint: Wütend sind sie nur, bis alle Menschen in den Genuss von Ruhe und Frieden kommen dürfen.

 

41. Internationales Frauen Film Festival Dortmund+Köln
Acht Filme gehen dieses Jahr in die Kon­kurrenz im Internationalen Debüt-Spiel­filmwettbewerb des Festivals, der mit 10.000 Euro dotiert ist. Darunter sind zwei Filme, die im Januar bereits Preise in Sundance gewonnen haben: Die briti­sche Vater-Tochter-Geschichte »Georgie« und der marokkanische ­Science-Fiction »Animalia«. Weitere Preisträger großer Festivals aus dem Wettbewerb sind »Camping du Lac« (Spezialpreis der Jury in Locarno) und »City of Wind« (Schau­spielpreis Orizzonti-Sektion in Venedig).

Zehn Filme haben es in die Sektion be­gehrt! — filmlust queer geschafft. Hier geht es um »solidarische Protagonist*innen, die erproben, wie es doch zusammengehen kann; sei es in der Fabrik, im Knast, am Strand, in Seminar­räumen, Clubs, auf der Bühne oder im Proberaum«, so das Festival. Panorama, die Sektion für Dokumentar- und Experimentalfilme und neue Formate präsentiert unter dem Stichwort »Fragmen­tiert« acht aktuelle Filme, darunter vier Deutschland- bzw. Weltpremieren.

Im Programm für Kinder und Jugendliche werden Geschlechterklischees hinterfragt. Jungen Menschen soll dabei geholfen werden, sich selbst kennenzulernen. Vom 16. bis zum 19. April werden Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilme aus der ganzen Welt für junge Filmfans von der Kita bis zur Oberstufe gezeigt. Alle Vorführungen werden von einer erfahrenen Filmvermittlerin begleitet, teilweise werden auch Filmemacher*innen für ein an­schlie­ßendes Gespräch anwesend sein.

Zum 13. Mal werden auf dem Festival die Preise im Nationalen Wettbewerb für Bildgestalter*innen vergeben, dieses Jahr gehen sie an Caroline Spreitzenbart und Isabella Conte. Der »Shoot«, ein Preis, der die filmische Entwicklung einer Diplo­mand*in der KHM auszeichnet, geht an Laura Engelhardt, besonders für ihren Kurzfilm »Mascha« über eine woh­nungslose Frau, die in ihrem Auto lebt.

Das ist längst nicht alles: Eine Filmnacht, ein Mentoringprogramm, ein Thementag, Gesprächsveranstaltungen, Special Screenings, eine Hommage an die Experimentalfilm-Pionierin Birgit Hein und eine lange Filmnacht runden das Programm des Festivals ab. (SvR)

Di 16.4.–So 21.4., div. Orte. Infos: frauenfilmfestival.eu