Lautstarke Meinungsäußerung: Julia Holter

Immer schon eine Meisterin

Julia Holter erprobt auf ihrem neuen Album das älteste philosophische Prinzip: Alles fließt

Unter Wasser ist das individuelle Körpergefühl nochmal anders. Vom Eigengewicht wird man größtenteils entlastet, geradezu schwerelos fühlt sich das an, und drumherum: alles still. Mindestens gedämpft.
Julia Holters »Something in the Room She Moves« — ihr erstes Album seit 2018  und nach eigenen Angaben von der Wandelbarkeit unserer Körper inspiriert —, deutet immer wieder auf dieses Feeling hin: mit sorgfältig platzierter Stille, blubbernden Wabbelbässen und wässrigen Synths. Und diesem herrlichen Wurlitzer-Sound, den Holter aber nicht groovy, sondern als lauwarmes Klangbett einsetzt.

Der Lieblingsfilm ihrer damals neugeborenen Tochter war während des Aufnahmeprozesses der unterbewertete Miyazaki-Streifen »Ponyo«, in dem sich eine Goldfrischprinzessin nach einem menschlichen Körper sehnt. Passt. (Eben dieser Tochter sang sie zum Einschlafen oft Beatles-Songs vor, daher der Albumtitel.) Im Erschaffen von spezifischen Welten war die avantgardistische Chamber-Popperin Julia Holter immer schon eine Meisterin.

Es lohnt ein kleiner Karriererückblick: Nach dem collagen-artigen, ausschließlich als Gesamtkunstwerk funktionierenden »Tragedy« (inspiriert vom griechischen Dramatiker Euripides) und dem eher songorientierten »Ekstasis« (inspiriert von diversen literarischen Quellen), erschien kurz danach »Loud City Song« (2013), das auf der französischen Novelle »Gigi« basierte — ja, belesen ist Holter allemal. »Have You In My Wilderness« (2015) war dafür poppiger und ein Produkt ihres Innenlebens, wohingegen das weitläufige »Aviary« (2018) auf eine Kurzgeschichte der libanesisch-ameri­ka­ni­schen Autorin Etel Adnan Bezug nahm.

Holter schreibt Songs, bei denen sich Musikjournalisten ­hinsetzen und alles ­aufschreiben wollen, was ihnen beim Hören auffällt

Die neue Platte bewegt sich nun dazwischen, trägt also den persönlichen Ansatz von »Have You In My Wilderness« in sich, ist aber auch von der feministischen Theoretikerin Hélène Cixous inspiriert worden. Der Song, der am stärksten von Cixous beeinflusst wurde, heißt »Spinning« und nimmt in der Mitte des Albums eine ähnliche Rolle wie der ebenso großartige Opener »Sun Girl« ein: Die Rhythmen sind hier knackiger, was guttut. Das sind Songs, bei denen sich Musikjournalisten wie der Autor dieses Textes hinsetzten, alles aufschreiben wollen, was ihnen beim Hören auffällt, und gar nicht mehr aus dem Tippen rauskommen. Die Gesangsmelodien sind klar definiert, auch wenn das beim ersten Hördurchgang nicht so scheint. Dranbleiben lohnt sich.

Das können nur noch die Wenigsten, und Schuld hat natürlich auch Spotify. Ist aber nicht mal das größte Problem: Julia Holter bemängelt schon seit längerer Zeit, dass von dem ohnehin knappen Streaming-Geld zu wenig an die Musiker:innen geht, weshalb diese ständig touren müssen; das war zu Coronazeiten eher schwierig, sodass die ungerechte Verteilung in der heutigen Musikindustrie deutlicher wurde. Ja, es gibt eine Entwertung von Musik und dadurch eine berechtigte Sorge für die Zukunft kreativer Kunst. Holter ist jedenfalls diese Art von lautstarker Meinungsäußerin, die ihre Forderungen — bessere Bezahlung pro Stream und mehr Transparenz — mit Panzerband an die Türen der Spotify-Büros klebt.

Womit wir zu Julia Holters Unterstützung von »Strike Germany« kommen. Bei diesem Boykottaufruf geht es um die Weigerung mit hiesigen Kulturinstitutionen zusammenarbeiten. Der Begründung: Deutschland sei zu israelfreundlich, unterdrücke Solidarität mit Palästina und ersticke israelkritische Aktionen schon im Keim. Die Politik von Israel als verwerflich zu bezeichnen, ist berechtigt, trotzdem müssen Holter & Co. sich bewusst machen, was für eine Wirkung die Unterstützung von Kampagnen wie Strike Germany auch haben kann (Stichwort: Doppelstandards). Ob solch ein Boykott der richtige Weg ist, bleibt fragwürdig.

Keinerlei Zweifel besteht wiederum an der Qualität von »Something in the Room She Moves«. Wenn’s im Vordergrund der Musik dann doch mal langweilig wird, schau genauer hin: Da hinten tanzt ein Saxofon die Tonleiter hoch, total bezaubernd. Wir haben es hier mit einem Album zu tun, das von dir verlangt, dich tief hineinzubegeben. Mit einer Platte, die man hört und hofft, dass einen mal niemand anspricht. Als wäre man alleine unter Wasser, mit dem Wunsch, man könne stundenlang die Luft anhalten.

Tonträger: Julia Holter, »Something in the Room She Moves« (Domino Records/Goodtogo)