Psychologisch feinfühlig: »Early Autumn«

Dem Schicksal ergeben

Das japanische Kulturinstitut zeigt eine Reihe mit Filmen

von Ozu Yasujirô, des Meisters der Alltagsdramen

Manchmal erkennt man die Welt erst, wenn sie durch das Kino verfremdet ist. In Ozu Yasujirôs Komödie »I Was Born, but …« gibt es eine Szene, in der zwei Brüder ihren Vater auf der Leinwand entdecken. Während eines Amateurfilmabends, der vom Vorgesetzten ihres Vaters organisiert wird, sehen die Jungs plötzlich, wie das Familienoberhaupt für den Boss Grimassen schneidet, sich zum Affen macht. Als Reaktion auf diese vermeintliche Demütigung des eben noch Bewunderten, die die realen gesellschaftlichen Machtverhältnisse widerspiegelt, treten die beiden erst einmal in Hungerstreik. Den sie allerdings nur bis zum nächsten Morgen durchhalten: Die Reisbällchen der Mutter lindern den Schmerz.

 

Ozu Yasujirô (1903–1963), dieser essenzielle Regisseur der japanischen Kinoklassik, gilt im Allgemeinen als ein Großmeister des Alltagsdramas, japanisch: shomingeki, ein Genre, das er selbst mitbegründet hat. Typischerweise sind das antidramatisch konstruierte Filme über das Leben von Mittelschichtsfamilien. Leise, erzählerisch simple, aber psychologisch komplexe Geschichten aus einer engen, in sich ruhenden Welt, die oftmals von einer Grundstimmung der Schicksalsergebenheit durchweht scheint. »I Was Born, but …« zeigt insbesondere in seinem spielerischen, selbstreflexiven Tonfall, dass das nicht die ganze Wahrheit über den vielleicht nur vermeintlich »japanischsten aller Regisseure« ist. Tatsächlich war Ozu in der frühen Phase seiner Karriere ein Bewunderer und manchmal auch ein Imitator Hollywoods, ein Modernist, der geradezu lustvoll mit Stilen und Genres experimentierte. »Sword of Penitence«, sein verschollenes Debüt von 1927, war etwa ein waschechter Samuraifilm, »Dragnet Girl« von 1933 sieht dank atmosphärischer Stilisierung schon fast nach einem Vorläufer des Film noir aus. 

 

Leider ist unter den neun Filmen der Reihe, die das Japanische Kulturinstitut Ozu widmet, nur einer aus der Vorkriegszeit zu finden. Die Nachkriegsfilme, aus denen sich der Rest des Programms zusammensetzt, bilden allerdings tatsächlich den Kern seines Werks, das insgesamt aus 54 Filmen besteht. Eine Sonderstellung nimmt dabei »A Hen in the Wind« von 1948 ein - eine Art japanischer Trümmerfilm, gleichzeitig eine der intensivsten, niederschmetterndsten Beziehungsstudien Ozus. Erst Ende der 40er Jahre etabliert er endgültig seinen minimalistischen Stil, der bald überhaupt keine Kamerabewegungen mehr benötigt, und der aus einer kleinen Anzahl endlos variierbarer Standardsituationen zu bestehen scheint. 

 

Der serielle Aspekt des reifen Ozu-Werks zeigt sich bereits in den Titeln der Filme, in denen mit Vorliebe Jahreszeiten und Lebensmittel auftauchen. Sowie darin, dass der Regisseur wieder und wieder seine Lieblingsschauspieler besetzt, noch dazu oft in sehr ähnlichen Rollen. Berühmt geworden sind vor allem die »drei Norikos«, die die im vergangenen Jahr verstorbene Hara Setsuko für den Regisseur in »Late Spring«, »Early Summer« und »Tokyo Story« verkörpert: Drei innerlich zerrissene junge Frauen, die den Versuch unternehmen, ihr persönliches Glücksbedürfnis mit dem auf ihnen lastenden gesellschaftlichen Druck in Einklang zu bringen. Rye Chishu arbeitete sogar in über dreißig Filmen mit Ozu zusammen. Hat man auch nur die Hälfte davon gesehen, kann man sich kaum noch eine japanische Familie ohne diesen stoisch lächelnden, etwas trägen älteren Herrn vorstellen. Was Matthias Wittmann über Clint Eastwood schreibt, gilt auch für Ryu: Sein Alterswerk hat immer schon begonnen, weil er nie jung war.

 

Ozus späte Filme ähneln sich auf den ersten Blick so sehr, dass sie fast ineinander zu fließen scheinen. Freilich: Wenn man über den oberflächlichen Blick hinausgeht, ändert sich das schlagartig. Dann sieht man, dass jeder Film eine ganz eigene Welt entwirft. Zum Beispiel »Early Autumn«, der Auftaktfilm der Reihe, der komödiantische Leichtigkeit auf unaufdringliche Weise mit bitterer Melancholie verbindet. Das vorletzte vollendete Werk des Regisseurs trägt zwar einen geradezu prototypischen Ozu-Titel und besteht, wie fast alle anderen Filme zuvor, aus kaum mehr als einer Serie von geduldig beobachteten Gesprächsszenen, die psychologisch feinfühlig soziale Konflikte verhandeln; tatsächlich aber ist »Early Autumn« der Film, der stärker als alle anderen des Regisseurs die Grundfesten der dargestellten Welt in Frage stellt. Das zeigt sich vielleicht bereits daran, dass das Oberhaupt der Familie Kohayagawa, von deren langsamen Auseinanderbrechen der Film handelt, nicht von Ryu, sondern von Nakamura Ganjiro, einem weniger entspannten, eher verschmitzten, jedenfalls weitaus agileren Darsteller gespielt wird.

 

Nakamuras Figur ist ein greiser Tor, unbeleckt von jeder Altersweisheit. Noch kurz vor seinem Tod kann er nicht von seiner Geliebten lassen. Wieder und wieder schleicht er sich davon, um sich mit Sasaki zu treffen, deren Tochter Yuriko möglicherweise aus der langjährigen Affäre der beiden entstanden ist. Die Spannungen, die aus dieser Situation entstehen, erweisen sich als in letzter Instanz unlösbar. 

 

Mo 12.9.–Do 27.10., Japanisches Kulturinstitut. OmU und OmeU. Eintritt frei!

Infos: jki.de