New York Cheesecake: Tigermilch

Très fragile

Tigermilch plant vom Café Hallmackenreuther aus die Welteroberung

Der New Yorker Cheesecake in der Kuchenvitrine des Hallmackenreuther sieht gut aus. In die sich anbahnende kulinarische Liebesbeziehung allerdings grätscht Ben Werchohlad, Frontmann der ­Kölner Band Tigermilch, hinein, wenn auch außerordentlich zurückhaltend. »Hallo Jörg. Schön, dass es endlich klappt. Tamim und Philipp müssten auch gleich kommen.« Gemeint sind Gitarrist Tamim Ebadie und Schlagzeuger Philipp Schmidt. Ben bestellt ­einen Ingwer-Tee. Ein bisschen schüchtern, nachdenklich und irgendwie zerbrechlich wirkt er in seinem dunkelblauen Fischerpullover. Ein paar Minuten später sitzt er auf einem der zahlreichen weißen Polster im Spiegelsaal des Kölner Kult-Cafés und lässt das Fotoshooting ruhig über sich ergehen.

Denn: Eigentlich lasse er sich gar nicht so gerne ablichten, kommentiert er. Ihm und seinen scheuen Reh-Augen nimmt man das ab. Sofort. Tamim und Philipp ein Stückchen dahinter jedoch »stützen« ihren Kumpel Ben. Sie geben dem Sänger ihrer gemeinsamen Band, die mit ihren neo-souligen Indie-Sounds und Disco-Rhythmen seit mittlerweile fünf Jahren die nationale Musikwelt zuverlässig in entzückendes ­Staunen versetzt, die Art Auftrieb, der ihm immer wieder ein verschmitztes Lächeln in seinen Schnurrbart zu zaubern vermag.

Der eine scherzt über das gemeinsame Band-Konto, der andere trommelt mit seinen Fingern heiter Kerben in den Stehtisch. Und plötzlich, beinahe aus dem Nichts, entsteht aus dieser Dreier-Dynamik ein gemeinsamer Groove samt einer einfachen Melodie. Melodisches Beatboxen auf hohem Niveau sozusagen. Was passiert hier gerade? fragt sich der Spiegelsaal des Hallmackenreuther für einen kurzen Moment.

Apropos: Ist das Café am Brüsseler Platz, das vor einigen Jahren von einer überregional bekannten Tageszeitung sogar zum »schönsten Café Deutschlands« erklärt wurde, doch so eine Art gemein­sames Wohnzimmer für die vier Wahlkölner (Bassist Eric Wieben kann heute an dem Gespräch leider nicht teilnehmen, weil er krank im Bett liegt). Fänden hier doch immer wieder mal wichtige Gespräche und Termine für sie statt. Außerdem haben sie ihr erstes Konzert 2019 im Spiegelsaal gespielt, schießt es fast gleichzeitig und ein wenig wehmütig aus Ben, Tamim und Philipp heraus. Dass ihr Aufnahmestudio nur zwei Gehminuten vom Café entfernt liege, mache ihr Wohnzimmer noch etwas unverzichtbarer.

So unverzichtbar wie auch ihre eigenen inneren Stimmen, denen die drei über Umwege konsequent gefolgt sind. Philipp nämlich habe inmitten einer Prüfungsphase sein Gartenbaustudium ­abgebrochen, weil eine damalige Freundin ihm eines Nachts in irgendeinem Treppenhaus »Junge, du musst Musik machen!« zuflüsterte. Ben habe nach der Schule zunächst gedacht, in Bamberg als Kommunikationswissenschaftler sein berufliches Glück finden zu können. Rückblickend ein anstrengender Trugschluss, denn: Erfolgserlebnisse habe er da nur selten gehabt. »Irgendwann war das so etwas zwischen Den Absprung nicht schaffen einerseits und Blut lecken, was da in der Großstadt musikalisch noch so auf einen warten könnte andererseits«.

