»Federn in den patriarchalen Taubenschlägen rupfen«

Die Essays der amerikanischen Feministin Linda Nochlin erscheinen endlich auf Deutsch

Am Ende ihres 1971 erschienenen Essays »Warum gab es keine großen Künstlerinnen?« zieht Linda Nochlin ein hoffnungs­volles Fazit: dass Frauen, insbesondere Künstlerinnen, deren Ahnin­nen über Jahrhunderte hinweg durch Institutionen und Erziehung gehemmt, unterdrückt und entmutigt worden waren, heute nicht nur in der Lage dazu seien, strukturell und intellektuelle Schwächen aufzudecken, sondern »an der Schaffung von Institutionen mitzuwirken, in denen klares Denken — und wahre Größe — als Heraus­for­de­rung allen offenstehen«. Ein Gedanke, der in der Jetztzeit, in der selbst an Universitäten der kon­struktive Dialog nicht mehr möglich scheint, hochaktuell und dringlich ist.

Die New Yorker Kunsthistorikerin Linda Nochlin (1931–2017) legte einen Grundstein für die feministische Kunstgeschichtsschreibung, indem sie die Frage nach den Bedingungen künstle­rischer Produktion stellte. Ihre ­gemeinsam mit Ann Sutherland Harris kuratierte Ausstellung »Women Artists: 1550–1950«, die 1976 im Los Angeles County Museum of Art eröffnete und nach Texas, Pennsylvania und New York wanderte, gilt als wegweisend in der Geschichte des Feminismus und der Kunst. Linda Nochlin wollte mit Mythologien brechen und die Sicht auf die Realität schärfen. Dies wurde spätestens noch einmal deutlich, als 2015 ihre wichtigste Essaysammlung »Women Artists: The Linda Nochlin Reader« erschien.

Es ist ein großer Gewinn, dass dank des Wiener marsyas-Verlag und der Übersetzerin Margot ­Fischer diese Texte von Nochlin erstmals auch in deutscher Fassung vorliegen: »Warum gab es keine großen Künstlerinnen?«, herausgegeben von der Kunst­historikerin und Kuratorin Maura Reilly, versammelt Nochlins Essays von 1971 bis 1999. Er wird von einem aufschlussreichen ­Gespräch zwischen Reilly und Nochlin begleitet, das zum Beginn von Nochlins Fragestellungen zu medialer Präsentation und Re­präsentation von Frauen zurückführt. Linda Nochlins Aufsätze wie jene über Florine Stettheimer, Sylvia Sleigh oder Deborah Kass sind Porträts, mit denen die Autorin einen Raum der Viel­stimmigkeit erzeugte. Der zweite Band, der Nochlins Essays aus den Jahren 2000 bis 2015 zusammenbringt, ist in diesen Tagen unter dem Titel »Die großen ­Themen der Weiblichkeit« erschienen.

Linda Nochlin, »Warum gab es keine großen Künstlerinnen?
Essays 1971–1999«, Marsyas Verlag, Wien 2023, 352 Seiten, 34 Euro