Zu hip für Berlin und Tokio

Mit »Belladonna of Sadness« kommt ein vergessenes Animations-Meisterwerk wieder in die Kinos

Als Yamamoto Eiichis »Belladonna of Sadness« 1973 im Wettbewerb der Berlinale uraufgeführt wurde, herrschte laut zeitgenössischen Berichten am Ende ein perplexes Schweigen. Japanische Animationen kannte man damals schon, auch aus den Hauptprogrammen der maßgeblichen Filmfestivals, aber »Belladonna« war vollkommen anders als alles, was man bis dato in dieser Kunstform gesehen hatte. Das beginnt mit der Geschichte: Sie basiert auf »La Sorcière« (1862), einem langen Essay des französischen Historikers Jules Michelets, der den mittelalterlichen Hexenglauben und dessen Verfolgung durch die Kirche als eine Art Volksaufstand gegen die Unrechtsherrschaft jener Jahrhunderte interpretierte. Im Film wird daraus die Fabel von der schönen Jeanne, die als Hexe verfolgt wird und daraufhin einen Pakt mit dem Teufel eingeht. So erlangt sie magische Kräfte, mit denen sie die Geknechteten der Erde in einem Aufstand gegen das klerikale Unheil anführt.

 

Genau der richtige Stoff also für die frühen 70er Jahre, als die zweite Welle des Feminismus ihrem Höhepunkt zustrebte, während die Protestbewegungen der späten 60er erste Erfolge zeitigten, sich also konkret etwas gesellschaftlich veränderte. Auch die Ästhetik von »Belladonna« war besonders, verbindet sie doch die damals hippen Kunst- und Design-Strömungen zu einem faszinierend harmonischen Miteinander: Psychedelisch angereicherter Jugendstil wird gekreuzt mit surreal grundierter Pop Art.

 

Bald zeigte sich, dass die Ratlosigkeit angesichts dieses politisch und gestalterisch avantgardistischen Animationswerks nichts mit westlichen Seh- und Hörgewohnheiten zu tun hatte: Auch in Japan wusste man nicht wirklich, wie man sich diesem Film nähern sollte. Resultat: ein finanzielles Desaster. Der Manga- und Animationsvisionär Tezuka Osamu, der den Film zwar mitkonzipiert, sich dann aber aus der Produktion zurückgezogen hatte, sollte in Zukunft seine experimentelleren Filme kurz halten.

 

Dreiundvierzig Jahre später ist »Belladonna of Sadness« immer noch ein Stück Avantgardekunst — reiner Rausch, Erkenntnisexstase. Die Fabel von Jeanne hat dabei kaum an Prägnanz verloren. Die sehr minimalistische, sanfte Inszenierung wirkt heute vielleicht sogar moderner denn je.

 

Belladonna of Sadness (Kanashimi no Beradonna) J 1973, R: Yamamoto Eiichi, 93 Min. Start: 1.9.