Und Tamim? Der gebürtige Düsseldorfer ist am Ende doch kein Humangeograph geworden, sondern kam früher als erwartet mit seiner Gitarre unterm Arm ­zurück ins Rheinland und komplettierte zusammen mit Bassist Eric die Band, von der »man fast glaubt, dass sie beinahe alles kann, wenn sie nur will«. Behauptet zumindest etwas marktschreierisch ihr Label Motor Entertainment. — Ist das so? — »Musikalisch gesehen würde ich dem zustimmen«, gibt Tamim unumwunden zu. Philipp pflichtet dem selbst­bewusst bei. Das läge vor allem daran, dass sie sich keinem bestimmten Genre zuordnen ließen. Ohnehin seien Genre-Zuordnungen für sie wenig interessant, ­erklären sie. Verblüfft lauscht man den Dreien, wenn sie so mit leuchtenden Pupillen über mögliche Mixturen von Jazz über Soul oder Indie hin zu HipHop philosophieren und das für das Normalste der Welt halten.

Und plötzlich, beinahe aus dem Nichts, ­entsteht aus dieser Dreier-Dynamik ein gemeinsamer Groove samt einer ­einfachen Melodie

Über Aussagen wie »Cobain ist Grunge, Iron Maiden Heavy-Metal oder Kenny Clarke Bebop« lächeln Ben, Tamim und Philipp. Müde, versteht sich. Mehr gefordert fühlen sich die musikalischen »Beinahe-Alles-Könner« erst wieder beim Thema Selbstzweifel. Denn ohne es vorher abgesprochen zu haben, spannen die drei Freunde eine Art Selbstzweifel-Dreieck über sich und ihr künstlerisches Schaffen: Berichtet Philipp von seinen Befürchtungen, vor einem Konzert zu wenig geübt zu haben; verrät Tamim, dass er sich oft nach einem Gig vor 500 Menschen fragt, ob das alles gut genug gewesen sei; gibt Ben offen zu, wie ihn immer mal wieder während eines Auftritts kurzzeitige Panik-Attacken des Selbstzweifels regelrecht dazu zwingen, sich auf der Bühne zusammenzureißen. Am Ende aber seien es die Zuschauer, die ihm mithilfe ihrer ­positiven Energien dabei helfen würden, dieses Zweifelstäler zu durchschreiten.

Dass Bens Texte nicht immer positive Energien für die Zuhörer:innen herausposaunen, sie manchmal sogar einen Hang zur inneren Kapitulation hätten, er sie oftmals verschlucke, sie dann aber doch noch ausspucke — ­irgendwie —, als seien sie Kaugummis, an denen aus Versehen noch ein bisschen Herzschmerz klebe: Das alles sei ihm bewusst. Und natürlich entstünden sie ­oftmals aus einer gewissen Alltags-Impulsivität heraus.

So zum Beispiel die Verse im Song Liane W. »Du verschlingst mich in einem Stück und bist trotzdem nicht satt / Ich schenk dir meine Seele, tausch sie für ­einen Moment«. Trotzdem: An ­irgendwelchen banalen Schuld­zuweisungen im Gewand eines Songtextes gegenüber Mitmenschen sei ihm nicht gelegen. Vielmehr und vor allem ginge es ihm um die Beleuchtung seiner eigenen Person und deren Verhaltens-Muster. So endet die Strophe in ­Liane W. mit »Der Fehler liegt bei mir, ich lass nicht von dir ab«. Als Ben das so konstatiert, beißt er sich ein ums andere Mal unbewusst auf seine Lippen.

Da ist sie wieder. Seine unumstößliche Nachdenklichkeit. Seine ­unmittelbare Zerbrechlichkeit. — Kommunikationswissenschaftler: Was für eine Verschwendung wäre das gewesen. — Ben ist Poet. Ein Poet fragile. Nein, Tigermilch ist eine Band fragile. Très fragile.