Dreht endlich um!

Tischkultur hat Konjunktur. Das klingt unglaublich, wenn man bedenkt, wie und wo wir im Alltag essen. Und der Alltag ist entscheidend. Wir inszenieren die Einladung zum Abendessen mit Brimborium — ansonsten essen wir im Stehen, im Gehen, aus Plastikschalen und mit Plastikbesteck. Oder schlucken Smoothies und pürierten Mampf und können gleich auf Besteck und unsere Zähne verzichten. 

 

Dass Tischkultur dennoch Konjunktur hat, zeigt sich darin, dass so viele, die sonst nur im Multitasking-Modus essen, trotzdem eine Neigung zu Design-Geschirr und chromblitzenden Küchengeräten verspüren. Es sind Statussymbole, deren Zweck sich eben darin erschöpft. 

 

So auch bei Weingläsern. Bestimmte Weine, so heißt es, benötigten bestimmte Gläser. Die naturwissenschaftliche Argumentation mit Verweis auf Tannine, Alkoholgehalt und Sauerstoffreaktionen driftet dabei rasch ins Esoterische. Selbstredend benötigt ein Pinot noir das voluminöse Glas. Es spricht aber nichts dagegen, daraus auch einen kräftigen, gelagerten Weißen zu trinken. Bevor man sich in weiteren Spitzfindigkeiten verliert, die an die Diskussion um Boxenkabel unter Hifi-Freaks erinnern, sollten wir besser auf die Temperatur achten. Noch immer werden viele Rote zu warm, aber auch Weiße zu kalt serviert.

 

Und das passende Glas nützt nichts, wenn es falsch im Schrank steht — das ist das Problem! Nie darf die Öffnung unten sein! Wie bitte? Durch das Umdrehen soll dem Verstauben vorgebeugt werden. Aber wer hat solch staubige Schränke? Müssten wir dann nicht auch Teller und Schüssel umdrehen? Ein auf den Kopf gestelltes Glas nimmt den Geruch der Unterlage an, sei sie nun aus Holz, Plastik oder auch aus Glas, denn die Luft steht. Das kommt viel zu oft sogar in Restaurants und Weinstuben vor. So erklärt sich, dass Rieslinge, die nie im Barrique waren, uns mit Nuancen von Ikea-Regal überraschen. Und nur so kommen Zitrusnoten in den Shiraz — dank Glasreiniger und Möbelpolitur. 

 

Das falsch gelagerte Weinglas ist keine Lappalie. Tatsächlich zeigt sich etwa Grundsätzliches, nämlich, wie wir über immer teurere Hardware in der Küche das Wesentliche vergessen: aufmerksam schmecken
zu lernen.