Sonne, Mond und Kinderwunsch

Rund um die Veröffentlichung von »The Disco‘s Of Imhotep« spinnt Jamal Moss aka ­Hieroglyphic Being seine kosmischen Ideen. Und hat dabei ganz irdische Wünsche

»Was bitte schön soll Afrofuturismus sein?«, fragt mich Jamal Moss wild gestikulierend. Der aus Chicago stammende Musiker kann seinen Ärger kaum verbergen. Vor wenigen Minuten hat er beim Moogfest in Durham, North Carolina, eine dieser Podiumsdiskussionen hinter sich gebracht, wie sie mittlerweile bei jedem Festival dazu gehören, um für den theoretisch-intellektuellen Überbau zu sorgen. Gemeinsam mit seinen Gesprächspartnern sollte er sich Gedanken zum Zusammenspiel von Science Fiction, Astral Jazz, Psychedelic Hop und einigem mehr machen — aber zu seinem Missfallen unter strikt afroamerikanischem Blickwinkel. »Warum sprechen wir nicht einfach über die Zukunft von uns allen? Immer diese Segregation!«, legt er nach. 

 

Es wird nicht das einzige Thema bleiben, das der 43-jährige mit Verve vorbringt während unseres Gesprächs. Und ehrlich betrachtet: es ist weniger ein Gespräch als ein Vortrag. 

 

 Moss, der sich als Musiker zumeist Hieroglyphic Being nennt, ist eine Naturgewalt, ein nicht enden wollender Bewusstseinsstrom. Und es ist notwendig, sich auf ihn einzulassen, um sich seiner Musik anzunähern. »Vielen Leuten gelingt es heutzutage nicht mehr, sich mit ihrer eigenen Existenz zu beschäftigen«, fährt er fort. »Sie werden vom Fernsehen, vom Radio und all diesen anderen Marketingmaschinen da draußen abgelenkt. Deswegen können sie nicht dem Klang des Universums zuhören.«

 

Moss, der bei Adoptiveltern aufgewachsen ist, bevor er aufgrund unterschiedlicher Auffassungen über seine Zukunft (einen anständigen Beruf lernen versus Musik machen) früh von Zuhause auszog und auf der Straße lebte, existiert mittlerweile freilich im Einklang mit dem Universum. Alles, was er macht, sei gemäß des kosmischen Kalenders ausgerichtet. »Ich bin eine Sonne, ein Planet, ein Mond«, gibt er zu verstehen.

 

Man kommt nicht umhin, den großen amerikanischen Jazzmusiker Sun-Ra zu erwähnen, wenn man über Moss und sein Hieroglyphic Being schreibt. Sun-Ra behauptete vom Saturn zu stammen und kultivierte mit seinem Orchester unter Rückgriff auf alt-ägyptische Sagen und Stilelemente einen freejazzigen Soundtrack zu seinem unter dem Leitmotto »Space is the place« vibrierenden Afroeskapismus. Moss, der grundsätzlich nur schwarz trägt, tritt zwar nicht so farbenfroh auf wie Sun-Ra, der musikalische und überbauliche Einfluss ist aber offensichtlich von ihm inspiriert.

 

Genauso wie von den frühen Soulgrößen wie Miles Davis, John Coltrane und Thelonious Monk. Aber auch von Noise, Industrial, Detroit Techno und Chicago House (genährt durch seine Ziehväter Adonis und Steve Poindexter, die ihn von der Straße holten). All dies hat Moss über die letzten zehn Jahre unter seinen Projektnamen Africans With Mainframes (mit Noleian Reusse), Insane Black Men (IBM) und Hieroglyphic Being in einen beeindruckenden Katalog gebannt.

 

Die Musik von Moss ist ein wahrer Abenteuerspielplatz, auf dem die Rhythmen wild miteinander rumtoben. Ein Wort wie polyrhythmisch ist nicht in der Lage, die Vielschichtigkeit der Arrangements angemessen zu beschreiben, ebenso wie Reflektion und Bewegung nur die zwei Pole der Wirkungspalette seiner Musik sind.
»Es hat mich schon immer zu Musik hingezogen, die nicht im Radio läuft«, beginnt Moss den Blick auf sein eigenes Werk. »Ein Großteil der Musik ist kommerziell und wird dementsprechend nach den immer gleichen Prinzipien hergestellt, mich aber interessiert alles, was abseits der Norm statt-findet.«

 

Während sein letztes Album »We Are Not The First« freien elektronischen Jazz im Geiste von Übervater Sun-Ra präsentierte, so knüpft er mit »The Disco’s Of Imhotep« an seine lange Historie von Clubproduktionen an. Bei Imhotep handelt es sich um einen altägyptischen Baumeister, der 2700 vor Christus lebte und später als Heilgott und Friedensbringer verehrt wurde. Auf den neun Tracks des Albums arbeitet Moss sich am Leben des Erfinders der ägyptischen Schrift und Medizin ab, in dem er die Erzählstränge sensibel musikalisch aufgreift und dabei kristallklaren Techno neben pumpende Housetracks, atmosphärische Soundscapes, feingliedrige Deephouse- und abstrakte Disco-Tracks stellt. Das Faszinierende an der Musik ist, wie sich all diese unterschiedlichen Identitäten des Dancefloors zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenfügen. Ganz so wie eine Gruppe von Charakteren sich per Dialog zur Gemeinschaft formt. 

 

Moss beendet seinen einstündigen Monolog mit der überraschend konventionellen Beichte, dass er sich nach einer Familie sehne. Denn solange er keine Frau und Kinder habe, könne er sein Lebenswerk, seine »sonische Bibliothek, die aus dem Dialog mit der Galaxie entstanden ist«, nach seinem Tod nicht in die richtigen Hände übergeben.