No Sleep till Brooklyn

Der Stadtgarten feiert 30-jähriges Jubiläum. Und kann gleichzeitig einen fulminanten Neuanfang verkünden.

»Bärtige Männer mit Meerschaumpfeifen saßen im Subway beisammen und versuchten im Takt mit den Fingern zu schnipsen.« Reiner Michalke lacht. Vor drei Jahrzehnten dachten in Köln viele bei Jazz an Swing, die Jazzmoderne fand offenbar woanders statt. Dabei gab es viele junge Musiker in der Stadt, die das Genre modern interpretierten, 1981 richtete die Musikhochschule sogar den Studiengang »Jazz/Popularmusik« ein. Doch es gab keinen Ort, an dem sie spielen konnten. »Wir wollten damals den Jazz aus dem Keller holen«, erzählt Michalke. Der Anspruch der von ihm mitgegründeten Initiative -Kölner Jazz-Haus war es, zeitgenössischen Jazz an einem angemessenen Ort zu präsentieren und so die Stadt wieder an die Jetztzeit anzudocken. Damit waren sie erfolgreich.

 

 Der Programmchef des Stadtgartens und künstlerische Leiter des Moersfestivals feiert dieses Jahr mit seinen Mitstreitern Jubiläum: der Stadtgarten wird 30. Eine Er-folgs-geschichte in einer Stadt, die zwar traditionell einen hervorragenden Ruf in musikalischen Dingen hat, die freie Szene aber lange Zeit wie ein Stiefkind behandelte. 

 

Der Stadtgarten öffnete 1986 nach langwierigen Verhandlungen als Konzertort für Jazz die Tore. Man holte Sun Ra, Ornette Coleman, Cecil Taylor, Carla Bley, Evan Parker, Arto Lindsay und Jim O’Rourke auf die Bühne, aber auch Musiker aus Köln, die neue, zeitgenössische Musik spielten. Man öffnete die Stadt für Moderne und Gegenwart. Die Meerschaumpfeife hatte endgültig ausgedient. Mit den Jahren bot man auch Pop eine Bühne: Neneh Cherry, Jan Delay und Agnes Obél sorgten für ein volles Haus, im Keller spielt seit Ende der 1990er die Kölner Elektronikszene auf. Was vielen Puristen ein Dorn im Auge war, zeugte von der Offenheit der Stadtgarten-Akteure. Mit den Jahren musste man aus wirtschaftlichen Gründen aber auch viele Kompromisse eingehen. Der Anteil von Fremdbuchungen und Partyvermie-tungen stieg, die Qualität natürlich nicht mit. Michalke räumt ein, dass der Stadtgarten so nach und nach sein Profil einbüßte. Mit der Jahrtausendwende kam dann auch noch der Sog nach Berlin: Viele der hier ansässigen Musiker und Labels gingen in die Hauptstadt.

 

Die Talfahrt ist aber schon seit einigen Jahren vorbei. Mit einer hochlebendigen Jazz-, Improv- und Avantpop-Szene und Konzertreihen wie »Klaeng« (kuratiert vom Klaeng-Kollektiv), »Broken Sound« (Holger Adam/Ronnie Oliveras), »Reconstructing Song«, »Outskirts« (beide Thomas Gläßer), »Sounds Wrong, Feels Right« (Nicole Wegner/Meryem Erkus) und »Metropolitan Sounds« (Michalke) hat man den Stadtgarten wieder auf der Karte der Gegenwartsavantgarde verorten können. Und in die Zukunft blickt Michalke ohnehin mit großer Zuversicht. Er hat auch allen Grund dazu: Der Kölner Rat hat kürzlich den Ausbau des Stadtgartens zu einem »Europäischen Zentrum für Jazz und aktuelle Musik« beschlossen. Die Initiative zu diesem überraschenden Vorstoß kam vom Land. Bis 2018 wollen Stadt und Land die institutionelle Förderung auf 600.000 € pro Jahr hochschrauben. Zum Vergleich: bislang gab es einen Betriebskostenzuschuss von 80.000 €. Entwickeln sich die Dinge richtig, entsteht so in absehbarer Zeit ein Ort, der hierzulande Seines-gleichen sucht.

 

»Es gibt in der Republik keinen anderen Ort, den man mit einer Erhöhung des Förderetats so schnell wie den Stadtgarten aus dem Dornröschenschlaf wecken kann. Mein nächster Kollege sitzt im Bimhuis«, meint Michalke. In Amsterdam macht man mit dem Bimhuis, dem niederländischen Zentrum für Improvisierte Musik, seit Jahren erfolgreich vor, wie so eine Spielstätte von internationalem Rang aussehen kann. Michalke hat für den »neuen« Stadtgarten entsprechend ein Konzept entwickelt, das Köln nach und nach wieder in den Fokus der nationalen wie internationalen Szene rücken kann. So sind etwa Residenzprogramme zum Austausch mit internationalen Künstlern und ein von den Musikern selbstverwalteter Musikfonds geplant. Außerdem will Michalke die Gestaltung noch stärker auf verschiedene Köpfe verteilen: aufbauend auf den erfolgreichen Konzertreihen will er das Programm mit weiteren Kuratoren ausbauen. Und die Stadt soll mehr in die Verantwortung genommen werden. Michalke schlägt vor, dass die Jazz-Haus-e.V. um öffentliche und institutionelle Mitglieder erweitert wird. Die neu entstehende Körperschaft soll von einem Aufsichtsrat mit städtischen Vertretern, Bundesmusikervertretungen und öffentlichen Institutionen kontrolliert werden. Mit einer solchen Konstruktion würde, so das Kalkül, der Stadtgarten in der Substanz politisch autonomer werden. Bislang hält sich die Stadt diesbezüglich noch bedeckt. 

 

Bei der Jubiläumsfeier schaut der Stadtgarten noch einmal zurück und gedenkt zwei seiner Weggefährten und -bereiter, die in den letzten Jahren verstorben sind: dem Percussionisten und Performancekünstler Frank Köllges und dem WDR-Redakteur und Patron der Kölner Jazzszene Manfred Niehaus, der den Stadtgarten über Jahrzehnte tatkräftig und unkonventionell unterstützte. An vier Tagen wird gefeiert, ein Höhepunkt wird die Neuauflage des Kölner Weltorchesters unter Leitung des Pata-Musikers Norbert Stein sein. Michalke hat aber auch Künstler aus Übersee eingeladen: mit Dawn Of Midi aus Brooklyn holt er die derzeitigen Szene-Stars nach Köln. Deren polyrhythmischer Minimal-Jazz passt aber auch wirklich wunderbar zur Domstadt. Und die Brooklyner bringen ein wenig Glamour mit, noch vor ein paar Wochen eröffneten sie im Madison Square Garden zwei Radiohead-Konzerte.