40 Jahre StadtRevue – Teil 3

St. Pauli und Köln sind schuld, dass ich so bin

 

Oke Göttlich ist Präsident des FC St. Pauli, Gründer der Musik-Vertriebsplattform finetunes und ehemaliger Musikautor der StadtRevue

 


Eine kleine Geschichte, warum mein Leben ohne die Achse Köln / St. Pauli unvorstellbar wäre. Okay, ein Text, bei dem typisches Sinnieren gefragt ist. Über früher und was daraus später geworden ist und wie es hoffentlich immer weiter geht. Dieser Versuch, in einem fragwürdigen wie komplexen System die richtigen Fragen zu stellen und so häufig wie möglich die richtigen Entscheidungen zu treffen, um das Morgen menschlicher, schöner und erträglicher zu machen. Vielleicht ist das die übergeordnete Klammer dieser Szenen, Menschen und Institutionen aus Sport und Musik, die mich umgeben und mich in Köln wachsen ließen und die Gemeinsamkeit zwischen der StadtRevue, Köln und St. Pauli kennzeichnen.

 

Was hatte ich für ein unverschämtes Glück: Kurz nach dem Zivildienst, meine langjährige Freundin hatte sich gerade von mir getrennt, fand ich eine Bleibe im Belgischen Viertel bei Bekannten meiner Eltern. Anfangen zu studieren durfte ich noch nicht, da mein NC zu schlecht war. Ich musste also ein halbes Jahr überbrücken. Ein Schicksal, welches sich später als Glück erwies. Meine Gastgeber waren StadtRevue-Abonnenten, die Wohnung lag neben der Prinz-Redaktion. Für mich war die Wahl klar, wo ich mich persönlich vorstellen mochte. Ich fuhr in die Maastrichter Straße 49 und war schneller wieder draußen, als ich auf meinen Gesprächspartner wartete. Meine Fanzine-Tätigkeiten und mein Wunsch zu schreiben waren nicht ausreichend. Ich begann bei der Prinz. Erst Jahre später durfte ich meine erste Musikrezension für die StadtRevue schreiben, was ebenso aufregend war wie meine damalige, hoffnungsfrohe Anfahrt in die Maastrichter Straße.

 

In diesen Jahren des Dazwischen lernte ich viele Menschen, das Nachtleben, die Musikkultur und den Sport durch die Tätigkeit als Musik-journalist und das Sportstudium kennen. Das Belgische Viertel (ja, ich weiß, Hipsterscheiß) blieb meine Heimat und somit war das musikalische Dreieck schnell gezogen: a-musik, Kompakt und Groove Attack waren die Plattenläden und Partyhinweisgeber der nächsten Jahre. Matthias Schaffhäuser und sein Plattenlabel Ware lernte ich als meinen Arbeitgeber, später Freund, kennen. Andreas Werner (audio werner), der inzwischen bei den Kölner und internationalen Labels Hartchef Discos, Perlon und Circus Company veröffentlichte, spielte mir bis dato unbekannte elektronische Musik vor. Ich lernte daraufhin Bernd Friedmann (Burnt Friedman) kennen und gründete mit ihm das Label Nonplace, auf dem sensationelle Platten mit Jaki Liebezeit (dem Drummer von Can) entstanden sind. Jacqueline und Riley Reinholds Veröffentlichungen vertreibe ich seit Jahren mit Finetunes Digital. Basswerk und Hard:Edged waren die Drum’n’Bass-Labels, die die Parties schmissen, auf der ich mit meiner heutigen Liebe Luisa getanzt habe. Und mit Rainer G. Ott vom Grand Hotel van Cleef habe ich einen Kölner, mit dessen Freundin ich schon zu Sporthochschul-Zeiten Segelkurse belegt habe und mit dem nicht nur gut Wein trinken ist, sondern auch der traurige Tod von Edelweißpiratin Mucki Koch besprochen werden kann. 

