Ideen gegen die Wohnungsnot: Ursula Kleefisch-Jobst, Foto: Dörthe Boxberg

Weimar im Blick

Eine Ausstellung auf dem Clouth-Gelände widmet sich dem Sozialen Wohnungsbau

 

 

»Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen
in einer Weise überwacht, die
Missbrauch verhütet...«

 

 

Weimarer Verfassung, Artikel 155 (1919)

 

 

Das Timing stimmt. Die Wohnungsnot treibt nicht nur die Bürger um, sondern längst auch die Politik. »Alle wollen wohnen — gerecht, sozial, bezahlbar« heißt die Ausstellung des Museums für Architektur und Ingenieurkunst NRW, kurz MAI, auf dem Clouth-Gelände in Nippes. Das MAI präsentiert die Geschichte und Zukunft des Sozialen Wohnungsbaus. Es ist eine Idee, die einst viele Menschen mit günstigem Wohnraum versorgte, dann mit Trabantenstädten und Großsiedlungen ideologisch in Verruf geriet und heute neu entdeckt wird. Auch von NRW-Bauminister Michael Groschek (SPD), der anlässlich der Eröffnung ein starkes Plädoyer für den Sozialen Wohnungsbau hielt. Bauen, bauen, bauen — so sein Mantra. Es gilt aber auch: schauen, schauen, schauen — darauf, was es schon gab, was andere machen und wie schnelles, gutes und bezahlbares Bauen zusammengehen. Welche Wohnungen benötigen wir überhaupt? Auch diese Frage greift die Schau auf. 

 

Der Ausstellungraum, die denkmalgeschützte Halle 18, steht auf Kölns derzeit größter Baustelle, dem Clouth-Gelände. Das Projekt wird als vorbildlich angekündigt: Unterschiedliche Wohnungstypen, Eigentums- und Mietwohnungen, Baugruppen sind ausgewählt worden, jede dritte Wohnung soll zudem eine Sozialwohnung sein. 

 

In Halle 18 geht durch ein Fenster der Blick auf die Baustelle. Ansonsten stehen fünf farbige, polygonal-verwinkelte Durchgänge in der pittoresken Industrie-Romantik der Halle. Anhand von Architekturmodellen, Plänen, Fotos, Erläuterungen und Chroniken wird die Komplexität des Themas deutlich: Wie hat sich Sozialer Wohnungsbau gewandelt, wie gehen Planer heute mit der Idee um? Was bedeutet günstiges Wohnen? Und welche Aufgaben nehmen Architekten und Investoren, Baugruppen und Wohnungsgenossenschaften wahr? 

 

Die Renaissance des Sozialen Wohnungsbaus ist zunächst ein Phänomen der Krise. Bis 2020 fehlen in NRW rund 11.000 Hektar Bauland für Wohnungen, eine Fläche etwa halb so groß wie Köln. Hinzu kommt: Anders als noch vor zehn Jahren zieht es die Menschen in die Städte. Umso mehr wird dort Fläche benötigt. In Köln hat die Verwaltung Anfang dieses Jahres
76 Areale benannt, auf denen Wohnungen gebaut werden könnten. Das führte zu Protesten, Bürger fürchten um Grünflächen.

 

»Man wird verdichten müssen, will man nicht Grün und Umwelt dafür beanspruchen«, sagt Ursula Kleefisch-Jobst, geschäftsführende Kuratorin des Museums für Architektur und Ingenieurkunst. »Wir müssen auch in die Höhe bauen, wollen  wir den Flächenverbrauch in Grenzen halten.« 

 

Dass bezahlbare Wohnungen schnell entstehen müssen, dass der Soziale Wohnungsbau wieder forciert werden muss — da sind sich mittlerweile die meisten Politiker mit Ursula Kleefisch-Jobst einig. Dennoch wünschte sich Kleefisch-Jobst, dass sich die Entscheidungsträger näher mit der Geschichte und den Ideen des Sozialen Wohnungsbaus beschäftigten. Der Kölner Baudezernent Franz-Joef Höing und NRW-Bauminister Michael Groschek betonen, die Bürger sollten über die Ausstellung in eine Diskussion kommen. Allein, diese Diskussion ist längst entfacht. Wichtiger wäre es, dass Kommunal- und Landespolitiker, Entscheider im Bau- und Planungsdezernat sich hier informierten. 

 

Aber was ist eigentlich mit den Fehlplanungen der 70er Jahre? Mit Finkenberg und Chorweiler? Noch vor sechs, sieben Jahren wollte man dort abreißen — das war vor der Wohnungsnot. Heute erkennt man die Potenziale, etwa in Chorweiler, wo sich nach heftiger politischer Auseinandersetzung jetzt die kommunale Wohnungsgesellschaft GAG finanziell und sozial engagiert. 

 

Natürlich will niemand wieder Betonburgen, Trabantenstädte, die Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit, homogene Milieus. Daher zeigt die Ausstellung auch weniger die hinlänglich bekannten Fehler des Sozialen Wohnungsbaus als vielmehr die gelungenen Beispiele, etwa aus der Weimarer Republik. Für Ursula Kleefisch-Jobst ist diese Epoche baukulturell eine Fundgrube an Ideen. »Die Bodenreformer haben der Politik das Verständnis für Grund und Boden abgetrotzt«, sagt sie. Auch damals musste schnell, günstig und intelligent gebaut werden. »Es gab sehr viele gute Architekten, die dieses Ethos besaßen«, so Kleefisch-Jobst. Heute müsse Sozialer Wohnungsbau wieder stärker an den Hochschulen gelehrt werden. »Wir benötigen auch mehr junge idealistische Architekten.« 

 

Es gehe beim Wohnen gar nicht allein um Behausung, so Kleefisch-Jobst. »Es geht um Befriedung und Sicherung der Gesellschaft, es geht um sozialen Frieden.« 

 

 

»Alle wollen wohnen — Gerecht, sozial, bezahlbar« Ausstellung bis 30.10.2016, Nippes, Clouth-Gelände, Xantener Straße, Halle 18, Ö: 11–18, Do bis 19, Ruhetag: Mo, weitere Infos auf: mai.nrw.de/wohnen