Tanzt Demokratie! Alle!

Gemeinsam mit der Philharmonie will Choreographin

Stephanie Thiersch mit »City Dance« die Stadt in Bewegung setzen

Wer bei dem Titel an nackte Hippies denkt, die sich zu Joan Baez wiegen, liegt falsch — zumindest am 3. September. Dann findet in Köln nämlich der erste City Dance statt. Über dreihundert Performer werden 13 Stunden lang durch die Stadt tanzen: von einer Rheinseite auf die andere, vom Rheinpark in das Oberlandesgericht, über den Eigelstein, den Bahnhof in den Süden. Die StadtRevue sprach mit einer der Organisatorinnen, Stephanie Thiersch (von der freien Tanzkompanie Mouvoir) über politische Orte, Community Art und Tanzhemmungen der Deutschen.

 

Frau Thiersch, was wird beim City Dance passieren?

 

Es wird an diesem Tag verschiedene Performances geben, die mal zum Mitmachen, mal zum Zuschauen einladen. Die Kunstformen sind dabei vielfältig, von Tanzscores bis zu Kunst-Happenings, Paraden, angeführt von Streichquartetts, Blickchoreographien oder Skulpturen von meiner Kollegin Bettina Buck. Und hoffentlich begegnen uns auf dem Weg durch die Stadt auch noch ein paar Verrückte, die den City Dance als Bühne für spontane Auftritte nutzen. In den 70er Jahren, als die Choreo-graphin Anna Halprin die Aktion erstmals in San Francisco organisierte, lebte der Tag ja gerade von dieser ungezügelten Kreativität.

 

Der Nährboden in San Francisco waren vor allem die Rassenunruhen, denen Halprin mit dem Tanz auf offener Straße einen Prozess der Demokratisierung entgegensetzen wollte. Wie viel Politik steckt heute im City Dance?

 

Eine ganze Menge. Schließlich hat der City Dance auch in Köln etwas sehr Organisches: Er bietet ein künstlerisches Format, das sich aufblähen kann und dann alle umfasst, die daran teilnehmen möchten. Für mich bedeutet das auch, mit den Zugangsbarrieren zum Hochkulturerlebnis Tanz zu brechen. Noch dazu führt der Weg entlang verschiedener Plätze und Unorte von Köln, die ohnehin schon politisch aufgeladen sind. Es wird immer wieder Raum für politische Umdeutungen und Neubesetzungen geben — im künstlerischen Sinne.

 

An welche Orte denken Sie?

 

Auf unserer Route schwingt dieser Gedanke eigentlich von Anfang an mit, schon wenn wir im Rheinpark starten, dem 50er-Jahre-Symbol des vom Krieg gerüttelten und nach Erholung suchenden Städters. Aber natürlich ist auch der Ebertplatz einer dieser Orte, der immer wieder zum Schauplatz von Demonstrationen zwischen Türken und Kurden geworden ist. Am Ende sammelt sich der City Dance dann auf dem Bahnhofsvorplatz, wo unter anderem der PolizeiFrauenChor singen wird. 

 

Community-Art-Projekte wie der City Dance haben in anderen europäischen Ländern wie England und Frankreich eine lange Tradition. Nicht in Deutschland. Wie erklären Sie sich das?

 

Ich denke, das ist ganz klar historisch begründet. Bei unserer Veranstaltungsreihe »Making City Dance« haben wir im Vorfeld diese Frage lange diskutiert. Unter den Nationalsozialisten sollte der freie, natürliche Körper wiederentdeckt werden, eigentlich ein hehres Ziel. Doch installiert wurde dabei die Synchronizität als Ausdruck von Macht. Im kulturellen Gedächtnis der Deutschen hat sich dieses Bild festgefressen: Noch immer hat es einen bitteren Beigeschmack, wenn viele Menschen eine gemeinsame Idee vertanzen. 

 

Was bedeutet dieses kritische Verhältnis zum gemeinsamen Tanzen im öffentlichen Raum für City Dance?

 

Das werden wir spätestens sehen, wenn wir hinter dem DJ-Wagen durch den Eigelstein ziehen und freiwillige Vortänzer suchen. Ich hoffe, wir finden an diesem Tag eine Form, die offen genug ist, um die Menschen zum Mitmachen zu motivieren. Als Organisatorin und Choreographin bin ich da natürlich auch in einem gewissen Zwiespalt: Ich bin weit entfernt von esoterischen oder rein spirituellen Ideen. Gleichzeitig fällt mir schon auf, wie befreiend die Begegnung beim gemeinsamen Tanzen sein kann — gerade weil man so viel miteinander lacht. Sprachbarrieren, kulturelle Hürden, all das spielt dann nicht mehr so eine große Rolle.

 

Spielen Sie dabei auf die Workshops an, die Sie in der Vorbereitungsphase mit Geflüchteten veranstaltet haben?

 

Genau. Seit drei Monaten machen wir nun schon diese Kurse. Bis heute bleibt die Erfahrung mit Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern zu tanzen, wahnsinnig wertvoll für mich. Mir fällt aber schon auf, dass Geflüchtete in Deutschland häufig zu einer Gruppe gemacht werden, die sie kulturell gesehen überhaupt nicht sein können. Wir haben von Anfang an gesagt: Das wollen wir nicht. Wir haben deswegen Scores erarbeitet, bei denen alle mitmachen können — auch Geflüchtete. Für uns war aber auch klar, dass es für sie eine bewusstere Heranführung geben muss, eben mehr Dialog von Anfang an.

 

Auf was freuen Sie sich am 3. September am meisten?

 

Ich freue mich auf viele Stationen und Aktionen an diesem Tag. Besonders gespannt bin ich aber, wie die Stimmung auf dem Demonstrationszug durch die Riehler Straße sein wird. Meine Kollegin Brigitta Mundendorf, die die musikalisch Leitung für den City Dance trägt, hat eigens für diese Strecke ein vierstimmiges Chorstück komponiert, das mit einem Tutorial auf unserer Homepage vorher einstudiert werden kann. Und ich freue mich, wenn wir es schaffen, uns beim Tanzen, z.B. auf dem Bahnhofsvorplatz, in die Augen zu sehen und Hallo zu sagen. Darauf freue ich mich eigentlich am meisten.

 

 

»City Dance Köln«, C: Stephanie Thiersch 3.9., Start Performance Parcours: Rheinpark, 9 Uhr. Alle Infos und Route auf citydance-koeln.de