 

Fußballseits darf ich nun beim tollsten Fußballverein der Welt arbeiten. Die Balance zwischen Werten und Wahnsinn rund um den hyperkommerziellen Fußball zu halten, ist eine riesige Herausforderung. Den Gefallen, dass wir uns doch zurückziehen könnten, wenn uns dieser Spagat zu schwer falle, werden wir den etablierten Ligavertretern nicht tun. Insofern kämpfen auch wir — ebenso wie die StadtRevue — um unsere Oase. Und auch hier treffe ich wieder Kölner, mit denen diese komplexe Herausforderung erträglicher wird. Sven Brux, unser Organisationsleiter, ist nicht nur aufgrund seiner Hafenstraßenvergangenheit ein wichtiger Teil unseres Kollegiums, sondern als kölscher Jung auch immer dafür verantwortlich, dass es gute Parties gibt, wenn wir denn mal wieder in Köln spielen sollten — irgendwann… . Und dann ist da ja noch Meister Rettig, unser Geschäftsleiter. Bis wir dem seinen Karneval ausgetrieben haben, gibt es wohl schon längst keinen Auf- und Abstieg mehr in der Bundesliga, weil es den Renditeinteressen der Investoren widerstrebt. 

 

Häufig sage ich, dass St. Pauli schuld ist, dass ich so bin. Durch meine Stadionbesuche weit vor der Kölner Zeit wurde ich von den politischen und subkulturellen Akzenten im Millerntor geprägt. Schließlich habe ich durch meinen besten (St. Pauli-Fanzine)-Kumpel meinen Geschäftspartner kennengelernt, mit dem ich einen Musikvertrieb — auch für viele Freunde und Bekannte, darunter welche aus Kölner Zeiten — aufbauen konnte. Wenn ich beim Schreiben aber so nachdenke, muss ich korrigieren: Meine Frau Luisa, zwar Hamburgerin, lernte ich in Köln kennen und lieben. Die Verbindung zur Kultur- und Musikszene ist definitiv von Köln geprägt und auch mein jetziges Ehrenamt beim magischen FC ist inhaltlich durch das Studium an der Sporthochschule etwas fundierter. St. Pauli und Kölle sind also schuld, dass ich so bin. Ich gratuliere und danke der StadtRevue zum 40. Geburtstag und meiner neuen Selbsterkenntnis. Und sowieso: Forza!

 

 

 

 

»Auch CDU-Leute lesen die StadtRevue, wenn sie wissen wollen, was in Köln los ist«


 

Frank Überall lebt als freier Journalist in Köln und arbeitet u.a. für den WDR und die StadtRevue. Er lehrt als Professor an der Kölner Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft und ist ehrenamtlicher Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV).

 

 

Herr Überall, die Krisenstimmung im Journalismus ist überall spürbar. Alte Geschäftsmodelle funktionieren nicht mehr, das Vertrauen in Journalisten schwindet. Woran liegt das?

 

Die ökonomische Krise liegt daran, dass die Menschen, besonders jüngere, nicht mehr für Journalismus zahlen wollen. Man bekommt im Internet viel kostenlos, das ist ein Fehler der Verlage. Ich kann mich noch gut erinnern, mit welcher Verbissenheit Springer und DuMont hier in Köln gegen die Gratiszeitung »20 Minuten« gekämpft haben. Einige Jahre später gaben auch die DuMont-Medien ihre Texte im Internet her. Aber das Internet hat auch gute Seiten. Früher war es hart, in Köln eine Zeitung zu machen, die StadtRevue hat da Erfahrungen gesammelt. Das ist heute einfacher, ein Blog wie »Report-K« kann mit wenigen Mitteln durchaus etwas bieten. Insgesamt aber brauchen wir einen Diskurs über die Wertschätzung von Journalismus.

 

Journalismus finanziert sich traditionell aus Werbung und Vertriebserlösen. Aber es werden auch andere Modelle ausprobiert: die taz-Genossenschaft, eine Stiftung für das Recherchebüro Correctiv oder Crowdfunding. Wird sich davon etwas durchsetzen oder bleiben diese Modelle eine Randerscheinung?

 


Correctiv finde ich spannend — die sind sehr erfolgreich mit ihrer Arbeit. Ich finde Blendle auch interessant, wo man einzelne Artikel kaufen kann — da sind aber noch zu wenige Blätter vertreten. Wir brauchen die Organisation über Medienhäuser, wir brauchen diese neuen Modelle, und wir müssen auch mal den Mut zu Schnellbooten haben, wenn sich die Dampfer der Medienhäuser nicht so schnell bewegen. Ich mag mich nicht am Rumgeheule der Branche beteiligen. Es gibt eine Nachfrage nach professionellem, qualitativ hochwertigem Journalismus — quasi ein Pendant zu gutem Bioessen.

 

 

Bioessen ist aber keine immaterielle Ware wie Informationen, die es überall kostenfrei gibt. Warum sollte man überhaupt für Journalismus zahlen?

 


Informationen kann ich mir per Twitter besorgen, aber das journalistische Handwerk findet dort nicht statt: Einordnen, recherchieren, Quellen überprüfen. Es kann ja sein, dass ich als Twitter-Nutzer auf die Suche nach einem Experten gehe, der sich dort äußert. Aber wer garantiert mir, dass der Experte unabhängig ist? Um das herauszufinden, müsste ich journalistisch tätig werden. Dafür gibt es Menschen, die so etwas hauptberuflich tun.

 

 

Dafür müssen uns die Bürger aber vertrauen. Das scheint im Moment nicht immer der Fall zu sein.

 


Wir müssen unseren Job und seinen gesellschaftlichen Wert erklären. Nicht den Rechtsextremen, die den Kampfbegriff »Lügenpresse« geprägt haben. Die wollen einfach nur das System sturmreif schießen. Das allgemeine Unwohlsein müssen wir aber zur Kenntnis nehmen.

 

 

In der Medienbranche wird aber zuerst über neue Formate nachgedacht und danach über die Inhalte dafür.

 


Wir müssen uns natürlich Gedanken darüber machen, wie wir junge Leute dazu bekommen, Nachrichten zu konsumieren. Ich beschäftige mich aufgrund meiner Kinder viel mit Newsgames. Da werden gesellschaftliche Fragen und ethische Dilemmata verhandelt. Auch Datenjournalismus finde ich gut, das ist richtige Recherche. Ich bin aber skeptisch, was Videocontent angeht: Nicht jeder gute Journalist ist ein guter Kameramann. Da werden Kräfte aus dem Kerngeschäft abgezogen, um Flimmern und Rauschen zu produzieren. Das beschädigt das Produkt. Wir sollten als Branche darüber nachdenken, stärker mit unserer journalistischen Qualität zu werben, etwa über eine Art Siegel, eine FSK für Journalismus.

 

 

Welche Rolle werden in Zukunft die verschiedenen Medienformen wie Print, Online oder Radio spielen?

 


Es wird immer Print geben, aber die Inhalte werden sich ändern. Es gibt eine Sehnsucht nach gut recherchierter und gut erzählter Darstellung — die ZEIT hat eine Rekordauflage. Print wird nicht sterben, aber eine Tageszeitung, die überwiegend aus Agentur-Meldungen besteht, braucht kein Mensch mehr. Da muss man überlegen, wie man es neu ausrichtet.

 

 

Facebook und andere soziale Medien werden oft als Korrektiv der Massenmedien wahrgenommen. Ist ihre Rolle vergleichbar mit dem, was Alternativmedien wie die taz oder die StadtRevue in den 70er und 80er Jahren geleistet haben?

 


Ich denke nicht, weil die Grundlage eine andere ist. Die Alternativmedien haben gesagt, wir wollen das journalistische Handwerk für andere Themen einsetzen. Deshalb lesen ja auch CDU-Leute die StadtRevue, wenn sie wissen wollen, was in Köln los ist. Soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter organisieren aber zuerst Meinungen, und zwar so, dass durch Empfehlungen ständig auf mein Vorurteil eingezahlt wird. Ein Effekt der sozialen Netzwerke ist aber, dass wir Journalisten uns häufiger erklären müssen. Diese neue Kommunikation ist gut, braucht aber Grenzen. Zum einen kann ich nicht ständig mit dem Rezipienten kommunizieren, sondern muss recherchieren. Zum anderen müssen wir gemeinsam eine Grenze bei Beleidigungen und Bedrohungen ziehen, egal ob die aus der rechtsextremen Ecke kommen oder von Erdoğan-Anhängern. 

 

 

Interview: Christian Werthschulte